Vergangenen Freitag konnte Aussenminister Ignazio Cassis in Bern endlich die ausverhandelten Vertragstexte zur Modernisierung der bilateralen Abkommen mit der Europäischen Union vorstellen. Jetzt geht es in die Vernehmlassung und nach der parlamentarischen Debatte zur Volksabstimmung. Diese dürfte frühestens im Jahr 2027 stattfinden. Wahrscheinlicher ist aber, dass es erst 2028 und damit nach den eidgenössischen Wahlen so weit ist. Je nachdem, wie viel Zeit sich das Parlament nimmt, könnte es auch später werden.
Was in der Zwischenzeit passiert, ist zwischen Bern und Brüssel in einer sogenannten «Gemeinsamen Erklärung» geregelt. Ihr Text wurde ebenfalls am Freitag veröffentlicht.
Die EU und die Schweiz bekennen sich darin zu einem konstruktiven Miteinander. Vorbei das Piesacken und die Nadelstiche. In verschiedenen Bereichen verpflichtet man sich zu einem reibungslosen «Modus Vivendi».
Das soll etwa beim EU-Forschungsprogramm «Horizon Europe» gelten. Aber auch die wichtige Zusammenarbeit im grenzüberschreitenden Stromhandel soll auf technischer Ebene sichergestellt sein, selbst wenn das Stromabkommen noch nicht in Kraft ist.
Es ist geplant, dass Aussenminister Ignazio Cassis kommenden Dienstag in Brüssel im Beisein seines EU-Ansprechpartners, EU-Kommissar Maros Sefcovic, die gemeinsame «Freundschaftserklärung» unterschreibt.
Nur: Kurz vor Schluss ist einem EU-Mitgliedstaat eingefallen, dass es doch noch ein Problem gibt. Nämlich Frankreich. Nach Intervention des zweitgrössten EU-Landes in Brüssel wurde die interne EU-Prozedur zur Validierung der gemeinsamen Erklärung zwischenzeitlich ausgesetzt, wie CH Media erfahren hat. Frankreich findet, dass die Schweiz bei den Übergangslösungen zu gut wegkommt. Vor allem verlangt die Regierung von Präsident Emmanuel Macron, dass eine Deadline eingeführt wird.
Offensichtlich traut man in Paris dem Schweizer Parlament nur begrenzt zu, dass es die neuen EU-Verträge bis 2028 wirklich zur Abstimmung bringt – und stattdessen bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag vom neuen «Modus Vivendi» profitiert. Frei à la: Warum braucht es neue Verträge, wenn wir ja jetzt wieder gut miteinander klarkommen?
In Brüssel ist bekannt, dass Frankreich stets sehr konsequent gegenüber der Schweiz auftritt. Es war auch Frankreich, das die EU-Kommission stets anmahnte, Druckmittel wie den Zugang zum Forschungsprogramm «Horizon Europe» so lange wie möglich in der Hand zu behalten. Jetzt ist es Frankreich, das eine Versicherung möchte, dass die Schweiz auch so liefert, wie es der Bundesrat versprochen hat.
Da die gemeinsame Erklärung längst mit der Schweiz verhandelt war, schlug die EU-Kommission den Mitgliedstaaten vergangene Woche vor, das französische Problem anderweitig anzugehen. In einem einseitigen Statement der EU, welches die gemeinsame Erklärung begleitet und CH Media vorliegt, steht: «Im Fall, dass die Ratifizierung des umfassenden bilateralen Pakets bis 2028 nicht abgeschlossen ist, wird die Union die Beibehaltung der gemeinsamen Erklärung überprüfen.» Das Statement wird am Mittwoch von den EU-Staaten so abgesegnet. Und der neugefundene «Modus Vivendi» erhält eine Ablauffrist. (aargauerzeitung.ch)