«Ein Wurf ist dann gelungen, wenn der Speer von hinten nur noch wie ein Punkt in der Luft erscheint.» So beschrieb der deutsche Speerwerfer Uwe Hohn einst den perfekten Wurf. Genau solch einer ist ihm am 20. Juli 1984 gelungen.
Die Hochspringer auf der anderen Seite des Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks schrecken auf, als ihnen ein fliegender Speer gefährlich nahe kommt. Im zweiten Versuch katapultiert der damals 22-Jährige das Sportgerät auf eine magistrale Weite und erreicht Historisches.
Die Zuschauer müssen lange auf die offizielle Messung warten. Bis schlussendlich ein «04,80» auf der für diese Weite nicht angepassten Anzeigetafel erscheint. Gemeint ist natürlich die Weite von 104,80 Metern – Weltrekord damals, wie auch heute noch.
Es ist der Traumwurf, auf den die ganze Leichtathletik-Szene gewartet hat. Der Wurf, welcher die Schallmauer von 100 Metern durchbricht. Das Stadion explodiert. Nur einer nimmt den Superwurf mit Fassung: Das junge Kraftpaket aus Neuruppin etwas nördlich von Berlin. Kühl kommentiert der frischgebackene Rekordmann hinterher: «Ist schon eine schöne Weite. Zuerst frontal gegen den Wind, das gab ihm Höhe, und dann hat er sich hinten schön lang gemacht.» Der Rekord sei zwar schön, aber ihm sei der Europameistertitel von 1982 in Athen wichtiger. «Der kam überraschender», so Hohn. «Die 100 Meter standen auf der Tagesordnung, auf die war ich vorbereitet.»
Ein paar Wochen nach dem Rekord reagiert der Weltleichtathletikverband IAAF. Hohns Wurf zeigt auf, dass die Stadien den menschlichen Kräften nicht mehr gewachsen sind, was die IAAF veranlasst, eine Regeländerung durchzuführen. Der Schwerpunkt wird um ein paar Zentimeter nach vorne verlegt, was dazu führt, dass ab dem 1. April 1986 die Speere früher zu Boden sinken. Den ersten Rekord mit dem neuen Speer stellt Hohns Landsmann Klaus Tafelmeier am 20. September des gleichen Jahres auf: 85,74 Meter weit fliegt sein Geschoss.
Nur einen Meter weiter segelt davor der Speer des Olympiasiegers von 1984. Zwei Wochen nach Hohns Weltrekord finden in Los Angeles die Olympischen Sommerspiele statt. Hohn ist dabei nur Zuschauer. Die DDR und die meisten anderen sozialistischen Länder boykottieren die Spiele als Revancheakt für das Fernbleiben der USA 1980 in Moskau.
So muss Hohn mitansehen, wie sich der Finne Arto Kalevi Härkönen mit 86,76 Metern Olympiagold sichert. Mit einem Wurf, der 18 Meter weniger weit schwebt als jener von Hohn – noch mit dem alten Wurfgeschoss versteht sich.
Hohn, der für den ASK Vorwärts Potsdam startet, wird 1985 zwar noch Welt- und Europacupsieger, muss zwei Jahre später seine Karriere aber wegen Bandscheibenbeschwerden frühzeitig beenden. Sein Name taucht zu allem Übel noch in Unterlagen zum DDR-Staatsdoping auf. So verschwindet eine aussergewöhnliche Persönlichkeit unwürdig von der Bildfläche – ohne Olympiagold. «Am liebsten will ich gar nicht darüber reden, auch wegen der aktuellen Dinge», sagt er Jahre später dem deutschen Journalisten Erik Egger.