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Warum der Kreml Tucker Carlson plötzlich toll findet

FILE - In this Nov. 17, 2007 file photo, political commentator Tucker Carlson arrives for the 60th anniversary celebration of NBC's Meet the Press at the Newseum in Washington. Fox News Channel s ...
Bild: AP/AP
Analyse

Warum der Kreml plötzlich Tucker Carlson toll findet

Der Starmoderator von Fox News hat eine Story über ein angebliches Bio-Lab in der Ukraine lanciert. Jetzt explodiert diese Lüge in seinem Gesicht.
15.03.2022, 18:4917.03.2022, 06:00
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Tucker Carlson ist wahrlich kein zimperlicher Mann und schreckt selbst vor waghalsigsten Thesen nicht zurück. Der Sturm aufs Kapitol sei eine «false flag»-Operation des FBI gewesen, behauptete er jüngst in einer dreiteiligen Serie. «Warum soll ich Putin hassen?», fragte er noch provokativ, kurz bevor der russische Präsident seine Truppen in die Ukraine einmarschieren liess.

Vergangene Woche hat Carlson noch einen drauf gesetzt. Folgende absurde These stellte er in den Raum: Die USA würden zusammen mit der Ukraine geheime Laboratorien unterhalten, in denen Bio-Waffen hergestellt würden, und hätten nun Angst, dass diese Labs in russische Hände geraten könnten. An dieser These ist Nullkommanichts wahr – und sie wird zum Problem für Carlson und für Fox News. Aber der Reihe nach:

Journalists gather near an electric fence looking into the P4 Lab in the Wuhan Institute of Virology as the World Health Organization team visit on a field trip in Wuhan in China's Hubei province ...
Das Bio-Lab in Wuhan.Bild: keystone

Seit Ausbruch der Coronakrise streiten sich Experten darüber, ob das Virus von Fledermäusen auf Menschen übertragen wurde oder ob es aus einem Labor in Wuhan entwichen sei. Im Darknet und in QAnonkreisen kursieren noch weit extremere Versionen der Wuhan-Lab-These. Das Virus sei nicht nur aus einem Bio-Lab entwichen, die Forschung sei auch von den USA finanziell unterstützt worden. Insbesondere Antony Fauci habe seine Hände im Spiel gehabt. Auch daran ist Nullkommanichts wahr.

Die gleichen Schwurblerkreise begannen auch, im Darknet die Verschwörungstheorie vom Bio-Lab in der Ukraine zu verbreiten, zunächst ohne damit grosses Echo auszulösen. Dann aber sagte Victoria Nuland, US Under Secretary of State, bei einem Hearing vor dem Senat aus, die USA würden tatsächlich Laboratorien in der Ukraine unterhalten, und gab sich besorgt, dass diese in russische Hände fallen könnten. Das war ein gewaltiger Booster für die Schwurbler-These.

Zuerst aber der Hintergrund dieser Aussage: Die USA unterstützen seit 2005 Bio-Labs in der Ukraine. Sie dienen jedoch nicht der Herstellung von Bio-Waffen, sondern deren Verhinderung. Tucker Carlson verdrehte diese Aussagen in ihr Gegenteil: «Aus dem Nichts hat die Biden-Regierung die Story bestätigt», jubilierte er in seiner Sendung. «Victoria Nuland hat im Senat so nebenbei erwähnt, ja, die Biden-Regierung unterstützt eine Reihe von Bio-Labs in der Ukraine.»

Weil Carlsons Sendung die höchsten Einschaltquoten aufweist, war die Bio-Lab-Lüge bald in aller Munde.

FILE - State Department Under Secretary for Public Affairs Victoria J. Nuland speaks during a briefing at the State Department in Washington, Jan. 27, 2022. (AP Photo/Susan Walsh, Pool, File)
Ihre Aussage wurde ins Gegenteil verkehrt: Victoria Nuland.Bild: keystone

In Sachen Propaganda muss man den Russen bekanntlich nichts vormachen. Sie nahmen Carlsons Steilvorlage rasch und dankbar an. Auf allen Kanälen verbreiteten nun auch sie die Bio-Lab-Lüge. Die Demagogen im Kreml wiesen die russischen TV-Stationen an, möglichst viele Tucker-Carlson-Clips auszustrahlen.

Das Magazin «Mother Jones» hat ein entsprechendes Memorandum erhalten. Darin heisst es: «Es ist entscheidend, so oft wie möglich Ausschnitte aus dem Programm von Tucker Carlson zu zeigen. Dieser kritisiert die Vereinigten Staaten und die Nato regelmässig und in scharfen Tönen.»

Das geschieht nun auch. Carlson-Clips sind am russischen Staatsfernsehen allgegenwärtig. Sie werden gar synchronisiert. Nur bei Carlsons irrem Lachen müssen die Russen noch üben.

Während der Kreml Carlson in den höchsten Tönen lobt, erhält er bei Fox News Gegenwind. So hat etwa die Pentagon-Korrespondentin in der Sendung von Sean Hannity die Bio-Lab-Lüge im Detail widerlegt. Bei den anderen TV-Stationen sind Carlsons Aussagen derweil in einer Endlosschleife.

Selbst Carlson scheint es allmählich zu dämmern, dass er in einen Riesenhaufen sich selbst zersetzender Biomasse getreten ist. Sein Monolog in der Sendung vom Montag war eine einzige, wenig überzeugende Ausrede. Fox News gibt keine Stellungnahme ab.

FILE - President Donald Trump speaks at the Trump campaign headquarters on Election Day, Nov. 3, 2020, in Arlington, Va. Former President Donald Trump sought to "defraud the United States" b ...
Muss zurückrudern: Donald Trump.Bild: keystone

Offensichtlich hat Carlson die Stimmung in den USA völlig falsch eingeschätzt. Er setzt darauf, dass die Angst vor Inflation seine Landsleute weit mehr beschäftigt als Putins Krieg. Dem ist nicht so. Angesichts der scheusslichen Bilder verurteilt die überwiegende Mehrheit der Amerikaner – auch die Republikaner – Putins Krieg. Ja, sie sind selbst bereit, höhere Benzinpreise in Kauf zu nehmen. Gemäss einer Umfrage der «Washington Post» ist Putin inzwischen der meist gehasste Mann in den USA. Mehr als 90 Prozent der Amerikaner haben eine negative Meinung von ihm. Er übertrifft damit die Werte von Fidel Castro und Bashar als-Assad.

Falsch gelegen ist auch Donald Trump. Bei Kriegsbeginn hat er Putins Vorgehen noch als «genial» bezeichnet. Nun muss auch er zurückrudern. Unter seiner Regie hätte Putin es niemals gewagt, die Ukraine anzugreifen, behauptet Trump neuerdings und schlägt vor, polnische Mig-29 mit chinesischen Farben zu übermalen und in den Kampf zu schicken. Das würde gemäss dem Ex-Präsidenten dazu führen, dass sich Russen und Chinesen gegenseitig bekämpfen. (Kein Witz)

Hierzulande haben es die Putin-Versteher ebenfalls schwer. Roger Köppel wird seinen «Weltwoche»-Titel «Der Missverstandene» wohl bis ans Ende seiner Tage bereuen. Verzweifelt versucht er nun, mit einer Neutralitätsdebatte von seiner katastrophalen Fehleinschätzung abzulenken.

Nur die extreme Schwurbler-Szene und sogenannte Querdenker bekennen sich weiterhin zu Putin. Doch bei anderen ist Ernüchterung eingekehrt. Das Onlineportal «infosperber» etwa hat seinen übelsten Putin-Troll Christian Müller in die Wüste geschickt und übt sich seither in tätiger Reue. Und auf die Freiheitstrychler werden wir wohl bis auf Weiteres verzichten müssen.

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162 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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_stefan
15.03.2022 19:17registriert September 2015
Putin findet Tucker Carlson und Donald Trump aus einem einzigen Geund toll. Sie sind einfache Marionetten. Ihr Hass gegen die Demokraten macht sie leicht manipulierbar. Putin und sein Netzwerk ist den beiden strategisch weit überlegen. Ein Krieg verbindet, genau das will Putin im gespaltenen USA verhindern. Dafür hat er hervorragende Figuren in Übersee.
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Opossum2
15.03.2022 22:32registriert Januar 2022
Nun, ich bin ja nicht SVP-Wähler. Aber SVP-Wählern im Kanton Zürich muss man lassen, dass sie von ihrem Recht, gewisse Leute von der Liste zu streichen, in der Vergangenheit gut Gebrauch gemacht haben. Ulrich Schlüer und Christoph Mörgeli können ein Lied davon singen. Ich hoffe doch, dass die Mehrheit der SVP-Wähler noch für Werte wie Freiheit und Selbstbestimmung steht und nicht einen Roger Köppel wiederwählen werden, der offen einem Diktatoren zuklatscht, der ein neutrales Land wie wir es sind überfallen lässt.
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x%8Tz*3GsUf3
15.03.2022 20:19registriert Dezember 2020
Schwurbler sind Verräter unserer demokratischen Werte. Die passen alle gut zusammen, meine Schwurbler-Arbeitskollegen sind bei mir nun endgültig ganz unten durch. Wenn ich die Fotos all der Kids die flüchten sehe, und gleichzeitig an Köppel und seine Kumpels denke, kommt's mir schon ein wenig hoch.
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