Die Geschichte klingt wie aus einem Märchen: Elf Tage lang irrt ein knapp vier Jahre altes Mädchen durch die Wildnis der sibirischen Taiga, ohne Essen und Trinken, barfuss, bei klirrender nächtlicher Kälte.
Wo sich erwachsene Männer wegen der vielen Braunbären nur mit Waffen oder Geleitschutz hintrauen, ist ein Welpe der einzige Kompagnon der Kleinen. Und ausgerechnet dieser Winzling entpuppt sich als ihr Retter.
Karina Schikitowa wohnt mit ihrer Mutter in dem kleinen Weiler Olom in der russischen Teilrepublik Jakutien, ganz im Fernen Osten Russlands. Ende Juli bricht das drei Jahre und sieben Monate alte Mädchen zu seinem in einem Nachbardorf lebenden Vater auf.
Der aber ist nicht da, weil er einen Waldbrand bekämpfen muss. Daraufhin macht sich die Kleine wieder auf den Weg, um ihn zu suchen. Erst nach vier Tagen bemerkt die Mutter, dass Karina nicht bei ihrem Vater ist und schlägt Alarm.
Tagelang sucht ein Grossaufgebot von hundert Freiwilligen nach Karina – begleitet von Spezialkräften zum Schutz vor Bären und anderen Wildtieren, durchkämmen sie alle Wiesen und Bachgebiete; vergeblich.
Dann taucht plötzlich Karinas Hund in ihrem Dorf auf - und stürzt die acht Bewohner zunächst in tiefe Trauer: «Wir dachten schon, das war's», berichtet Afanasij Nikolajew, einer der Retter, dem Sender Swesda TV. In dem Gebiet fallen die Temperaturen nachts unter Null, und alle fürchten, Karina sei bereits erfroren.
Dennoch beschliessen sie, gemeinsam mit Spürhunden die Spur des Welpen zurückzuverfolgen. Zwei Tage später entdecken sie dann Abdrücke von Kinderfüssen - und kurz darauf auch Karina.
«Es ist ein wahres Wunder», sagt Artjom Borisow, der die Kleine sechs Kilometer nördlich ihres Dorfs fand. «Ich sah sie im hohen Gras sitzen. Sie sagte nichts – streckte nur weinend die Arme nach mir aus.» Die Kleine sei schwach, blass und ausgezehrt gewesen, berichtet Borisow der «Komsomolskaja Prawda». «Sie wollte sofort zu essen und Wasser.»
Auf der Suche nach ihrem Vater hatte Karina ihre Schuhe verloren, lief aber unverdrossen barfuss weiter. Das Mädchen berichtet seinen Rettern, es habe während seiner Odyssee Beeren gegessen und Flusswasser getrunken.
«Es ist einfach unglaublich, dass wir sie lebend und völlig heil fanden», sagt ein Sprecher des regionalen Rettungsdienstes. «Ein Erwachsener hätte das nicht überlebt». Nikolajew glaubt, dass der kleine Hund Karina in den kalten Nächten wärmte und wilde Tiere mit seinem Bellen verjagte.
Fernsehbilder zeigen ein kleines Mädchen mit grossen Augen und nur mit Leggings und einem T-Shirt bekleidet, wie es kurz nach seiner Rettung am Wochenende in grossen Schlucken Wasser trinkt und dann zu einem Helikopter gebracht wird. Seitdem erholt sich Karina im Spital von Jakutsk.
Nach Angaben der Ärzte geht es ihr den Umständen entsprechend gut. Ihre Füsse seien zwar noch wund, und sie lasse ihre Mutter nicht von ihrer Seite - doch könne sie inzwischen schon wieder lächeln. (sda/afp)