In seinem Büro im stilvollen Hauptsitz in der Villa Freigut zu Zürich liegen immer ein paar Bücher zu historischen Themen. René Fasel ist einer der einflussreichsten Sportdiplomaten der Welt geworden, weil er aus der Geschichte lernt. Ende der 1970er-Jahre schreibt ein Inspizient in seinem Rapport über Schiedsrichter René Fasel: «Er leitete das Spiel wie ein kleiner Napoléon auf dem Feldherrenhügel.» Napoléons Untergang war sein Krieg gegen Russland (1812). René Fasel aber macht die Russen zu seinen Freunden.
Den Vergleich mit dem Kaiser der Franzosen haben inzwischen auch schon andere gemacht. Das amerikanische «Wall Street Journal» bezeichnete René Fasel einmal als «the fast moving Napoleon on ice hockey». Weil er die Olympia-Teilnahme der NHL möglich gemacht hat. Wie gut er die Geschichte des grossen Korsen kennt, offenbart er mit seinem Führungsprinzip: Es sei wichtig, die richtigen Leute um sich zu haben. Napoléon habe die Schlacht von Waterloo nur verloren, weil er unfähige Generäle hatte. René Fasel ist ein Waterloo erspart geblieben.
Die Funktionärskarriere des Zahnarztes aus der Stadt Freiburg beginnt mit einer leeren Kasse. Weil der Verband pleite ist und sich niemand das Präsidium zumuten mag, wird Schiedsrichterchef René Fasel in Gottes Namen halt im Sommer 1985 Präsident unseres Eishockeyverbandes. In der Kasse sind gerade noch 140 Franken. 9 Jahre später wird er 1994 Präsidenten des internationalen Verbandes und damit mächtigster Mann der Hockey-Welt. Er bleibt länger im Amt als jeder seiner Vorgänger. 27 Jahre. Morgen Samstag wird in St.Petersburg sein Nachfolger gewählt.
Noch ungewöhnlicher als die lange Amtsdauer: Über all die Jahre bleibt René Fasel von Machtkämpfen und Skandalen verschont. Während selbst Titanen wie Sepp Blatter im Sumpf der Skandale versinken, bleibt René Fasel ein «weisser Rabe». Nicht, weil er schlauer ist als so viele andere mächtige Männer der Sportpolitik. Eher verdankt er seine biblische Amtszeit seiner Ehrlichkeit und ein wenig auch seiner Naivität.
René Fasel geht Wagnisse ein, an die andere aus Furcht vor sicherem Scheitern und politischem Schaden nicht einmal zu denken wagen. Beispielsweise die Integration der NHL-Stars ins olympische Turnier oder das gemeinsame Team von Nord- und Südkorea für das olympische Turnier der Frauen von 2018 in Südkorea.
Beides gelingt ihm. Nicht wirtschaftliche Überlegungen bringen die milliardenschweren, selbstherrlichen NHL-Besitzer dazu, ihre Meisterschaft zu unterbrechen, um den Spielern die Olympia-Teilnahme zu ermöglichen. Es gibt keine politische Notwendigkeit für Kim, einem gemeinsamen Olympiateam für die Spiele in Südkorea zuzustimmen.
Es ist René Fasel, der mit Beharrlichkeit, diplomatischer Schlauheit und Charme die Menschen überzeugt. Einer der letzten Romantiker, der nicht auf Konzepte und Geld, sondern auf die Kraft der persönlichen Begegnung setzt. Das bedingt Integrität. Eine Episode mag seine Integrität illustrieren: Es gelingt ihm, mit den Steuerbehörden des Kantons Zürich eine gute Lösung für den internationalen Verband auszuhandeln. Im Gegenzug verzichtet er darauf, den seinen Wohnsitz weg von Zürich ins Steuerparadies Schwyz zu verlegen. Dafür ist er immer wieder mal belächelt worden. Aber für ihn war immer klar: Wenn uns eine Behörde entgegenkommt, dann wäre ein Wegzug aus steuerlichen Gründen unanständig. Erst jetzt, nach dem Ende seiner Amtszeit zügelt er in den Kanton Schwyz.
Auch René Fasel hat nicht alles richtig gemacht. Aber es ist ihm gelungen, seine Integrität zu bewahren. Er ist nie der Versuchung erlegen, die Dinge mit Geld zu regeln oder seine Macht über die Kassenschränke zum eigenen Vorteil zu nutzen wie so viele Sportpolitiker. Er hat den Verband hauptberuflich geführt und ungefähr so viel verdient wie ein Bundesrat. Nicht mehr, aber auch nicht weniger, und diese Bezüge waren stets transparent.
Die Nähe zu Russland ist ein zentraler Faktor seiner Karriere. Er hat früh verstanden, wie wichtig Russland im Eishockey ist und welche Wichtigkeit Eishockey in Russland hat. Er entwickelt im Laufe der Jahre ein tiefes Verständnis für das russische Eishockey und mehr noch für die russische Kultur und Geschichte und nimmt in Kauf, dass er so nicht dem politischen Mainstream entspricht.
Im Dezember 1986 gelingt es ihm, die sowjetische Nationalmannschaft zu einem Länderspiel nach Bern zu holen und im Bären zu Ostermundigen beginnt seine internationale Karriere. Im Foyer lässt er sich von einem tschechischen Chronisten ein paar russische Sätze beibringen. Beim Bankett begrüsst er die sowjetische Delegation in russischer Sprache. Das Eis ist gebrochen.
Er wird 1994 die Wahl ins höchste Amt auch dem Einfluss der Russen verdanken und morgen geht seine Amtszeit beim Wahl-Kongress in der alten russischen Hauptstadt St.Petersburg zu Ende. Gastgeber ist Wladimir Putin und es ist wohl mehr als ein Gerücht, dass der russische Präsident die Üerti zahle. Die Üerti ist eine alte, auch in René Fasels Heimat einst gebräuchliche, aber heute schon fast vergessene Bezeichnung einer Rechnung für Tanzmusik, Speise, Trank und sonstige Lustbarkeiten im Wirtshaus.
René Fasel hinterlässt einen internationalen Verband, der finanziell und politisch solid ist wie nie in seiner Geschichte und mit der allmächtigen NHL beste Beziehungen pflegt. Seine 27-jährige Präsidentschaft ist eine Erfolgsgeschichte.
Er wird dem internationalen Sport weiterhin als Vermittler zwischen den Kulturen erhalten bleiben und die staatliche Universität in Sotschi am Schwarzen Meer soll ihm schon einen Posten angeboten haben. Die Boshaften sagen, er werde der «Gerhard Schröder des Hockeys». In Anspielung auf den Deutschen Kanzler, der sich nach seinem Rücktritt stillos für lukrative Mandate Russlands Zar Wladimir Putin angedient hat. Das trifft es nicht. Wer denn gerne einen historischen Vergleich mag: Eher passender ist wohl «Rasputin des Hockeys». Als Mann mit grossem Einfluss auf die mächtigen Herrscherfamilien Russlands.
Aber natürlich viel charmanter und weit weniger sinister als einst der echte Rasputin.