International
Analyse

Nun hat Amerika Angst vor einem Trump-Faschismus

FILE - In this Aug. 17, 2019, file photo, members of the Proud Boys and other right-wing demonstrators march across the Hawthorne Bridge during a rally in Portland, Ore. The group includes organizer J ...
Mitglieder der «Proud Boys» auf einer Brücke in Portland (Oregon).Bild: keystone
Analyse

Nun hat Amerika Angst vor einem Trump-Faschismus

Die TV-Debatte hat klargemacht: Der Präsident unterstützt weisse Herrenmenschen – und er will die Demokratie zerstören.
01.10.2020, 15:0901.10.2020, 16:36
Mehr «International»

Im vergangenen Jahr hatte Richter Mark Dwyer vom New Yorker State Supreme Court zwei Mitglieder der «Proud Boys» zu einer längeren Gefängnisstrafe verurteilt. Die beiden waren in eine wüste Schlägerei in Manhattan verwickelt. «Ich weiss genug über die Geschichte der Dreissigerjahre in Europa», begründete der Richter sein Urteil.

Vor der Machtübernahme der Nazis bestand in Deutschland die Weimarer Republik. Sie wurde zum Sinnbild eines chaotischen, instabilen Staates, in dem sich rechts- und linksradikale Gruppen regelmässig Strassenschlachten lieferten. Heute beschreibt die «New York Times» in einem redaktionellen Kommentar die Zustände in den USA wie folgt:

«Es ist eine Nation, losgerissen von allem, was an eine zivile politische Tradition erinnert, überschwemmt mit verschwörerischer Desinformation, unfähig zu entscheiden, was Wahrheit und was Lüge ist, paralysiert vom Horror einer Pandemie, die Hunderttausende getötet hat, und einem politischen System verpflichtet, das nicht mehr die Mehrheit des Landes widerspiegelt.»

Vergleiche von Trump und dem Faschismus werden gerne als hysterisch niedergeschrien. Deshalb nochmals die «New York Times»:

«Konservative verfolgen zwar lange gehätschelte politische Ziele. Doch auch sie können nicht mehr die Realität verleugnen, und diese zeigt, dass Trump die Prinzipien und die Integrität einer Demokratie mit den Füssen tritt.»

Am Dienstag hat der Präsident der amerikanischen Demokratie den bisher härtesten Tritt erteilt. Er hat sich geweigert, die «Proud Boys» zu verurteilen und hat sie stattdessen aufgefordert, ihm beizustehen.

Bei dieser Gang handelt es sich nicht um eine Pfadi-Truppe. Sie gehörten zu den faschistischen Fackelträgern in Charlottesville, die «Juden werden uns nicht ersetzen» gegrölt haben.

Sie waren an den Demonstrationen gegen Black Lives Matter in Kenosha beteiligt, wo der Teenager Kyle Rittenhouse zwei Menschen erschossen hat. Regelmässig liefern sie sich auch Strassenschlachten mit linken Demonstranten in Portland (Bundesstaat Oregon).

Proud Boy members who chose to remain anonymous listen to Patriot Prayer founder Joey Gibson speak during the "Oregon for Trump 2020 Labor Day Cruise Rally" at Clackamas Community College in ...
«Proud Boys» bei einer Wahlkampfveranstaltung von Trump.Bild: keystone

Dana Milibank fasst in der «Washington Post» den Charakter der «Proud Boys» wie folgt zusammen:

«Mitglieder der ‹Proud Boys› sind wegen Angriffen, versuchten Angriffen und versuchten Gang-Angriffen verurteilt worden. Sie werden des Mordes beschuldigt und wegen Randale angeklagt, und man wirft ihnen vor, Journalisten und friedliche Demonstranten zusammengeschlagen zu haben.»

Wer da keine Parallelen zu Hitlers Braun- und Mussolinis Schwarzhemden sehen will, muss mit Blindheit geschlagen sein.

Trumps Aufforderung, ihm beizustehen, ist bei den «Proud Boys» begeistert aufgenommen worden. Der Vorsitzende der Gang, Enrique Tarrio, liess umgehend T-Shirts mit der Aufschrift «PROUD BOYS STAND BY» anfertigen und unter den Mitgliedern verteilen.

Gavin McInnes, der Gründer der Bewegung, erklärte, man wolle der Aufforderung umgehend nachkommen und gegen die Antifa vorgehen. «Ich glaube der Präsident hat gesagt, wir sollten aktiv werden, wenn die Antifa wieder Brände legt», so McInnes. «Ich glaube, der Präsident mag uns und schätzt uns.»

FILE - In this Aug. 11, 2017, file photo, multiple white nationalist groups march with torches through the University of Virginia campus in Charlottesville, Va. A federal judge has issued an arrest wa ...
Fackelzug in Charlottesville. Auch da marschierten die «Proud Boys» mit.Bild: keystone

Es ist nicht das erste Mal, dass Trump sich weigert, sich von weissen Herrenmenschen zu distanzieren. Nach Charlottesville sprach er stattdessen von «feinen Menschen auf beiden Seiten». Ebenso wollte er sich im Wahlkampf 2016 nicht von David Duke, dem ehemaligen Anführer des Ku-Klux-Klan, lossagen.

Mit der faschistischen Rechten flirtet Trump, Demokratie und Rechtsstaat will er aktiv zerstören. Sein skandalöser Auftritt in der TV-Debatte war keineswegs ein Misstritt. Es war ein gezielter Angriff auf die Gepflogenheiten einer zivilisierten Demokratie, die lächerlich gemacht und in den Dreck gezogen werden soll.

Trumps Methode mag zwar durch die sozialen Medien und das Internet begünstigt werden. Doch letztlich handelt es sich um nichts anderes als altbewährte faschistische Propaganda, wie sie schon Hitler und Mussolini einst mit Erfolg eingesetzt haben – und wie sie heute etwa Putin, Orban, Netanjahu und andere anwenden.

Wie die «New York Times» warnt daher auch die «Washington Post» eindringlich:

«Alles in allem reflektieren Mr. Trumps Botschaften und sein Verhalten eine tiefe Verachtung für die Nation und ihre Wähler. Seine Aktionen deuten an, dass er gewillt ist, das Wahlresultat abzulehnen und zu delegitimieren und stattdessen die Gewalt anzuheizen. Diese Gefahr muss von der Justiz ernst genommen werden – und von den verantwortungsbewussten Anführern der beiden Parteien.»

Der konservative Historiker Robert Kagan geht gar einen Schritt weiter. Er warnt ebenfalls in der «Washington Post» eindringlich davor, dass Trump im Begriff ist, die amerikanische Demokratie und den Rechtsstaat endgültig auszuhebeln. Kagan schreibt:

«Machen wir uns nichts vor, was mit dem Land geschehen wird, wenn Trump das durchziehen kann. Wir werden dann nicht mehr bloss über seine Tweets den Kopf schütteln. Trump wird uns an einen anderen Ort bringen, einen Ort, den wir nur von autoritären Regimes kennen.»
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die wichtigsten Termine bis zu den US-Wahlen
1 / 10
Die wichtigsten Termine bis zu den US-Wahlen
Donnerstag 20. August (Daten beziehen sich auf US-Zeit, teilweise werden die Events erst am nächsten Tag europäischer Zeit statfinden):
Joe Biden wird an der Democratic National Convention in Milwaukee eine Rede halten. Biden wird an der Convention offiziell als demokratischer Kandidat gegen Donald Trump nominiert werden.
quelle: keystone / usa biden harris handout
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Trump vs. Biden: Die Highlights der chaotischen Debatte
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
177 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
winglet55
01.10.2020 15:14registriert März 2016
Wir täten gut daran die faschistischen und rassistischen Tendenzen bei uns zu bekämpfen, statt mit dem Finger nach Übersee zu zeigen. Glarner hat ja auch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss.
975221
Melden
Zum Kommentar
avatar
Scaros_2
01.10.2020 15:17registriert Juni 2015
Alle sehen es kommen. Alle warnen davor. Die demokratie wird im Beifall untergehen. So geht die Freiheit zugrunde - mit donnerndem Applaus!
58455
Melden
Zum Kommentar
avatar
RichiZueri
01.10.2020 15:22registriert September 2019
Ich mochte mein schwarz-gelbes Fred Perry Polo eigentlich. Aber mit dem Aufwind dieses Vereines wäre es wohl ungünstig, dieses weiterhin zu tragen...
31250
Melden
Zum Kommentar
177
Das (vermeintlich) Unmögliche geschafft: Jury für Prozess gegen Trump steht

Die Jury für das Schweigegeld-Verfahren gegen Donald Trump steht: Nach rund dreitägigen Befragungen im ersten Strafprozess gegen einen früheren US-Präsidenten einigten sich Staatsanwaltschaft, Verteidigung und der Vorsitzende Richter am Donnerstag auf zwölf Geschworene, wie im Gerichtssaal anwesende Journalisten und Journalistinnen übereinstimmend berichteten. Auch ein Ersatzjuror wurde schon gefunden.

Zur Story