Kaum hatte sich Belinda Bencic im Grand Hyatt in Melbourne eingerichtet, erreichte sie per E-Mail die unheilvolle Nachricht: Mehrere Passagiere der Maschine, mit der sie Mitte Januar aus Abu Dhabi nach Australien geflogen war, wurden positiv auf das Coronavirus getestet.
Umgehend verhängten die lokalen Gesundheitsbehörden eine 14-tägige Quarantäne. Und zwar für alle Reisenden – und nicht nur für jene der gleichen Kohorte, wovon Bencic ursprünglich ausgegangen war. Gestrichen wurden auch die fünf Stunden, die Bencic für Trainings im Melbourne Park, auf der Anlage der Australian Open, hätte verbringen können. Ihre Zeit verbringt sie nun auf knapp 20 Quadratmetern in einem Hotelzimmer, bei dem sich die Fenster nicht öffnen lassen. Das Essen wird geliefert, geputzt wird indes nicht.
Wie geht es Bencic nach der Hälfte der Quarantäne? Anruf in Melbourne. «Es war eine traurige Nachricht. Am Anfang war ich sehr frustriert», sagt Bencic. Ihr ist es wichtig, festzuhalten, dass sie diese Massnahme nicht nur versteht, sondern auch für richtig und wichtig hält. Wie richtig, zeigt der Fall der Spanierin Paula Badosa, die am Donnerstag, also sechs Tage nach Ankunft in Melbourne, positiv getestet worden war.
«Das war ein Schock», sagt Bencic. Niemand habe damit gerechnet, dass man nach so vielen Tagen in Quarantäne erkranken kann. Bencic sagt: «Die Menschen in Australien haben sehr gelitten, waren fünf Monate im Lockdown. Ich kann mir vorstellen, wie schwierig das war. Das Letzte, was wir Tennisspieler jetzt wollen, ist, das Virus in die Welt zu setzen und Menschen zu gefährden.»
Sie sei dankbar, dass sie die Möglichkeit habe, Tennis zu spielen, und ihren Job machen zu können. Sie masst sich nicht an, zu beurteilen, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, die Australian Open abzusagen. Sie könne aber die Menschen verstehen, die so denken. «Andererseits kann das Turnier den Menschen vielleicht auch etwas Positives geben. Ich weiss, dass die Australier das Tennis lieben.» Ihr Zimmer teilt Bencic mit ihrem Freund und Fitnesstrainer Martin Hromkovic. «Das ist ein grosser Vorteil für mich. Er lässt mich hart arbeiten» sagt sie. Morgens fährt sie auf dem Ergometer, am Nachmittag macht sie Fitnessübungen. Selbst Tennis spielt Bencic in ihrem Zimmer, «damit die Muskeln nicht vergessen, wie sich das anfühlt.»
Belinda Bencic hat Gewichte und einen Medizinball im Zimmer. Damit lässt sich ein vernünftiges Training absolvieren. Bencic tut, was in ihrer Macht liegt. Dennoch fürchtet sie sich vor Verletzungen. Muskeln, Sehnen und Gelenke bräuchten täglich Training, um auf höchstem Niveau spielen zu können, sagt sie. Das sei auf wenigen Quadratmetern nicht im gleichen Mass möglich. «Es ist wie nach den Ferien. Dann fühlt es sich so an, als hätte ich zuvor noch nie Tennis gespielt», zieht Bencic den Vergleich. Die ersten Tage in Quarantäne seien «sehr schlecht» gewesen. «Natürlich war ich nicht glücklich und war frustriert. Ich sah meine Chancen, in Australien gut zu spielen, kleiner werden. Das ist hart zu akzeptieren», sagt Bencic.
Bencic stört sich vor allem an der Ungleichheit unter den Spielerinnen und Spielern. Novak Djokovic, Rafael Nadal, Serena Williams, Dominic Thiem, Naomi Osaka und Ashleigh Barty, die in Adelaide untergebracht sind, verfügen dort über einen Balkon, der so gross ist wie das Zimmer jener 72 Spielerinnen und Spieler, die in Melbourne unter Hausarrest stehen, aber nicht einmal ein Fenster öffnen können. «Sie haben sich diese Privilegien verdient, weil sie die Besten sind und weil sie am meisten für das Tennis getan haben», sagt Bencic. «Aber man soll bitte nicht von Gleichstellung und Fairness reden.» Immerhin habe sich Djokovic sehr für die von der harten Quarantäne Betroffenen eingesetzt. «Das schätzen wir sehr.»
Nach der Ankunft in Melbourne und der Nachricht sei vieles kompliziert und chaotisch gewesen, und die Spieler seien als verwöhnte Störenfriede dargestellt worden, die sich über die Quarantäne, schlechtes Internet, das Essen und überhaupt alles beschweren würden. Deshalb hatte sie sich auch zu einem Schlagabtausch mit einem Twitternutzer hinreissen lassen. «Es kam sehr viel Negatives rein, viel Hass. Das war unangenehm. Es war viel Unverständnis da, weil auch viele Unwahrheiten verbreitet wurden.»
Belinda Bencic wirkt an diesem Freitagabend Ortszeit, in der Hälfte ihrer Quarantäne, aufgeräumt, sogar zuversichtlich. Stimmt der Eindruck? «Mein Freund ist ein Mensch, der in jeder Situation positiv denkt. Das färbt ab», sagt Bencic. Zu schaffen macht ihr der Staub im Zimmer. Das Hotel dürfe ihnen keinen Staubsauger zur Verfügung stellen und es ist nicht möglich, zu lüften. «Wir machen ja alles in diesem einen Zimmer: Essen, schlafen, intensiv trainieren.»
Mit dem Teekocher hätten sie versucht, die Luftqualität zu verbessern. Mit mässigem Erfolg. «Wahrscheinlich komme ich mit einer Raucherlunge aus der Quarantäne», scherzt Bencic. «Ich freue mich auf die frische Luft, aufs Tennis und die Sonne.» Am 29. Januar ist es so weit. Dann darf Bencic ihr Zimmer erstmals wieder verlassen.
Sie wird wohl mit einer Staublunge aus der Quarantäne kommen .