Nun ist es de facto offiziell: Karl Rove titelt heute seinen Kommentar im «Wall Street Journal» wie folgt: «Dieses Wahlresultat wird nicht mehr umgestossen werden.» Rove war einst Chefstratege bei George W. Bush und ist nach wie vor der Vordenker bei den Konservativen, wenn es um Wahlstatistiken geht.
Roves Diktum ist unmissverständlich: «Um noch zu gewinnen, müsste Mr. Trump systematischen Wahlbetrug mit zehntausenden von illegal abgegebenen Stimmen nachweisen. Dafür gibt es keinerlei Beweise.»
Obwohl die Faktenlage klar ist, sind immer noch nur vereinzelte Republikaner bereit, sie anzuerkennen. Mitch McConnell und Lindsey Graham – zwei Alphatiere der Grand Old Party (GOP) – stellen sich immer noch tapfer hinter ihren Präsidenten, genauso wie Marco Rubio und Ted Cruz, zwei Senatoren, die sich Chancen ausrechnen, dereinst Trumps Nachfolge antreten zu können.
Es ist mehr als Feigheit, was die Republikaner zurückhält. Sie wissen vielmehr, dass Trump zwar die Wahlen verloren hat, nicht jedoch sein Einfluss auf die GOP. Und sie wissen auch, dass Trump nicht im Traum daran denkt, nun seinen Lebensabend beim Golfen in Florida zu geniessen. Trump wird weiterhin sein politisches Kapital in die Waagschale werfen, und dieses Kapital ist beträchtlich.
Trump und der Trumpismus sind nicht zufällig entstanden. Sie sind das Resultat der gesellschaftlichen Entwicklung in den letzten drei Jahrzehnten. Die USA sind tief gespalten. Es gibt eine neue «kreative Klasse», die komfortabel in den Städten und Vorstädten an der Küste lebt. Und es gibt einen zunehmend verarmten unteren Mittelstand, der im Rustbelt und in den so genannten Fly-over-states des mittleren Westens unter lausigen Bedingungen haust.
Erste Analysen der Wahlresultate zeigen, dass sich diese Spaltung gar noch verstärkt hat. «Obwohl es demographische Verschiebungen gab, hat die wirtschaftliche Entwicklung dazu geführt, dass sich der Graben zwischen den roten und blauen Gebieten weiter vertieft hat», stellt die «Financial Times» fest.
Die wirtschaftliche Spaltung hat scheinbar paradoxe politische Folgen. Die GOP ist nicht mehr wie einst ein vornehmer Gentlemen's Club der Upper Class. «Wir sind die neue Arbeiterpartei», verkünden nun die Republikaner. Tatsächlich wenden sich ihnen die Arbeiter in den klassischen Industrieregionen zu. Die wohlhabenden Vertreter der kreativen Klasse hingegen wählen demokratisch.
Diese Spaltung wird sich nicht so leicht überwinden lassen, zumal eine von den Demokraten immer wieder beschworene Entwicklung offenbar nicht eintrifft: Obwohl sie immer farbiger wird, wird die amerikanische Gesellschaft nicht linksliberaler.
Die Hoffnung, dass nicht nur die Schwarzen, sondern auch die Hispanics bedingungslos demokratisch wählen, hat sich nicht erfüllt. Im Gegenteil: In Texas und Florida haben überraschend viele Hispanics Trump bevorzugt.
Trump hat es verstanden, dieses Potenzial anzuzapfen. Dass er auf die «Bemitleidenswerten» – wie sie Hillary Clinton nannte – nach wie vor eine gewaltige Anziehungskraft ausübt, ist unbestritten. Nicht zufällig haben mehr als 70 Millionen Amerikanerinnen und Amerikaner für ihn gestimmt.
Trotzdem wird die Wahlniederlage nicht ohne Spuren an Trump vorbeiziehen, psychologisch und politisch. Wie der pathologische Narzisst den K.O.-Schlag wegsteckt, wird sich erst weisen müssen.
Sollte er nun wie eine Rockband mit seinen Rallys auf Tournee gehen, könnte auch sein politisches Charisma Schaden erleiden. Selbst Hardcore-Rolling-Stones-Fans haben irgendwann die Nase voll von «Satisfaction». Wenn Trump zum x-ten Mal damit prahlt, wie er Hillary Clinton geschlagen hat, könnte das ebenfalls seinen Reiz verlieren.
Unter Trumps Niederlage leiden werden wohl auch Politiker wie Jair Bolsonaro in Brasilien, Benjamin Netanyahu in Israel und Narendra Modi in Indien. Kalt geduscht wurde vor allem Boris Johnson. Seine Hoffnung, bald mit den USA einen Freihandelsvertrag abschliessen zu können, wie Trump ihm dies in Aussicht gestellt hatte, haben einen Dämpfer erlitten. Joe Biden, dessen Vorfahren aus Irland stammen, hat ihm auch bereits unmissverständlich klar gemacht, dass er in der Nordirland-EU-Frage keinen Spass versteht.
In einem sind sich die Experten aller politischen Schattierungen einig: Trump und Trumpismus werden auf jeden Fall weiterhin einen beträchtlichen Einfluss auf die Politik haben. Niemand wird daher rufen: «Der König ist tot, es lebe der König!» – zumal sich die Gerüchte verdichten, wonach König Trump in vier Jahren erneut in die Hosen steigen will.