Der Aufstand der Kleinaktionäre gegen die VW-Spitze im Abgasskandal ist verpufft. Auf ihrer Generalversammlung erteilten die Anteilseigner Vorstand und Aufsichtsrat am späten Mittwochabend nach teils turbulenten Diskussionen mit grosser Mehrheit die Entlastung.
Sowohl der amtierende Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch als auch der im Zuge des Abgasskandals zurückgetretene Vorstandschef Martin Winterkorn wurden mit jeweils mehr als 97 Prozent der Stimmrechte für das zurückliegende Skandaljahr entlastet.
Auch VW-Markenchef Herbert Diess sprachen die Aktionäre das Vertrauen aus. Gegen ihn und Winterkorn ermittelt die Braunschweiger Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Marktmanipulation im Zuge des Dieselskandals.
Pötsch war Finanzchef, als der Konzern im September die Manipulation von Abgaswerten einräumte. Im Oktober wurde er an die Spitze des Aufsichtsrats berufen. Gegen ihn richten sich die Ermittlungen der Braunschweiger Staatsanwaltschaft nicht. Winterkorn war im Zuge des Skandals zurückgetreten.
Nicht für die Entlastung von Diess und Winterkorn gestimmt hat das Bundesland Niedersachsen, ein VW-Grossaktionär. Wie die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf eine nicht näher bezeichnete Quelle meldete, enthielt sich das Bundesland der Stimme. Eine Sprecherin der Landesregierung wollte den Vorgang nicht kommentieren, sie stellte auch keine Stellungnahme in Aussicht.
Kritik am «System VW»
Während der mehr als 13-stündigen Aktionärsversammlung hatten Kleinaktionäre den Aufstand geprobt. Ohne Aussicht auf Erfolg beantragten mehrere Anteilseigner die Abwahl von Pötsch als Versammlungsleiter, scheiterten aber schon bei dieser Formalie an der Mehrheit der Grossaktionäre.
Die machtlosen Kleinaktionäre machten dennoch die Kritik am «System Volkswagen» zum Hauptthema des Aktionärstreffens. Volkswagen basiere auf einer «Filzokratie», bei der sich das Land Niedersachsen, der VW-Betriebsrat, das Management und die Grossaktionärsfamilien Porsche und Piëch gegenseitig Vorteile zuschöben, machte Markus Dufner vom Dachverband Kritischer Aktionäre seinem Ärger Luft.
Die Entschuldigung von Konzernchef Matthias Müller für die millionenfache Abgasmanipulation ging in der aufgeheizten Stimmung unter. «Dieses Fehlverhalten widerspricht allem, wofür Volkswagen steht. Es hat unser höchstes Gut beschädigt: Das Vertrauen der Menschen in unser Unternehmen und unsere Produkte», gab sich Müller reumütig. Der Konzern setze nun alles daran, das verlorene Vertrauen zurückzugewinnen.
Ärger wegen Boni
Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz warf der VW-Führung kollektives Versagen vor: «Wir stehen vor einem Trümmerhaufen.» Die Aktionäre hätten durch den Kursverfall der VW-Aktie im Zuge des Abgasskandals viel Geld verloren. Die künftige Gewinnentwicklung stehe in den Sternen.
Auch die Bonuszahlungen an den Vorstand wurden kritisiert. Dies sei eine nicht zu rechtfertigende Belohnung für Misserfolg, sagte Hans-Christoph Hirt vom Pensionsfonds Hermes.
Im Saal begrenzte Aufsichtsratschef Pötsch wegen der grossen Zahl von mehr als 60 Wortmeldungen die Redezeit, doch kaum ein Sprecher hielt sich an die Vorgabe. Deshalb zog sich die Versammlung hin. Investoren und Kleinaktionäre warfen dem Wolfsburger Konzern Intransparenz bei der Aufklärung des Dieselskandals vor. Anträge für eine Sonderprüfung wurden jedoch mit mehr als 97 Prozent abgelehnt.
Aufklärung lässt auf sich warten
Volkswagen hat die US-Kanzlei Jones Day mit der Aufarbeitung beauftragt, ein Abschlussbericht soll erst gegen Ende des Jahres präsentiert werden. Neue Erkenntnisse gab es auf der Hauptversammlung daher nicht. Aufsichtsratschef Pötsch begründete dies mit den noch laufenden Verhandlungen mit den US-Behörden über die Aufarbeitung von «Dieselgate».
US-Bezirksrichter Charles Breyer hat allen Beteiligten an den Vergleichsverhandlungen einen Maulkorb verpasst. Es wäre für VW mit hohen finanziellen Risiken verbunden, die Öffentlichkeit jetzt über den Stand der Ermittlungen zu unterrichten, sagte Pötsch. Beim Festhalten an den Spielregeln erwarte Volkswagen ein Entgegenkommen der US-Behörden beim Strafmass. (sda/reu/dpa)