Italien wählt - und rückt nach rechts?

Italien wählt - und rückt nach rechts?

04.03.2018, 19:00

Nach der Parlamentswahl stellt sich Italien auf einen Rechtsruck und ein Erstarken europakritischer Kräfte ein. Allerdings wurde ein unklares Ergebnis ohne eindeutigen Gewinner erwartet.

Zwar lag in Umfragen das Mitte-Rechts-Bündnis von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi und der rechtspopulistischen Lega vorn. Stärkste Einzelpartei war demnach aber die Fünf-Sterne-Protestbewegung mit ihrem 31 Jahre alten Spitzenkandidaten Luigi Di Maio. Bei der Abstimmung am Sonntag machten lange Warteschlangen und Pannen den Wählern das Leben schwer.

Auf eine regierungsfähige Mehrheit kommt wegen des neuen Wahlgesetzes voraussichtlich keines der Lager. Somit droht der drittgrössten Euro-Volkswirtschaft wieder der Stillstand. Die regierenden Sozialdemokraten von Ministerpräsident Paolo Gentiloni und Parteichef Matteo Renzi standen wie in anderen europäischen Ländern vor einem Debakel.

Gewählt wurde einer neuer Senat und ein neues Abgeordnetenhaus. Bis zum Mittag lag die Wahlbeteiligung bei rund 19.3 Prozent - traditionell wird in Italien aber erst spät gewählt. Allerdings beschwerten sich viele Wähler über Schlangen und Chaos in den Wahllokalen. Zum Teil lag das an einem neuen Anti-Betrugs-System auf den Stimmzetteln. Städte wie Rom und Mailand riefen die Bürger auf, nicht zu spät zum Wählen zu gehen.

In der sizilianischen Hauptstadt Palermo öffneten 200 Wahllokale verspätet, weil fehlerhafte Stimmzettel neu gedruckt werden mussten. «Wir bedauern die Schwierigkeiten für die Wähler», sagte Palermos Bürgermeister Leoluca Orlando. In Rom wurden in einem Wahllokal die Namen von Senatoren und Abgeordneten falsch aufgeführt und 36 ausgefüllte Stimmzettel kurzerhand aus der Wahlurne genommen.

Ergebnis am Montagvormittag

Die rund 46 Millionen Wahlberechtigten in Italien konnten noch bis 23 Uhr ihre Stimme abgeben. Etwa 4.2 Millionen Auslandsitaliener konnten vorher abstimmen. Ein offizielles Ergebnis wird erst am Montagvormittag erwartet.

Das neue Wahlgesetz soll Allianzen begünstigen. Allerdings müssen diese oder eine Partei auf etwa 40 bis 42 Prozent kommen für eine Regierungsmehrheit - und das wird aller Voraussicht nach keiner schaffen.

Der dreifache Ex-Ministerpräsident Berlusconi darf nach einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung selbst nicht für seine Forza Italia kandidieren. Der 81-Jährige hat den derzeitigen EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani ins Rennen geschickt. Mit Spannung wurde verfolgt, ob sein Bündnispartner von der Lega-Partei, Matteo Salvini, mehr Stimmen als die Forza bekommt. In der Migrationskrise hatte die Partei, die einst nur im Norden stark war, viel Zuspruch bekommen.

Berlusconi - einst bekannt für seine «Bunga Bunga»-Sexpartys - wurde beim Wählen von einer barbusigen Femen-Aktivistin empfangen. «Berlusconi, du bist abgelaufen», stand auf dem nackten Oberkörper der Frau, die in dem Wahllokal in Mailand auf einen Tisch geklettert war. Der 81-Jährige zeigte sich derweil besorgt über die lange Wartezeit beim Wählen. Sein Mitstreiter Salvini beschuldigte die Regierung, ein Chaos angerichtet zu haben

PD-Chef Renzi gab in Florenz seine Stimme ab, Gentiloni in Rom. Der Spitzenkandidat der Fünf Sterne, Luigi Di Maio, wählte in seinem Heimatort Pomigliano d'Arco bei Neapel.

Auswirkungen für ganz Europa

Italien ist hoch verschuldet und die Wirtschaft zieht noch immer nicht richtig an, deshalb könnte vor allem der Sieg populistischer Parteien folgenschwere Auswirkungen für ganz Europa haben. Sorgen dürfte aber auch ein wochen- oder gar monatelanger Stillstand auslösen, falls sich keine Regierung findet.

Sollte es keine klare Mehrheit für Mitte-Rechts oder gar Mitte-Links geben, könnte es theoretisch auch zu einer grossen Koalition zwischen Renzis Partito Democratico (PD) und Berlusconis Forza Italia kommen - obwohl beide das im Vorfeld ausgeschlossen hatten. Aus EU-Sicht wäre das sicher die beste Option, da beide Parteien als europazugewandt gelten.

Die Fünf-Sterne-Bewegung um ihren Gründer Beppe Grillo lehnt zwar Koalitionen generell ab. Jedoch liess sie offen, ob sie es sich nach der Wahl nicht doch noch anders überlegt. «Wir sind einen Schritt vom Sieg entfernt», sagte Spitzenkandidat Di Maio bei der Abschlusskundgebung seiner Partei in Rom. Die Zeiten in der Opposition seien endgültig vorbei. (sda/dpa)

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