Nein-Trend zur Selbstbestimmungsinitiative
Nein zur Selbstbestimmungsinitiative der SVP: Gemäss der Trendrechnung von gfs.bern im Auftrag der SRG haben Volk und Stände die Initiative abgelehnt. Am Verhältnis zwischen Bundesverfassung und Völkerrecht ändert sich somit nichts.
Kommt es zu einem Konflikt zwischen einer Verfassungsbestimmung und einem internationalen Vertrag, sind weiterhin verschiedene Lösungen möglich. Bei einem Ja wäre eine starre Regel festgelegt worden. Die Bundesverfassung hätte immer Vorrang vor dem Völkerrecht gehabt, mit Ausnahme zwingender Bestimmungen.
Im Konfliktfall hätte die Schweiz den internationalen Vertrag nicht mehr anwenden dürfen, sofern dieser nicht dem Referendum unterstand. Sie hätte den Vertrag neu verhandeln und nötigenfalls kündigen müssen.
Entscheid über Grundsatzfrage
Die SVP versuchte, die Abstimmung zum Votum für oder gegen die direkte Demokratie zu stilisieren. Nur mit einem Ja sei diese zu retten, verkündete die Partei. In Kontrast zur Botschaft kamen die Plakate betont moderat daher. Kurz vor der Abstimmung erschienen allerdings doch noch provokative Inserate.
Trotz des grossen Efforts gelang es ihr aber nicht, eine Mehrheit der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger von ihrem Anliegen zu überzeugen. Das Resultat hatte sich abgezeichnet: Anfang November sprachen in der SRG-Umfrage 61 Prozent gegen die Initiative aus, in der Tamedia-Umfrage 58 Prozent.
Serie von Niederlagen
Mit dem Nein setzt sich für die SVP eine Serie von Niederlagen fort: Die von ihr unterstützte No-Billag-Initiative scheiterte ebenso wie die Referenden gegen das Energiegesetz, die erleichterte Einbürgerung oder das Asylgesetz. 2016 war die SVP mit der Durchsetzungsinitiative gescheitert. Damals stimmten rund 59 Prozent Nein.
Mit der Selbstbestimmungsinitiative stand eine Art übergeordnete Durchsetzungsinitiative zur Diskussion: Die SVP wollte erreichen, dass angenommene Volksinitiativen wortgetreu umgesetzt werden müssen - auch dann, wenn sie völkerrechtliche Bestimmungen verletzen. Auslöser war ein Bundesgerichtsurteil von 2012 in einem Ausschaffungsfall, das der SVP missfiel.
Nervöse Gegner
Die Ausschaffungsinitiative der SVP hatten Volk und Stände 2010 angenommen. 2014 folgte das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative. Auch damals war die SVP allein gegen alle anderen angetreten. Die Selbstbestimmungsinitiative löste deshalb unter den Gegnerinnen und Gegnern Nervosität aus. Bereits am Tag der Lancierung luden sie zur Medienkonferenz.
Die Warnungen der Gegner vor einem Ja klangen nicht weniger dramatisch als jene der Initianten vor einem Nein: Die Menschen in der Schweiz verlören den Schutz durch die Menschenrechte, das Verhältnis von Demokratie und Rechtsstaat gerate aus den Fugen, es drohe eine Willkürherrschaft der Mehrheit, hiess es.
Schweiz als Vertragsbrecherin
Die Gegner machten aber auch praktische Gründe geltend. Die Schweiz würde sich mit einem Ja zur Initiative vorbehalten, Verträge nicht einzuhalten, wann immer sie möchte, argumentierten sie. Damit würde sie zu einem höchst unverlässlichen Partner. Die Wirtschaft warnte vor Rechtsunsicherheit. Justizministerin Simonetta Sommaruga betonte, die Schweiz entscheide bereits heute selber, welche Verträge sie abschliesse und welche nicht.
Viel zu reden gaben auch Unklarheiten. Die Gegnerinnen und Gegner kritisierten die Behauptung der Initianten, bei einem Ja würde die Schweiz lediglich zu dem zurückkehren, was früher gegolten habe. Ausserdem sei unklar, welche Folgen die Annahme der Initiative hätte. So lasse der Text offen, wann ein Widerspruch zur Verfassung vorliege, wann ein Vertrag gekündigt werden müsse und wer darüber entscheide.
Rahmenvertrag mit der EU
Dass das Thema abstrakt und komplex ist, machte es für die Initianten nicht einfacher. Die SVP versuchte zwar, die Initiative als Mittel gegen alles Mögliche darzustellen - beispielsweise gegen den Uno-Migrationspakt und gegen ein Rahmenabkommen mit der EU.
Beim Uno-Migrationspakt zeigte dies Wirkung: Die Schweiz wird vorläufig nicht zustimmen. Über ein Rahmenabkommen könnte das Stimmvolk ohnehin entscheiden. Dass der Bundesrat erst nach der Abstimmung darüber befindet, dürfte dennoch ein Vorteil für die Gegner gewesen sein.
Zur EU hat die SVP bereits eine weitere Volksinitiative eingereicht: die Initiative «für eine massvolle Zuwanderung» (Begrenzungsinitiative), die eine Kündigung der Personenfreizügigkeit verlangt. Dazu dürfte es ebenfalls hitzige Debatten geben, aber weniger Verwirrung. (sda)
