Nach den Terroranschlägen von Paris fahndet die Polizei weiter nach Unterstützern der drei getöteten Attentäter. Viele Fragen zu den Brüdern Chérif und Saïd Kouachi sowie Amedy Coulibaly sind offen. Ein Überblick:
Die Brüder Kouachi werden für den Überfall auf die Satirezeitung «Charlie Hebdo» am Mittwoch verantwortlich gemacht, bei dem zwölf Menschen getötet wurden. Beide starben am Freitag nach der Geiselnahme in einer Druckerei in Dammartin-en-Goële nordöstlich von Paris. Coulibaly gilt als Urheber der Schiesserei am Donnerstag im Süden von Paris, bei der eine Polizistin starb.
Am Freitag stürmte er einen koscheren Supermarkt bei der Porte de Vincennes im Pariser Osten. Er tötete vier Geiseln und kam beim Zugriff der Polizei ums Leben. Eine der Waffen, die in dem Supermarkt gefunden wurde, soll bei Schüssen auf einen Jogger am Donnerstag in Fontenay-aux-Roses südlich von Paris verwendet worden sein. Nach Hinweisen in Coulibalys Bekennervideo wird untersucht, ob die Explosion eines Autos in Villejuif am Donnerstagabend mit ihm zu tun haben könnte.
Eine Terroraktion dieses Ausmasses lässt die Frage nach Hintermännern aufkommen. Bei der Erstürmung von «Charlie Hebdo» haben Chérif und Saïd Kouachi behauptet, sie gehörten zum Terrornetzwerk Al Kaida. Dessen Ableger im Jemen hat sich am Mittwoch zur Tat bekannt. Die Namen der Brüder sollen sich auf der allgemeinen Terror-Beobachtungsliste TIDE der US-Regierung befunden haben, ebenso auf der No-Fly-Liste, die Flüge in die USA verwehrt.
Vor allem der jüngere Bruder Chérif Kouachi war einschlägig aktiv. Mit einer Organisation um den radikalen Prediger Farid Benyettou soll er ab 2002 Kämpfer für den Dschihad im Irak angeworben haben. 2008 wurde er zu drei Jahren Haft verurteilt. Dabei kam Kouachi in Kontakt mit Amedy Coulibaly. Beide gerieten unter den Einfluss des Islamisten Djamel Beghal, der von 2001 bis 2010 wegen eines geplanten Anschlags auf die US-Botschaft in Paris im Gefängnis sass.
Nach seiner Entlassung sollen Chérif und sein Bruder Said mehrfach in den Jemen gereist sein und Ausbildungslager von Al Kaida durchlaufen haben. Amedy Coulibaly wiederum outet sich in seinem Bekennervideo als Anhänger der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Al Kaida und IS gelten als Rivalen. Dennoch halten es Experten für möglich, dass die Terroristen zusammengearbeitet haben, aber durch verschiedene Gruppen beeinflusst wurden.
Die Ermittler gehen davon aus, dass die Kouachis und Coulibaly Unterstützer hatten. Ministerpräsident Manuel Valls sprach gegenüber CNN von einem Netzwerk. Von bis zu sechs möglichen Komplizen ist die Rede. Direkt nach den Anschlägen wurden mehrere Personen verhaftet. Es handelte sich überwiegend um Verwandte der Attentäter. Inzwischen sind alle wieder auf freiem Fuss.
Mourad, jeune beau-frère de Chérif Kouachi un temps en garde à vue, encore sous le choc http://t.co/HpHWZiCh2b #AFP
— Agence France-Presse (@afpfr) January 11, 2015
Ein 18-jähriger Schwager der Kouachis stand anfangs unter Verdacht, am Anschlag auf «Charlie Hebdo» beteiligt gewesen zu sein. Er stellte sich jedoch freiwillig der Polizei und hatte ein Alibi: Zur Tatzeit befand er sich in der Schule.
Gesucht wird Coulibalys Lebensgefährtin Hayat Boumeddiene, die Frankreich jedoch bereits am 2. Januar Richtung Türkei verlassen hat. Im Fokus ist auch Coulibalys Bekennervideo. Es muss zwischen der Tötung der Polizistin am Donnerstag und der Geiselnahme im koscheren Supermarkt am Freitag aufgenommen worden sein. Irgend jemand hat das Video produziert und am Wochenende ins Internet gestellt.
Die 26-Jährige hat Amedy Coulibaly in einer religiösen Zeremonie geheiratet, nicht aber zivil, wie es in Frankreich für eine legale Ehe erforderlich ist. Sie wurde verdächtigt, an der Geiselnahme im Supermarkt oder bei der Schiesserei im Süden von Paris direkt beteiligt gewesen und danach geflüchtet zu sein. Inzwischen gilt es als gesichert, dass sie bereits am 2. Januar von Madrid nach Istanbul geflogen und vermutlich am 8. Januar nach Syrien weitergereist ist.
Bilder einer Überwachungskamera auf dem Flughafen von Istanbul zeigen Boumeddiene in Begleitung von Mehdi Belhoucine, einem dem Geheimdiensten bekannten Dschihadisten. Sein Bruder Mohamed wurde gemäss «Le Monde» letztes Jahr zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Kämpfer für den «heiligen Krieg» in Afghanistan und Pakistan rekrutiert hatte.
Es handelt sich um den aus Haiti stammenden Franzosen Fritz-Joly Joachin. Der 29-Jährige soll in den letzten Tagen des Vorjahres Kontakte zu Chérif Kouachi gehabt haben, sagte Staatsanwältin Darina Slawowa am Dienstag dem Fernsehsender Nova TV. Joachin war in der Silvesternacht am Grenzübergang zur Türkei bei Kapitan Andreewo von der bulgarischen Grenzpolizei festgehalten worden, wegen des Vorwurfs der Kindesentführung.
Der mutmassliche Mitstreiter der «Charlie Hebdo»-Attentäter soll geplant haben, seinen dreijährigen Sohn über die Türkei nach Syrien zu bringen, um ihn dort zum Dschihad-Krieger ausbilden zu lassen. Vor 15 Jahren habe sich der Festgenommene zum Islam bekannt, wie Staatsanwältin Slawowa aufgrund von Angaben seiner Frau sagte. Inzwischen traf in Bulgarien ein europäischer Haftbefehl wegen Terrorverdachts ein. Eine mögliche Verbindung zu den Anschlägen von letzter Woche ist unklar.
Bislang gibt es keine Hinweise, mit welchen finanziellen Mitteln sich die Brüder Kouachi und Coulibaly ihr jeweils beträchtliches Waffenarsenal zusammenstellen konnten. Die bisher bekannte Bewaffnung soll auf dem Schwarzmarkt deutlich über 10'000 Euro kosten. Angeblich stammen die Waffen aus dem Ausland. Auch das spricht für die Beteiligung von Hintermännern und/oder Komplizen.
Die Anschlagsgefahr in Europa ist nach Einschätzung der Polizeibehörde Europol so hoch wie seit dem 11. September 2001 nicht mehr, vor allem wegen zurückkehrender Syrien-Kämpfer. Ausserdem hat die in Nordafrika aktive Terrorgruppe Al-Kaida im Islamischen Maghreb (AQMI) am Dienstag mit neuen Angriffen auf Frankreich gedroht.
Frankreich zahle den Preis für die Besetzung von muslimischem Land in Mali und Zentralafrika und für die Bombardierung von Muslimen im Irak und in Syrien, hiess es. So lange die Medien des Landes zudem weiter den Propheten oder andere den Muslimen heilige Dinge attackierten, werde es weitere, noch schmerzhaftere Anschläge geben.
(Mit Material von sda)