Charlie Hebdo
Gesellschaft & Politik

Pariser Terror-Komplizin Hayat Boumeddiene: Religiös, folgsam, waffenaffin

Hayat Boumeddiene und Amedy Coulibaly: Das Terror-Paar von Paris.  
Hayat Boumeddiene und Amedy Coulibaly: Das Terror-Paar von Paris.  Bild: FRENCH POLICE
Terror in Paris

Pariser Terror-Komplizin Hayat Boumeddiene: Religiös, folgsam, waffenaffin

Die französischen Ermittler jagen Hayat Boumeddiene, die Freundin des Pariser Geiselnehmers Amedy Coulibaly. Was war ihre Rolle bei den Attentaten? Laut unbestätigten Medienberichten soll sie nach Syrien geflohen sein – schon vor den Anschlägen.
10.01.2015, 19:2111.01.2015, 09:08
Annette langer
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Ein Artikel von
Spiegel Online

Es gibt ein Foto aus dem Jahr 2010, da kniet Hayat Boumeddiene schwarz verschleiert, den Rücken leicht zurückgelehnt, auf einem Strohfeld in Südfrankreich. In der Hand hält sie etwas ungelenk eine kleine Armbrust. Auf einem weiteren Bild ist sie von vorn zu sehen. Sie zielt mit dem Pfeil direkt auf den Fotografen.

Ganz Frankreich sucht derzeit nach der dunkelhaarigen Gefährtin des Attentäters und Geiselnehmers Amédy Coulibaly. Doch welche Rolle spielte die 26-Jährige wirklich bei den Anschlägen von Paris, die 17 Menschenleben forderten und Frankreich in den Ausnahme-, die Welt in den Alarmzustand versetzte?

Nach dem Tod der drei Geiselnehmer ist sie die einzige Überlebende aus dem bisher bekannten Tatverdächtigenkreis, die Hoffnung durch sie etwas über die Hintermänner zu erfahren, ist entsprechend gross.

Die Polizei hat Boumeddiene zur Fahndung ausgeschrieben und warnt, sie könne «bewaffnet und gefährlich» sein. Sie und Coulibaly sollen mit den beiden Attentäter auf die Redaktion des Satiremagazins «Charlie Hebdo» Chérif und Said Kouachi in Verbindung gestanden haben.

Zum Tatzeitpunkt gar nicht im Land?

Die französische Zeitung «Le Monde» berichtet am Samstagabend, dass eine Frau mit dem Namen Hayat Boumeddiene bereits am 2. Januar einen Flug von Madrid nach Istanbul genommen haben soll. Diese Person habe am 8. Januar die Grenze nach Syrien überschritten. Eine offizielle Bestätigung hierfür gibt es noch nicht. «Le Parisien» berichtet, die 26-Jährige sei auf dem Flug in Begleitung eines Mannes gewesen, dessen Bruder den Geheimdiensten bekannt ist. Die türkischen Dienste hätten den Übertritt nach Syrien bestätigt. Boumeddiene sei im Besitz eines Rückflugtickets für den 9. Januar gewesen. Die Reise habe sie aber nicht angetreten.

Inzwischen ist einiges bekannt, was die junge Frau schwer belastet:

1. Am Freitag berichtete der französische Oberstaatsanwalt François Molins, Boumeddiene habe innerhalb eines Jahres 500 Telefongespräche mit der Ehefrau des Terroristen Chérif Kouachi geführt. Ihre Gesprächspartnerin Izzana Hamyd ist seit Mittwoch in Polizeigewahrsam und wird befragt. Über den Inhalt der Telefonate ist bisher nichts bekannt, auch nicht, ob sie abgehört wurden.

2. Das Auto, mit dem Amédy Coulibaly an den Ort der Geiselnahme an der Porte de Vincennes im Osten von Paris fuhr, ist auf Boumeddienes Namen registriert.

3. Seit mehreren Jahren ist die junge Frau bei der Polizei aktenkundig. Im Jahr 2010 wurde sie im Zusammenhang mit dem Fluchtversuch eines Hauptverantwortlichen der Pariser Metro-Attentate aus dem Jahr 1995, Aït Ali Belkacem, von der Polizei befragt. Schon damals zeigte sie grosses Verständnis für islamistische Attentate. Dem Nachrichtenportal «20minutes» zufolge verwies sie ungerührt auf all «die Unschuldigen, die von den Amerikanern getötet werden».

Paris im Ausnahmezustand

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Mutter verloren, Vater überfordert

Am 26. Juni 1988 kommt Boumeddiene in Villiers-sur-Marne im Nordosten Frankreich zur Welt. Sie ist eines von sieben Kindern. Im Alter von sechs Jahren verliert sie ihre Mutter und wird laut «Le Parisien» zwei Jahre später in die Obhut der Behörden gegeben, weil der als Lieferant arbeitende Vater mit der Erziehung der Kinder überfordert ist.

«Sie ist stets von oben bis unten komplett verschleiert gewesen.»
Nachbarin von Hayat Boumeddiene

Ab 2009 trägt sie auch auf der Arbeit ausschliesslich den Niqab, was ihr die Entlassung als Kassiererin einbringt. Eine Nachbarin sagte dem Sender BFMTV, sie sei stets «von oben bis unten komplett verschleiert» gewesen.

Was praktizierte Religiösität und theologische Bildung betrifft, scheint sie ihrem Freund Coulibaly überlegen gewesen zu sein. Der sei «nicht wirklich religiös», soll sie den Ermittlern gesagt haben – ob aus taktischen Gründen, ist allerdings unklar. Er habe sich gern amüsiert und soll sich angeblich mit dem Gedanken getragen haben, eine zweite Ehefrau zu nehmen.

«Er ist nicht der Typ, der die ganze Zeit im traditionell muslimischen Gewand herumläuft», so Boumeddiene weiter. Auch die Moschee habe er nicht jeden Freitag zum Gebet aufgesucht. «Amédy ist da je nachdem, ob er viel zu tun hatte oder nicht, hingegangen, ich würde sagen, so alle drei Wochen.» Coulibaly selbst sagte den Polizisten laut «Le Monde»: «Ich versuche, mit der Religion voranzukommen, aber ich mach das langsam.»

Kein fleissiger Moschee-Gänger

Überhaupt scheint der Geiselnehmer zu diesem Zeitpunkt wenig Interesse an ideologischen Finessen zu zeigen. Auf die Frage, was er über die Unstimmigkeiten zwischen Sunniten und Schiiten wisse, sagte der den Ermittlern : 

«Ich weiss gar nichts. Ich zerbreche mir nicht den Kopf darüber, das ist Zeitverschwendung.»

Der Kontakt zu dem Charlie-Hebdo-Attentäter Chérif Kouachi soll bereits seit 2010 bestanden haben. Gemeinsam besuchten die beiden Männer Djamel Beghal, einen wegen Terrorismus verurteilten Salafisten der Takfir-Bewegung, in Südfrankreich. Hayat Boumeddiene erklärte der Polizei, sie sei zweimal mitgefahren und habe sich dort im Armbrustschiessen geübt.

Vater von Verwicklungen seiner Tochter schockiert

Vor etwa einem Jahr soll Hayat Kontakt zu ihrem Vater Mohamed gesucht haben. Im Juli 2009 hatte sich das junge Paar in einer religiösen Zeremonie trauen lassen, sie wollte ihm davon berichten. Weil sie nach Mekka reisen wollten, sei es ihr ein Anliegen gewesen, sich mit ihm zu versöhnen, zitiert der «Parisien» einen Bekannten des Vaters. Mohamed sei froh gewesen, sie zu sehen, habe das Paar nach der Rückkehr aus Mekka noch vom Flughafen abgeholt, aber dann nie wieder etwas von der Tochter gehört.

Als er von der Fahndung nach Hayat erfuhr, begab sich Mohamed Boumeddiene sofort auf die nächste Polizeidienststelle, um auszusagen. «Er stand unter Schock», erzählte sein Bekannter. «Er konnte überhaupt nicht glauben, dass sie mit dieser Geschichte in Verbindung steht.»

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