In Deutschland brennen die Asylheime. Wiederholt wurden in letzter Zeit Häuser angezündet, in denen Flüchtlinge untergebracht werden sollten, nicht nur im Osten, auch in Bayern und Baden-Württemberg. Zum Synonym für Fremdenhass wurde die sächsische Stadt Freital unweit der Pegida-Hochburg Dresden. Seit Wochen finden dort Proteste gegen eine Asylunterkunft statt, mit rechtsradikaler Beteiligung. Auf das Auto eines Stadtrats der Linken wurde ein Anschlag verübt. Immer mehr Deutsche wollen laut einer Umfrage die Aufnahme von Flüchtlingen begrenzen.
In Calais herrscht Ausnahmezustand. Tausende Flüchtlinge vorab aus Afrika warten auf der französischen Seite des Ärmelkanals auf eine Gelegenheit zur Überfahrt ins «gelobte Land» Grossbritannien. Allein diese Woche versuchten sie in grosser Zahl, in den Eurotunnel zu gelangen. Seit Anfang Juni sollen mindestens zehn Personen bei den oft lebensgefährlichen Fluchtversuchen gestorben sein. Die britische Regierung reagiert mit Härte: Sie will Zäune bauen und die Gesetze verschärfen, um die unerwünschten Einwanderer von der Insel fernzuhalten.
Die Schweiz ist von den Migrationsbewegungen über das Mittelmeer und vermehrt auch den Balkan ebenfalls betroffen. Das Staatssekretariat für Migration rechnet mit bis zu 30'000 Asylgesuchen in diesem Jahr (in Deutschland werden 450'000 erwartet). Das führt zu Problemen, die Suche nach Unterkünften gestaltet sich schwierig. Im Aargau müssen Asylbewerber in Militärzelten untergebracht werden. Der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi (Lega) schlug im Juni Alarm und regte zu einer vorübergehenden Schliessung der Grenzen an.
Doch Chiasso ist nicht Calais. Zustände wie in Deutschland und Frankreich sind in der Schweiz nicht erkennbar. Das hindert die SVP nicht daran, den «Asylnotstand» heraufzubeschwören. Kein Thema mit Ausnahme der Europapolitik bewirtschaftet die grösste Partei des Landes mit ähnlicher Inbrunst. In einem Wahljahr gilt das erst recht. Auf Plakaten und in Inseraten wettert sie gegen das angebliche «Asylchaos». An der Delegiertenversammlung Anfang Juli forderte Parteichef Toni Brunner die Kantonal- und Ortsparteien zum Widerstand gegen neue Asylzentren auf.
Welches Asylchaos?
Es gab eine Zeit, als auch in der Schweiz Asylheime brannten. In Chur kamen 1989 vier Tamilen ums Leben. Der oder die Brandstifter konnten nie ermittelt werden. Auf dem Höhepunkt der Kosovo-Krise Ende der 1990er Jahre lebten auch bei uns Flüchtlinge auf der Strasse, ähnlich wie in Calais. Und auch heute manifestiert sich an manchen Orten der Widerstand gegen geplante Asylunterkünfte, etwa in Amden oberhalb des Walensees. Dahinter stecken häufig Zuzüger, die auf der Suche nach der heilen Welt nach Amden kamen und nun vom wahren Leben eingeholt werden.
Allerdings existiert in Amden auch eine Gegenbewegung. Mehr als 550 Unterschriften wurden für das geplante Asylzentrum gesammelt. In der Mehrzahl der Gemeinden gibt es keinen erkennbaren Aufstand gegen Flüchtlingsheime, selbst im Aargau, wo der Protest in früheren Jahren besonders heftig war. Toni Brunners Aufruf zum Widerstand stösst bei SVP-Gemeindepolitikern auf praktisch null Resonanz. Sie gewichten ihre Verantwortung für ein funktionierendes Asylwesen höher als den Populismus der Parteiführung.
Der Eindruck mag täuschen, aber die Schweizer Bevölkerung scheint den steigenden Asylgesuchszahlen mit mehr Gelassenheit zu begegnen als früher. Brunners Behauptung, es brenne «in der breiten Bevölkerung bereits lichterloh», lässt sich durch Fakten nicht belegen. Selbst im Tessin, wo der Migrationsdruck aus Italien hoch ist, bleibt die Aufregung der Öffentlichkeit über wachsende Zahlen Asylsuchender aus, schreibt die NZZ in einem Kommentar.
Vielleicht hat sich – endlich – die Erkenntnis durchgesetzt, dass das reiche Europa für die Armen dieser Welt ein Magnet ist und bleibt. Selbst ein x-fach verschärftes Asylgesetz übt keinerlei abschreckende Wirkung aus, schon gar nicht auf Menschen, die lieber den Tod im Mittelmeer oder im Eurotunnel in Kauf nehmen, als auf den Traum vom besseren Leben zu verzichten. Wir können nur versuchen, das Phänomen so gut wie möglich zu bewältigen.
Natürlich fehlt es weiterhin nicht an schrillen Tönen gegen die «Asylanten», erst recht nicht im Social-Media-Zeitalter. Aber SP-Präsident Christian Levrat hat recht, wenn er im Interview mit dem «Tages-Anzeiger» betont, es gebe «keinen Grund gibt für eine hitzige Asyldebatte». Und vielleicht hat auch der frühere FDP-Präsident Franz Steinegger recht, wenn er im watson-Interview der SVP attestiert, sie habe ihr Potenzial ausgeschöpft und werde bei den Wahlen im Oktober stagnieren oder gar leichte Verluste erleiden. Es wäre die verdiente Quittung für ihr Asylgeschrei.
Man soll den Tag nie vor dem Abend loben. Es besteht die Möglichkeit, dass sich die Lage verschlimmert (in Chiasso hat sie sich zuletzt eher entspannt). Die Schweiz aber hat die Mittel, um auch eine grössere Krise zu bewältigen. Calais und Freital sind weit weg.
Ungeachtet dessen, dass manche Kantone (wie z.B. AG) ihre Not-OP-Säle in den Untergeschossen ihrer Spitäler rausreissen, um diejenigen Asylanten, welche sonst auf der Strasse oder unter der Bücke sässen, unterbringen zu können. Mittlerweile werden sogar Armeezelte aufgestellt, wo zahlreiche Wirtschaftsflüchtlinge solange lagern, bis man sie in der kühleren Jahreszeit in den Zivilschutzanlagen unterbringen wird. Im Tessin beginnt man sie in kostengünstiger Weise in Pensionen und Hotels einzuweisen, während in Chiasso SBB (siehe RUNDSCHAU, aber auch die eindrücklichen Bilder unlängst in 10vor10) der Andrang mittlerweile so gross ist, dass die Zöllner nach dem "Asyl-Asyl" nur noch irritiert und hilflos in die Richtung der überfüllten Aufnahme weisen.
Aber, nota bene, es herrscht kein Notstand - alles in bester Ordnung und mit links schläft es sich besser 😀! Und so staunt der Laie und der Fachmann wundert sich, dass sich nun auch die christliche CVP den Forderungen der SVP (natürlich in völlig überflüssiger Weise) vermehrt annähern wird 😉!
http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/CVP-fordert-Bargeldverbot-fuer-Asylbewerber/story/27905066
Es gibt eine Lösung, um zu verhindern, dass keine oder weniger Flüchtlinge ins Land kommen. Die Lösung heisst nicht Abschottung, sondern Konfliktlösung.
Weshalb kann ein reiches, europäisches Land nicht eine "Patenschaft" für ein ärmeres Land aufnehmen? Wo man VOR ORT den Leuten hilft, ein lebenswerteres Leben zu führen. Wo man ihnen zeigt, wie Demokratie funktioniert, um sie von Diktatur zu lösen. Wo man ihnen zeigt, wie Wirtschaft funktioniert und ihnen die Grundvoraussetzungen zur Verfügung stellt, damit sie eine funktionierende Wirtschaft aufbauen können.
Nur so kann man langfristig garantieren, dass weniger Menschen aus ihrer Heimat fliehen - denn dann haben sie keinen Grund mehr dazu, weil es ihnen dann dort besser geht als jetzt.
Allerdings dürften gerade die Syrer, die sich die Flucht leisten können, nicht so schlecht ausgebildet sein, dass sie nicht nach ein paar Jahren oder eventuell einer Generation ganz normal am europäischen Leben teilhaben können.