Dieses chinesische Auto ist «ein technologischer Quantensprung»
Wir haben ihn letztes Jahr entdeckt: Der C10 ist das Flaggschiff des chinesischen Herstellers Leapmotor, der, wie wir uns erinnern, von Stellantis gesteuert wird. Nach der Zweiradantriebsversion mit 217 PS und jener mit einem thermischen «Range Extender», der ihm eine Reichweite von fast 1000 Kilometern verleiht, ist dies nun die dritte Variante des C10, mit Allradantrieb.
Das Ziel: mehr als nur ein praktisches und vernünftiges Fortbewegungsmittel mit Elektronantrieb anbieten.
Was bleibt den Premium-Modellen?
Während es äusserlich nichts gibt, was die verschiedenen Versionen des C10 voneinander unterscheidet, sieht es unter der Motorhaube ganz anders aus. Für den C10 4x4 überrascht Leapmotor mit einer in dieser Preisklasse neuartigen technischen Entscheidung, einer elektrischen 800-Volt-Architektur. Die Vorteile liegen auf der Hand: effizientere Kühlung und damit weniger Wärmeverlust sowie schnelleres Aufladen.
Ein echter Technologiesprung, der den Ehrgeiz und die Ernsthaftigkeit von Leapmotor zeigt, die Kühnheit eines aufstrebenden Herstellers – man könnte sogar von einem Start-up sprechen –, der sich Dinge leistet, die bisher nur Premiummarken vorbehalten waren.
Die LFP-Batterie mit 81,9 kWh treibt zwei Motoren mit einer Gesamtleistung von 440 kW (598 PS) und einem Drehmoment von 720 Nm an. Der Wagen ist laut Angabe in vier Sekunden von 0 auf 100 und die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 190 km/h. Beeindruckend? Nicht nur das: Im Sportmodus hebt der C10 – der ein Leergewicht von 2,2 Tonnen hat – bei jedem Druck aufs Gaspedal mit einer erstaunlichen Leichtigkeit ab.
Bei ruhiger Fahrweise wird er wieder zahm, zurückhaltend, ohne jemals das Potenzial zu verbergen, das unter dem Pedal schlummert. Und der C10 4x4 kann nicht nur brutal beschleunigen, sondern hat auch eine gute Kurvenlage. Was will man mehr?
Auf Vorsicht spielen
Mit einem angekündigten Verbrauch von 20,5 kWh/100 km lässt der C10 4x4 eine Reichweite von etwa 450 km (WLTP) erwarten. Die Marke hatte uns übrigens in der Vergangenheit überrascht, da im Vergleich zur Realität ein konservativerer Verbrauch für den C10 mit Hinterradantrieb angegeben wurde: Wir wetten, dass es beim 4x4 genauso ist! In jedem Fall ist die gebotene Reichweite mit der angestrebten Familiennutzung, einschliesslich gemischter Strecken und längerer Autobahnfahrten, vollkommen vereinbar.
Überraschenderweise gibt Leapmotor bis zu 180 kW am Schnelllader an. Für eine 800-V-Architektur ist das ehrlich gesagt wenig. Zumindest auf dem Papier. Zumal der Hersteller angibt, dass 20 Minuten benötigt werden, um von 30 auf 80 % Ladung zu kommen, während die gängige Praxis das Angeben der Zeit von 20 auf 80 % ist. Das muss in einem ausführlicheren Test beurteilt werden, aber die Marke scheint auf Nummer sicher zu gehen.
Aus Fehlern lernen
Wie das Äussere entwickelt sich auch das Innere nicht weiter. Oder das, was sich ändert, ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Die bisherigen Unzulänglichkeiten des Infotainmentsystems wurden beseitigt: Schnellzugriffe und Klimasteuerungen sind leichter zugänglich, die Menüführung ist intuitiver und die akustischen Warnsignale sind weniger aufdringlich. Man braucht jedoch einige Minuten, um sich mit dem Wesentlichen auf der Benutzeroberfläche vertraut zu machen, zumal die Übersetzung einiger Befehle ins Deutsche recht fantasievoll ist.
Ansonsten trifft das Innenambiente – wahlweise in Schwarz oder Cognacbraun erhältlich – durch seine Schlichtheit immer ins Schwarze, mit zwei Bildschirmen von ausgezeichneter Qualität (Instrumente und Infotainment) und qualitativ hochwertigen Materialien.
Bei der Geräumigkeit gibt es kaum Änderungen, abgesehen vom Kofferraum, der um einige Liter auf 370 (von 435) bis 1410 Liter verkleinert wurde. Die Anpassung der Lendenwirbelstütze auf den Vordersitzen fehlt leider weiterhin, ein Software-Update reicht in diesem Bereich nicht aus.
Beherrschung und Brutalität
Mit seinen fast 600 PS setzt der Leapmotor C10 nicht nur auf Brutalität. Das Fahrwerk ist sehr souverän: Es absorbiert Unebenheiten zuverlässig, ist unter allen Umständen stabil und verarbeitet die Leistungs- und Drehmomentflut bei starker Beanspruchung, ohne mit der Wimper zu zucken. Es stimmt, dass sich auch die italienischen Zauberer der Stellantis-Gruppe damit befasst haben, um das Konzept zu perfektionieren.
Die Lenkung ist im Komfort-Modus angesichts der Bestimmung als Familienauto jedoch zu leichtgängig, um ein gutes Gefühl für die Fahrbahn zu bekommen. Das Ergebnis verbessert sich im Sportmodus, bleibt aber hinter den besten Referenzen zurück. Dies beeinträchtigt jedoch nicht übermässig die bereits sehr hohe allgemeine Annehmlichkeit.
Alles ist inbegriffen, ausser ...
Ein Blick auf die Preisliste verrät uns, dass es nur eine einzige Option gibt: Die Farbe, die 800 Franken kostet, steht neben dem Originalgrün (kostenlos) und vier weiteren Farbtönen zur Auswahl. Ansonsten ist alles inbegriffen, einschliesslich Fahrhilfen, Lederausstattung, beheizte und belüftete Sitze oder 20-Zoll-Felgen. Mit einem Basispreis von 39 900 Franken und einem mehr als verlockenden Preis-Ausstattungs-Leistungs-Verhältnis, ist der Leapmotor C10 4x4 allein schon ein Manifest.
Mit einer erstaunlichen Reife für eine noch junge Marke ist der C10 ein stimmiger, ehrgeiziger und technisch solider Vorschlag. Er scheint die etablierte Ordnung stören zu wollen und setzt sich mit unerwartetem Selbstbewusstsein für sein Anliegen ein. Einige wenige, und ich gehöre dazu, haben Leapmotor nicht so schnell auf diesem Niveau erwartet, was diesen C10 noch interessanter macht!
Jérôme Marchon ist ...
... seit seiner frühesten Kindheit ein leidenschaftlicher Auto-Fan. Seine berufliche Karriere begann er in der Finanzbranche, trug aber schon früh zum Aufbau eines Auto-Blogs bei – bis er schliesslich seinen eigenen Blog gründete. Sein weiterer Weg führte ihn in die Chefredaktion der «Revue Automobile». Seit 2018 ist er freiberuflich tätig und schreibt für verschiedene Auto- und allgemeine Print- und Digital-Medien in der Schweiz und im Ausland. Jérôme Marchon arbeitet auch als Übersetzer und Berater für redaktionelle Inhalte für Automobilveranstaltungen und Autohersteller.
