Wir beginnen mit dem direkten Vergleich aller bisher absolvierten Rennen, welche die beiden Ski-Dominatoren bestritten haben und werfen das Augenmerk auf erreichte Meilensteine.
Es fällt auf, dass Hirscher im Weltcup schneller Fuss fassen konnte, aber im letzten Jahr hat Odermatt eine Schippe draufgelegt. Was aber auch feststeht: Der Nidwaldner muss seine aktuelle Pace wohl mehr oder weniger über die nächsten fünf Jahre halten, wenn er die Rekorde von Hirscher wirklich gefährden will. Dafür braucht es auch Glück, um ohne grössere Verletzungen durch die Saisons zu kommen und vor allem auch die Motivation, so lange auf allerhöchstem Niveau fahren zu wollen.
22 Jahre, 1 Monat und 29 Tage war Marco Odermatt alt, als er am 6. Dezember 2019 in Beaver Creek den Super-G gewann und sich fortan Weltcupsieger nennen durfte. 41 Rennen benötigte er, bis er erstmals zuoberst auf dem Treppchen stand.
Im Vergleich zu den jüngsten Siegern im Weltcup war Odermatt ein Spätzünder. Der jüngste Sieger aller Zeiten ist Piero Gros, der beim Triumph im Riesenslalom von Val d'Isère im Jahr 1972 lediglich 18 Jahre und 39 Tage alt war. Auch Marcel Hirscher war mit 20 Jahren, 9 Monaten und 11 Tagen deutlich jünger als der Schweizer (im 38. Rennen der Karriere).
Den Rückstand von über einem Jahr machte Odermatt im Alter von etwas über 25 Jahren wett. Da der Schweizer im Oktober und der Österreicher im März Geburtstag haben, feiern sie saisonbedingt immer zu unterschiedlichen Altesphasen ihre Weltcupsiege. Mit aktuell 26,5 Jahren liegt der Nidwaldner wieder vorne. Um seinen Vorsprung über die Saison hinaus zu verteidigen, muss er bis im März auf über 39 Siege kommen – fünfmal in den letzten neun Rennen muss er also noch zuoberst auf dem Podest stehen.
Bis zu seinem Rücktritt im September 2019 absolvierte Marcel Hirscher zwölf vollständige Saisons im Weltcup. In seinen letzten acht Weltcup-Wintern gewann er dabei immer den Gesamtweltcup.
Was auch hier auffällt: Hirscher legte den besseren Start in die Karriere hin, Odermatt benötigte fünf Winter, um einigermassen auf Touren zu kommen. Allerdings fährt er seit seiner sechsten Saison so dominant, dass er den Österreicher seither in Sachen Weltcuppunkte immer übertrumpfte.
Dem Schweizer hilft sicherlich auch, dass er in drei Disziplinen am Start ist, Hirscher fokussierte sich meist auf zwei. In seiner achten Weltcupsaison hat Odermatt aktuell noch die Chance, in neun Rennen (2x Abfahrt, 2x Super-G, 5x Riesenslalom) sein Punktekonto mit maximal 900 Zählern zu äufnen. Sein letztjähriger Rekord von 2042 Punkten wackelt gewaltig, denn aktuell steht er schon bei 1506 Zählern.
Hirscher gewann über 90 Prozent seiner Punkte in seinen Liebelingsdisziplinen Slalom und Riesenslalom. Bei Odermatt verteilen sich die Zähler gleichmässiger auf drei Disziplinen, auch wenn der Riesenslalom noch klar die beste Sparte des Nidwaldners ist.
Auch bei den Podestplätzen zeigt sich ein ähnliches Bild: Hirscher fuhr schon in den ersten Saisons auf Treppchen – erstmals in seinem 10. Rennen. Odermatt brauchte etwas länger, um auf Touren zu kommen. In den letzten beiden Wintern dominierte er aber klar und hat Hirschers Bestmarke von 19 Podestplätzen in der Saison 2022/23 mit deren 22 bereits übertroffen. Gut möglich, dass die laufende Saison noch besser wird. Der 26-Jährige steht aktuell bei 16 Top-3-Platzierungen bei noch neun ausstehenden Rennen.
Zum Abschluss noch eine Spielerei. Da die Preisgelder sich – wie fast in allen Sportarten – nach oben entwickeln, ist Hirscher hier benachteiligt, da seine Karriere knapp zehn Jahre früher begann.
Der Österreicher kassierte alleine im Weltcup rund 4,3 Millionen Franken während seiner zwölf Jahre. Odermatt steht aktuell bei rund 2,5 Millionen, die achte Saison ist aber noch im Gang und seinen eigenen Preisgeldrekord von 822'400 Franken vom letzten Jahr könnte er durchaus noch übertreffen.
Es steht noch in den Sternen, ob Marco Odermatt oder Marcel Hirscher als der erfolgreichste Skifahrer der Geschichte eingehen wird. Am Ende zählen all die Weltcup-Podestplätze und -siege oder auch kleinen Kristallkugeln nur zu einem Bruchteil.
Was den erfolgreichsten Skifahrer am deutlichsten ausmachen wird, sind die Anzahl Gesamtweltcupsiege. Hirscher hat in seiner Karriere acht grosse Kugeln gesammelt. Bei seinem letzten Triumph war er 30 Jahre alt.
Odermatt wird in diesem Jahr seine dritte grosse Kristallkugel erhalten. Zudem führt er aktuell in den Disziplinen Riesenslalom, Super-G und Abfahrt. Bei zwei der Wertungen müsste es schon fast mit dem Teufel zu und her gehen, wenn er diese nicht gewinnt. In der Abfahrt zeichnet sich für die letzten beiden Rennen ein enges Duell ab.
Möchte der Schweizer mit Hirscher mindestens gleich ziehen, müsste er noch fünf weitere gewinnen. Dann wäre er mindestens 31 Jahre alt. Hirscher trat mit 30 zurück.
Mir ist es egal ob Odermatt Hirscher ein- oder überholt.
Ich freue mich einfach an seiner momentanen Stärke und gefühlten Leichtigkeit.