Wie geht es mit Parler weiter?
Nach dem Rauswurf bei Apple, Google und den Amazon Web Services (AWS) erhalten die Parler-Veranwortlichen offenbar technische Unterstützung, die ihrerseits wieder für Stirnrunzeln und Bedenken sorgt. Zum einen durch einen umstrittenen US-Provider, der schon berüchtigten Neonazis half. Zum andern durch russische Internet-Unternehmer.
Ob sich rechtskonservative Amerikaner schon bald über eine russisch-amerikanische App austauschen können, ist aber fraglich. Dieser Beitrag fasst die wichtigsten Fakten am Tag vor der Amtsübergabe in Washington D.C. zusammen.
Die bei der amerikanischen extremen Rechten beliebte Social-Media-Website Parler sei dank der Hilfe eines Tech-Unternehmens in russischem Besitz teilweise wieder online, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters am Dienstag.
Dabei soll es sich um das IT-Sicherheitsunternehmen DDoS-Guard handeln, das Webseiten-Betreibern Schutz vor Server-Überlastungsangriffen (DDoS-Attacken) bietet. Bekanntester Anbieter solcher Verteidigungslinien ist das US-Unternehmen CloudFlare. DDoS-Guard sei das russische Pendant.
DDoS-Guard führe auf seiner Webseite eine Postadresse in Schottland unter dem Namen Cognitive Cloud LP auf. Diese Firma gehöre aber zwei Russen aus Rostow am Don.
Allerdings ist unklar, wer als Hosting-Provider den Betrieb von Parler gewährleisten soll und die User-Daten speichert.
Zurzeit wird beim Aufrufen von parler.com mit dem Browser lediglich eine statische Webseite angezeigt.
Interessant: Bei der Internet-Domain parler.com ist die US-Firma Epik (als Registrar) eingetragen worden. Es ist aber nicht klar, ob Epik auch als Webhosting-Provider dient.
Ein Internet-Experte hatte zu Reuters gesagt, die von Parler benutzten Internet-Adressen gehörten zur Firma DDoS-Guard. Das Unternehmen hat in der Vergangenheit mit Betreibern rassistischer Web-Angebote zusammengearbeitet, aber die mehrjährige Zusammenarbeit mit dem bei Rechtsextremen beliebten 8kun (ehemals 8chan) eingestellt. Zudem schützt DDoS-Guard auch Webseiten der russischen Regierung, wie die Verantwortlichen laut «Guardian» bestätigten.
Parler-Kritiker sagten laut Reuters, es sei ein potenzielles Sicherheitsrisiko, von einer russischen Firma abhängig zu sein, und ausserdem sei es eine seltsame Wahl für eine Website, die bei selbsternannten US-Patrioten beliebt sei.
Russische Propaganda habe die politischen Spaltungen in den Vereinigten Staaten vorangetrieben, ruft der Bericht in Erinnerung. Der abtretende US-Präsident Donald Trump sei durch Wladimir Putin und das Regime in Moskau unterstützt worden: auch mit Fehlinformationen zu angeblichem Wahlbetrug und Fake News zu Protesten gegen Polizeibrutalität.
Parler-Chef John Matze und DDoS-Guard wollten sich laut Reuters-Bericht nicht zu den Recherchen äussern.
In einem Update am Montag verlinkte parler.com auf ein Fox-News-Interview, in dem Matze sagte, er sei «zuversichtlich», dass Parler Ende Januar zurückkehren werde.
Allerdings dürfte der Zugang zu den beiden dominierenden Smartphone-Plattformen Android und iOS erschwert bleiben. Eine Android-Version könnte auch ausserhalb des Google Play Store verfügbar gemacht werden. Das Installieren der iOS-Version (iPhone und iPad) wäre nur über den offiziellen App-Store möglich – und da hat Apple bereits erklärt, dass dies nur zugelassen werde, wenn die Moderation verbessert werde. Parler müsste also gegen die eigenen Grundsätze verstossen, wonach Hass und Hetze unter Meinungsfreiheit gehen.
Parler war aus dem Internet verschwunden, als es von dem Webhoster und anderen Partnern wegen ungenügender Moderation der Inhalte fallengelassen wurde. Parler-User hatten zuvor zu Gewalt aufgerufen und Videos gepostet, die den Sturm auf das Kapitol am 6. Januar verherrlichten.
Die amerikanische Non-Profit-Organisation ProPublica, die Investigativ-Journalismus fördert, hat am Montag mehrere hundert Videos vom Sturm auf das Kapitol veröffentlicht. Die von Parler-Usern hochgeladenen Aufnahmen zeigen, wie ein Mob in das Parlamentsgebäude eindrang.
ProPublica hat gemäss eigenen Angaben Tausende von Videos überprüft, die öffentlich bei Parler hochgeladen wurden und von einer Programmiererin archiviert wurden, bevor Parler von seinem Webhoster offline genommen wurde. Die Aufnahmen werden auch von den Strafverfolgungsbehörden verwendet, um mutmassliche Täter zu überführen.
Die finanziellen Verhältnisse sind unklar.
Frühere Berichte führten zur rechtskonservativen amerikanischen Milliardärsfamilie Mercer und nach Russland.
Im November 2020 machte der Amerikaner Dave Troy auf Auffälligkeiten aufmerksam und spekulierte öffentlich über die Russland-Verbindungen von Parler. Demnach soll auch der Trump-Berater und Anwalt Rudy Giuliani bei der Finanzierung von Parler eine Rolle gespielt haben.
Troy beschreibt sich selbst als «Desinformations-Forscher, Denker, Autor, Unternehmer, TED-Sprecher und Datenvisualisierungsfreak». Im November 2020 veröffentlichte er bei Twitter einen äusserst aufschlussreichen Thread zu seinen Recherchen zum Parler-Gründer John Matzke, der 2016 in Las Vegas eine Russin kennenlernte und heiratete.
Zu den Parler-Financiers gehört laut US-Medienberichten Rebekah Mercer, die Tochter des US-Milliardärs Robert Mercer, die schon den Aufbau des Hass-Portals Breitbart mitfinanziert hatte. Die Mercers unterstützten Trumps ersten Wahlkampf mit mehreren Millionen Dollar und finanzierten auch Cambridge Analytica. Das ist die nach dem Datenskandal aufgelöste britisch-amerikanische Firma, die illegal Daten von 50 Millionen Facebook-Nutzern sammelte und den Wahlkampf 2016 zugunsten von Trump beeinflusst haben soll.
Der Schweizer Journalist Felix Schindler kommentiert:
Parler soll laut eigenen Angaben über 12 Millionen User gezählt haben und hofft wohl, einen Grossteil davon auch für eine neue Social-Media-Plattform zu gewinnen. Das zukünftige Geschäftsmodell ist allerdings unklar. Bei der stillgelegten Plattform war auf Werbung verzichtet worden.
Seit Sonntag (US-Ortszeit) ist parler.com wieder erreichbar. Die Social-Media-Plattform funktioniert aber nicht. Auf der statischen Webseite wird zunächst nur eine Mitteilung des Parler-Gründers und Geschäftsführers John Matzke, angezeigt, wonach an der Wiederherstellung der Plattform gearbeitet werde. Später werden weitere Beiträge aufgeschaltet. Unter anderem ein Link zu einem Fox-News-Video, in dem der Parler-Chef ein Comeback bis Ende Januar in Aussicht stellt.
Parler website is back up.
— Adam Sculthorpe (@AdamSculthorpe) January 17, 2021
With a DDos-Guard IP, exactly as I predicted the day it went offline. DDoS Guard is the Russian equivalent of CloudFlare, and runs many shady sites.
RiTM (Russia in the middle) is one way to think about it.#Parler pic.twitter.com/gFhdWCytrT
Die Non-Profit-Organisation ProRepublica, die investigativen Journalismus in den USA fördert, veröffentlicht auf ihrer Website hunderte Parler-Videos vom Sturm auf das Kapitol.
Kurz bevor Amazon Parler am Montag den Stecker zieht, gelingt es Internetaktivisten laut eigenen Angaben, 99,9 Prozent der Parler-User-Inhalte herunterzuladen. Dabei können sie angeblich Dutzende Terabyte an Textbeiträgen, Videos und Fotos erbeuten – inklusive bereits gelöschter Postings. Auch an Originalfotos samt Metadaten vom Sturm auf das Kapitol sei man auf diesem Weg gelangt, heisst es.
Google und Apple werfen die Parler-App aus ihren App-Stores und verbannen Parler von ihren mobilen Plattformen. Die Amazon-Tochter AWS stellt das Webhosting für Parler ein, so dass keine Inhalte mehr abgerufen werden können.
Zur Begründung führten die Techgiganten an, dass Parler keine ausreichenden Regelungen zum Schutz vor gefährlichen Inhalten treffe. Amazon nennt als Beispiel User-Beiträge wie «Nur ein toter Demokrat ist ein guter Demokrat. Tötet sie alle.» Hingegen pocht der Parler-Chef auf das Recht auf freie Meinungsäusserung und behauptet, die meisten problematischen Beiträge seien entfernt worden. Beleidigungen – wie etwa gegen die ehemalige First Lady Michelle Obama – seien hasserfüllt, aber durch die US-Verfassung geschützt.
Beim Sturm auf das US-Kapitol kommen fünf Menschen ums Leben. An den gewaltsamen Protesten sind viele Parler-User beteiligt, die mit ihren Smartphones filmen und tausende Videos auf der Social-Media-Plattform veröffentlichen.
Der US-Amerikaner Dave Troy spekuliert öffentlich über die Russland-Verbindungen des Parler-Gründers John Matzke. Dieser hatte 2017 in Russland eine Russin geheiratet, die er 2016 in Las Vegas kennenlernte. Troy argumentiert, dass es sich bei Parler um «eine gross angelegte Operation» handle, die «mit russischen Interessen verbunden» sei.