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Troll-Fabrik in Polen: Verdeckte Journalistin zeigt auf, wie sie funktioniert

epa07879695 Polish President Andrzej Duda (C) delivers a speech during a commemorating ceremony at the Polish Military Cemetery in Lommel, Belgium, 29 September 2019. The official ceremony commemorati ...
Polens Präsident Andrzej Duda von der rechten Regierungspartei PiS.Bild: EPA

Reporterin arbeitet undercover in Troll-Farm – das hat sie erlebt

Dank einer polnischen Journalismus-Studentin gibt es seltene Einblicke in ein Business, das mit Fake-Profilen bei Twitter und Facebook funktioniert.
31.10.2019, 16:4701.11.2019, 11:47
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Die Journalismus-Studentin Katarzyna Pruszkiewicz hat sechs Monate lang verdeckt für eine Troll-Fabrik in Warschau gearbeitet. Mit dem Ziel, die (un)heimlichen Machenschaften der Firma und deren Einfluss auf Social Media zu enthüllen.

Die Ergebnisse ihrer Recherche hat sie vor wenigen Tagen veröffentlicht, in Kooperation mit dem Recherche-Kollektiv Investigate Europe. Das ist ein Zusammenschluss von Journalisten aus acht Ländern Europas, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, «transnationale Strukturen» sichtbar zu machen und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen.

Gemeinsam mit anderen Trollen habe Katarzyna fast 200 Profile bei Facebook, Twitter und Instagram bedient, habe tausende Nachrichten und Kommentare geschrieben, habe provoziert und für reiche und mächtige Kunden geworben, hält die deutsche Ausgabe von Buzzfeed News fest.

«Ich war ein halbes Jahr lang ein Troll. Ich habe staatlichen Unternehmen gedient und falsch informiert.»
Katarzyna Pruszkiewicz, Journalistinquelle: newsweek.pl

Was kam heraus?

watson fasst die wichtigsten und zum Teil erschreckenden Erkenntnisse zusammen:

  • Katarzyna Pruszkiewicz ist eine der wenigen Journalistinnen, die aus eigener praktischer Erfahrung berichten können, wie eine Troll-Fabrik funktioniert.
  • Sie hat sich auf eine Online-Stellenausschreibung beworben – und wurde prompt angestellt.
  • Bei der Firma Cat@Net handelt es sich laut ihrem Bericht um eine professionelle «Troll-Farm», in Polen, mit Verbindungen in der Rüstungsindustrie.
  • Die Firma erhält staatliche Fördergelder, weil sie Menschen mit Behinderungen im Home-Office anstellt.
  • Als erste Aufgabe sollte Katarzyna ein Twitter-Profil anlegen, auf dem sie «gesellschaftliche und politische Inhalte» verbreitete und Follower gewann.
  • «Katarzynas Troll-Profil kommentiert einen grossen Lehrerstreik in Polen und stellt sich auf die Seite der Regierung, denn Lehrer seien ein Haufen Diebe. Sie attackiert die liberale polnische Schauspielerin Maja Ostaszewska. Und sie schreibt, wie unglaublich langweilig eine TV-Doku über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche Polens angeblich gewesen sei.»
  • Nachdem sie das Vertrauen ihrer Vorgesetzten gewonnen hat, steigt Katarzyna selber zur Troll-Managerin auf. Sie hat nun die Aufsicht über 8 andere Trolle und muss «alle Kommentare in Excel-Tabellen sammeln und an ihre Chefs schicken – täglich, wöchentlich und monatlich».
  • 14 von der Firma bezahlte Trolle bedienen fast 200 Fake-Profile, viele hätten tausende Follower, einige Beiträge seien zehntausende Male angesehen worden.
  • Die Fake-Profile orientieren sich «entweder weit links oder weit rechts und sollen so Vertrauen in den jeweiligen Gemeinschaften aufbauen – eine typische Taktik für das effiziente Verbreiten von Falschinformationen».
  • Zu den Kunden der Troll-Firma gehört der staatliche polnische Fernsehsender TVP, der unter der rechten PiS-Regierung zu einem Propaganda-Kanal geworden sei. Allerdings ist laut Buzzfeed nicht klar, wie genau die Zuständigen im Bild sind über die Fake-Profil-Machenschaften.
  • Laut einer unabhängigen Online-Auswertung haben die Trolle in knapp zwei Jahren rund 15'000 Beiträge über TVP veröffentlicht
  • Die Troll-Farm attackierte dabei «auch andere, private TV-Sender und Zeitungen sowie die Firma Nielsen, die in Polen die TV-Einschaltquoten misst».
  • Eine weitere Kampagne machte für den polnischen Rüstungskonzern PZL Świdnik Stimmung.
  • Die Trolle unterstützen nicht nur Kunden, die dem Lager der rechten Regierungspartei PiS nahestehen, sondern auch einen linken Politiker.
  • Die Trolle reagieren auf alles, was der Politiker online macht. Zusätzlich reagieren rechte Troll-Accounts auf die linken Fake-Profile, um Interaktionen zu erzeugen.
  • Die Verantwortlichen streiten alles ab (siehe auch unten):
Dieser polnische Troll-Account ist noch immer aktiv – und wirbt für die rechte PiS-Regierung.
Dieser polnische Troll-Account ist noch immer aktiv – und wirbt für die rechte PiS-Regierung. screenshot: twitter

Wie reagiert die Troll-Firma?

Wie zu erwarten, mit Desinformation.

Wenige Stunden nach einer offiziellen journalistischen Anfrage an Cat@Net für den Buzzfeed-Artikel werden die internen Chat-Gruppen der Mitarbeiter gelöscht.

Nachdem Investigate Europe und Fundacja Reporterów, ein polnisches Journalisten-NGO, die Recherche veröffentlichen, entfernt die Firma fast alle Inhalte von der eigenen Website. Dort findet man nur noch eine lange Stellungnahme, in der die publik gemachten Fakten bestritten werden.

So heisst es:

«Die Firmenführung bestreitet nachdrücklich die Anschuldigungen, dass das Unternehmen eine Troll-Farm ist. Das Geschäftsfeld des Unternehmens ist das Outsourcing von Marketingaktivitäten auf Social-Media-Plattformen. Wir liefern zuverlässige Informationen, sprechen im Namen unserer Kunden, fördern deren Produkte und Dienstleistungen wie jede Agentur dieser Art. (...)
Der Vorstand des Unternehmens bestreitet nachdrücklich, dass von Mitarbeitern des Unternehmens geführte Influencer-Accounts Hass, Hassreden oder Fehlinformationen verwenden.»
quelle: catatnet.pl (Übersetzt mit deepl.com)

Warum tut Investigate Europe das?

Investigate Europe ist gemäss eigenen Angaben ein paneuropäisches Journalistenteam, das gemeinsam Themen von europäischer Relevanz recherchiert und europaweit veröffentlicht. Zu ihrer Motivation schreiben die Journalisten:

«Angesichts einer Reihe von Krisen, die den alten Kontinent lähmen, sind die Europäer bestürzt. Die meisten wissen, dass unser Leben von Entwicklungen weit über unsere nationalen Grenzen hinaus beeinflusst wird. Die meisten wissen, dass die Globalisierung uns massiv voneinander abhängig gemacht hat und dass Europa noch nie so integriert war wie heute.

Aber grosse Veränderungen, die von Kräften und Entscheidungsträgern beeinflusst werden, die die Menschen für zu distanziert halten, schaffen Unsicherheit und erzeugen politisches Misstrauen.

Dies eröffnet Raum für populistische Bewegungen, die den Menschen eine Rückkehr in eine einfachere Welt hinter nationalen Grenzen versprechen. Aber die heutige Welt macht nicht an nationalen Grenzen halt. Journalisten sollten das auch nicht tun. (...)»

(dsc)

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61 Kommentare
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Kritiker 2.0
31.10.2019 18:07registriert November 2018
Einer meiner Berufslehrer sagte einst, dass der 3. Weltkrieg schon längstens läuft - per Internet mittels streuen von Falschinformationen, Diffamierung von Gegnern und Beeinflussung der breiten Masse. Leute gegeneinander aufhetzen, bis es eskaliert... Nun ja, so unrecht hatte der gute Herr nicht. 🤨
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DocShi
31.10.2019 16:58registriert Mai 2018
Tja, da Sie, die Journalistin dass ja protokolliert hat, sollte man doch sowas anzeigen können/müssen?
Oder ist das immer noch legal?
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Doppelpass
31.10.2019 17:40registriert Februar 2014
Ich kann mir vorstellen, dass damit gesellschaftliche Spaltkräfte mit gravierenden Folgen erzeugt und gestärkt werden können.
Das Sichtbarmachen ist der erste wichtige Schritt.
Vermutlich braucht es verbindliche Regeln.
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