Unsere Defensive funktioniert perfekt wie ein Uhrwerk. In drei Spielen ist nur einer von 78 Schüssen in unser Netz gefahren: 1:0 gegen Lettland, 0:1 gegen Schweden, 1:0 gegen Tschechien. Die Hockey-Titanic, unsere nominell beste und teuerste Hockey-Nationalmannschaft aller Zeiten, hat nach dem ersten Zusammenstoss mit einem Eisberg (0:1 gegen Schweden) wieder Fahrt aufgenommen.
Wir haben in Unterzahl keinen Gegentreffer kassiert. Wir sind im Boxplay das beste Team des bisherigen Turniers. Deshalb ist immer noch alles möglich. Sogar das olympische Finale.
Die historische defensive Stabilität kompensiert nämlich die offensive Schwäche. Bloss 2 von 91 Schüssen der Schweizer den Weg ins Tor gefunden. Wir haben im Powerplay noch kein Tor geschossen. Statistisch sind die Schweizer die schlechtesten Chancenverwerter des gesamten Turniers.
Einmal mehr zeigt sich: Im Eishockey werden Spiele in der Defensive gewonnen. Wenn wir uns offensiv nur wenig steigern, ist in Sotschi erst der goldene Himmel unsere Limite.
Diese geradezu sensationelle Abwehrleistung auf allerhöchstem Welt-Niveau hat viel mit einem neuen Traumpaar zu tun: Zum ersten Mal bilden Mark Streit und Raphael Diaz bei einem Titelturnier ein Verteidigerpaar.
Die beiden haben vorher bloss ein einziges Mal gemeinsam gespielt: Beim Turnier in Arosa während der NHL-Lockout-Saison.
«Sean Simpson hat mich vor dem Turnier gefragt, ob ich mit Diaz spielen möchte. Er habe das Gefühl er würde gut zu mir passen. Ich hatte nichts dagegen», erzählt Mark Streit. «Wir verstehen uns auf dem Eis sehr gut». Eine Aussage, die Raphael Diaz bestätigt: «Mark und ich sprechen die gleiche Hockeysprache und ergänzen uns sehr gut. Wir kommunizieren auf dem Eis viel und gut und deshalb haben wir uns gleich zurechtgefunden.»
Bei seinem letzten Einsatz bei einem Titelturnier (WM 2012) wurde Mark Streit wegen Defensivschwächen und der daraus resultierenden schlechten Plus/Minis-Bilanz arg kritisiert («Captain Minus»). Jetzt wirkt er an der Seite von Diaz ruhig und souveräner.
Ganz offensichtlich hat Raphael Diaz die Fähigkeit, seinen Mitspieler besser zu machen. Bei der Silber-WM sorgte Diaz dafür, dass Roman Josi (jetzt mit Yannick Weber) neben ihm der überragende Verteidiger und am Schluss sogar der wertvollste Spieler des Turniers wurde (MVP). Jetzt macht er selbst einen Titan wie Mark Streit besser.
Der ehemalige Zuger Junior, ausgebildet auch von Sean Simpson, verteidigte hier in Sotschi auf Augenhöhe mit Mark Streit und Roman Josi. Nur diese drei Verteidiger kamen bisher auf durchschnittlich mehr als 21 Minuten Einsatzzeit. Raphael Diaz dürfte der meistunterschätzte Schweizer Verteidiger der Gegenwart sein.
Not gonna lie I'm a fan of the Swiss @diaz_raphael_61 is a big reason of that
— Chad 2 goals Diaz (@CvDiaz66) 15. Februar 2014
Das defensive Uhrwerk der Schweizer erstaunt die Hockeywelt. Ken Campbell von der kanadischen Hockeybibel «Hockey News» sagt, dass die Schweizer sogar Olympiasieger werden können. Sean Simpson bleibt bei solchen Komplimenten gelassen. «Die nächste Niederlage bedeutet das Ausscheiden. Also behalten wir die Füsse auf dem Boden.»
Die Stürmer treffen (fast) nicht. Aber sie zermürben zumindest ihre Gegenspieler. Nino Nidederreiter ist der wirkungsvollste, bissigste, wuchtigste Offensivspieler. Er fährt den Gegenspieler unter die Haut.
#Niederreiter spielt einmal mehr überragend. Kein anderer Schweizer hat solches Durchsetzungsvermögen.
— Silvan Schweizer (@SchweizerSilvan) 15. Februar 2014
«Ich habe den Rhythmus mitgenommen und spiele einfach hier so weiter wie in der NHL», erklärt er seinen Rumpelstil. Mit einem ungeahndeten Stockschlag brachte er den tschechischen Superstar Jaromir Jager an den Rande des Ausrastens.
Der Bündner verkörpert die Schweizer Offensivspieler: Sie funktionieren im Abwehrdispositiv perfekt. Aber sie erzielen zu wenig Tore. Letztlich führte ein kluger Wechsel von Sean Simpson gegen die Tschechen zur Entscheidung.
Er liess Zugs Reto Suri auf der Tribüne und holte Klotens Simon Bodenmann wieder ins Team. Bodenmann erzielte den einzigen Treffer mit einem Hocheckschuss, der wie ein Laserstrahl ins Netz fuhr.
Der Samstag war also für das Schweizer Hockey der Tag der Abwehr. 67 Pucks flogen gegen das Gehäuse der Schweizer und Schweizerinnen – und keiner ging rein. Die Männer siegten 1:0 gegen Tschechien, die Frauen 2:0 gegen Russland. Nach wie vor sind auch zwei Hockey-Medaillen möglich.