In der Industriestadt Tuzla im Nordosten Bosnien-Herzegowinas zündeten schätzungsweise 10'000 Protestierende das Gebäude der regionalen Regierung an. In den vergangenen Jahren war Tuzla nach der Privatisierung von Unternehmen besonders stark von Fabrikschliessungen betroffen.
«Das ist ein echter bosnischer Frühling», sagte der arbeitlose Wirtschaftswissenschaftler Almir Arnaut in Tuzla unter Anspielung auf die Aufstände in arabischen Ländern in den vergangenen Jahren. «Wir haben nichts zu verlieren, und es werden immer mehr von uns auf die Strasse gehen. Schliesslich gibt es rund 550'000 Arbeitslose in Bosnien.» Das Land hat rund 3,7 Millionen Einwohner.
Auch in der Hauptstadt Sarajevo setzten Demonstranten den Sitz der Regionalregierung in Brand. Zudem setzten sie einen Trakt des Präsidialamtes in der Hauptstadt Sarajevo in Brand. Ein Reuters-Reporter berichtete, Regierungsgegner hätten Fenster in dem Gebäude eingeworfen und eine Fackel ins Innere geworfen. Die Polizei habe versucht, die Demonstranten mit einem Wasserwerfer auseinanderzutreiben.
Teilweise gewaltsame Proteste gab es auch in Zenica, Bugojno, Cazin, Bihac und in vielen weiteren Städten. «In diesem Land ereignet sich ein Tsunami der bestohlenen Bürger», sagte Innenminister Fahrudin Radoncic in Sarajevo.
Seit dem Bürgerkrieg (1992-1995) steckt Bosnien in einer von den Politikern verschuldeten Sackgasse, wie das EU-Parlament in Strassburg erst am Vortag wieder gerügt hatte. Eine wirtschaftliche Erholung wird dadurch erschwert, dass wirtschaftliche und politische Posten nach einem Quotensystem unter den drei Volksgruppen Serben, Kroaten und Bosniern vergeben werden müssen.
Der Staatshaushalt wird zum grössten Teil von der ineffektiven Verwaltung und Korruption aufgezehrt. Grosse Teile der Bevölkerung sind bitterarm. Weil die Industrie zerstört ist und ausländische Investitionen ausbleiben, ist auch keine Besserung in Sicht.
Der Innenminister rief die Regionalregierung in Tuzla auf zurückzutreten. Die Polizisten sollten keine Gewalt gegen ihre Mitbürger anwenden, verlangte der Spitzenpolitiker weiter. Denn die Polizisten hätten wegen Geldmangels nicht einmal «vernünftige Uniformen» und ihre Familien seien genauso verarmt und von der Politik gebeutelt wie die Demonstranten. Die Demonstrationen dauern seit Mittwoch an. Nach offiziellen Angaben lebt ein Fünftel der Bosnier in Armut. (kub/sda/dpa/reu/afp)