«Nach Kontakten mit den wichtigsten Akteuren in den letzten Wochen kommen wir zum Schluss, dass sich die Situation verbessert hat. [...] Ein klares ‹Nein› zur Beschaffung ist so gut wie ausgeschlossen und eine Verschiebung ist unwahrscheinlich.» Diese Worte mit dem Vermerk «sehr dringend» sandte der schwedische Botschafter in der Schweiz, Per Thöresson, am 22. August 2013 in die Heimat – vier Tage vor der entscheidenden Sitzung der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SiK-N), wo der Kauf des Kampfjets Gripen auf der Traktandenliste stand. Das schwedische Radio hat entsprechende Geheimunterlagen gestern auf seiner Website aufgeschaltet.
Thöresson behielt recht, die vorberatende Kommission sprach sich für den Kauf des Gripen aus. Spannender ist aber, dass der Botschafter gemäss den Dokumenten einen aktiveren Einfluss auf den parlamentarischen Prozess in der Schweiz ausübte als bisher bekannt war. So lud er diejenigen Sicherheitspolitiker zum Gespräch, von denen er sich einen Meinungsumschwung erhoffte. Diese waren insbesondere in der FDP zu finden, hatte sich die Partei im Frühling zuvor doch kritisch gegenüber dem Gripen-Kauf geäussert.
Eine der umgarnten Parlamentarierinnen ist die Aargauer FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger. Sie bestätigt auf Anfrage das Treffen, das in der schwedischen Botschaft stattgefunden hat. Sie habe viele Fragen zum Vertrag zwischen Saab und Schweden gehabt, daher sei es sinnvoll gewesen, sich mit Leuten zu unterhalten, die Einblick gehabt hatten. Selber habe sie den Vertrag nie zu Gesicht bekommen.
Die Antworten, die sie bekommen hat, fielen offenbar zufriedenstellend aus – Eichenberger stimmte in der entscheidenden Sitzung für den Gripen-Kauf. «Insofern hat das Treffen bei der Entscheidungsfindung eine Rolle gespielt. Beeinflusst wurde ich aber nicht, ich habe mir meine Meinung selbst gebildet», so Eichenberger.
Die FDP-Mitglieder waren aber nicht die Einzigen, die gezielt angegangen wurden. Auch Kommissionspräsident Thomas Hurter (SVP/ZH) galt als Knacknuss. Botschafter Thöresson rapportierte nach dem Treffen – «einem fast zweistündigen Lunch-Meeting» – nach Stockholm: «Wir gingen zusammen die Argumente durch, die er verwenden kann, um seinen Meinungsumschwung zu erklären.»
Hurter zeigt sich auf Anfrage empört über die Passagen, in denen er erwähnt wird. Wenn der Botschafter glaube, er habe auf ihn einwirken können, «irrt er sich gewaltig», so Hurter. Da er wegen der «falsch kolportierten Tatsachen persönlich enttäuscht» sei, habe er den Kontakt mit Thöresson abgebrochen. Schweden müsse sich überlegen, wie es weiterfahren wolle. «Für mich ist er nicht mehr tragbar», so Hurter.
Politisches Fingerspitzengefühl hat der Botschafter in seinen Berichten tatsächlich wenig gezeigt. Er erachtete es beispielsweise als Risiko, dass sich der damalige Bundespräsident Ueli Maurer während der Kommissionssitzung beleidigend äussern könnte. Maurers Verteidigungsdepartement sagte, dass es die Dokumente prüfe. Zum Inhalt wollte sich das VBS nicht äussern.
Die grosse Frage bleibt, wie die brisanten Dokumente in die Hände des schwedischen Radios gelangten. Der Zeitpunkt der Publikation – keine drei Wochen vor der Gripen-Abstimmung – ist für das Lager der Befürworter äusserst ungünstig. Eichenberger schliesst deshalb nicht aus, dass das Leck bei unterlegenen Kampfjet-Anbietern oder den Nachrichtendiensten derer Staaten liegen könnte – diese hätten ein Interesse daran, dass der Gripen-Deal scheitert.