«Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel», sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am Wochenende und kündigte gleichzeitig den zweiten Lockdown für Österreich an. Private Treffen seien auf das absolute Minimum zu reduzieren, das Haus verlassen darf man nur noch bei triftigen Gründen. Supermärkte, Apotheken und Banken bleiben zwar geöffnet – die restlichen Geschäfte müssen jedoch schliessen. Vergleichen wir die Situation in Österreich mit der hierzulande.
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Die Fallzahlen von Österreich und der Schweiz bewegten sich über lange Zeit auf ähnlichem Niveau. In den letzten drei Wochen zeichnete sich jedoch bei uns ein Rückgang der Neuinfektionen ab, in Österreich zeigt die Kurve jedoch noch immer nach oben. Auch wenn das Niveau noch nicht auf «unseren Rekordwerten» von Anfang November ist, sieht Kanzler Kurz grossen Handlungsbedarf.
Mit den aktuellen Entwicklungen darf man in der Schweiz gemäss BAG «vorsichtig optimistisch» sein. In den folgenden Punkten zeigt sich jedoch: Die Situation in der Schweiz ist nicht deutlich besser als beim Nachbar Österreich.
Absolut gesehen liegen in der Schweiz mehr Personen mit Covid-19 in einem Spital – und weil die beiden Länder mit 8,86 Millionen (Österreich) und 8,57 Millionen (Schweiz) fast gleich viele Einwohner haben, macht die Darstellung der absoluten Zahlen für einmal auch Sinn.
Anteilsmässig wären dies in der Schweiz also gut 45 Personen pro 100'000 Einwohner und Österreich knapp 38. Und die obige Kurve zeigt auch: In beiden Ländern steigt die Anzahl Hospitalisierter an (wenn auch in der Schweiz aktuell weniger stark als in den vergangenen Wochen).
Bei den Intensivpflegebetten liegen wir fast genau gleich auf wie unsere Nachbarn – beide Länder verzeichnen aktuell zwischen 500 und 600 Patienten auf der IPS.
Auch bei den Todesfällen steht die Schweiz keineswegs besser da als Österreich – im Gegenteil: Wir verzeichnen aktuell rund 80 Todesfälle pro Tag – in Österreich waren es in den letzten Tagen zwischen 40 und 50.
Beide Länder testen ungefähr gleich viele Personen. Entsprechend weisen auch beide Länder eine ähnliche Positivitätsrate aus: Sie lag in den letzten Tagen jeweils zwischen 20 und 25 Prozent und ist damit deutlich über der von der WHO empfohlenen Grenze von 5 Prozent.
Die Coronasituation ist in der grössten Österreichischen Stadt Wien verhältnismässig unter Kontrolle. Mehr zu kämpfen hat beispielsweise der nordösterreichische Bezirk Rohrbach, der im Westen an Deutschland und im Osten an Tschechien grenzt. In den letzten 7 Tagen wurden über 1300 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner registriert.
Gemäss der Bezirkshauptfrau Wilbirg Mitterlehner stecken sich die Personen «nach wie vor im privaten Bereich an», aber auch in manchen Firmen gibt es Häufungen. Man habe auch schon Infektionen in Altersheimen festgestellt.
Auch der Tiroler Bezirk Schwaz kommt mit 1291 Neuinfektionen in den letzten 7 Tagen pro 100'000 Einwohner auf einen ähnlich hohen Wert.
In den Top 10 der am stärksten betroffenen Bezirken befindet sich auch das an die Schweiz grenzende Dornbirn.
Bereits seit dem 24. Oktober galten in Österreich wieder strengere Massnahmen. So durften sich in Innenräumen abseits der eigenen vier Wände nur noch bis zu sechs Personen treffen, draussen zwölf. Das galt für Geburtstagsfeste, Kurse und auch für Amateur-Chöre.
In Restaurants durften höchstens sechs Erwachsene an einem Tisch sitzen. Im Aussenraum galt eine Maskenpflicht, wo immer der Abstand nicht eingehalten werden konnte – und zusätzlich an allen Bahnhöfen, Haltestellen und Einkaufspassagen. Abgesehen von der in Österreich geltenden nächtlichen Ausgangssperre waren die Massnahmen also im Grossen und Ganzen vergleichbar mit den aktuellen Regeln in der Schweiz.
Ab heute Dienstag hat die Österreichische Regierung nochmals einen Gang hochgeschaltet. Ab sofort gilt eine «Stay at Home»-Anweisung: Das Haus verlassen darf nur noch, wer wichtige Besorgungen machen, Angehörige pflegen oder das Haus wegen beruflichen Verpflichtungen verlassen muss. Erlaubt sind ausserdem «körperliche und geistige Erholung», ohne dass man dabei andere Menschen trifft. Die neuen Regeln gelten erstmal für drei Wochen.
Meine eindringliche Bitte: Treffen Sie niemanden! Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel. Verbringen Sie ihre Freizeit ausschließlich mit den Menschen, mit denen Sie in einem Haushalt leben. Sollten Sie alleine leben, dann definieren Sie eine Kontaktperson.
— Sebastian Kurz (@sebastiankurz) November 14, 2020
Obwohl die Oktober-Massnahmen einige Tage früher eingeführt wurden als hierzulande, zeichnet sich in Österreich noch keine Stabilisierung der Fallzahlen ab. Die Gründe dafür sind nur teilweise klar. ORF spricht davon, dass man mittels Umfrage der Universität Wien eine gewisse «Pandemiemüdigkeit» festgestellt hat: «Im Frühjahr hatten noch viele Befragte von einem neuen Gefühl des Zusammenhalts der Gesellschaft berichtet, etwa von Unterstützung für Nachbarn, Freunde und Bekannte.»
Das resultierte in einer hohen Zustimmung zu den Massnahmen und einem hohen Verantwortungsbewusstsein. Es gab die Hoffnung, dass das Schlimmste bis zum Sommer ausgestanden sein würde. Von diesem Gefühl sei in der zweiten Welle nicht viel übrig geblieben, schreibt die Studie. Auch habe die Polarisierung der Gesellschaft zugenommen, beispielsweise zwischen Menschen mit unterschiedlicher Haltung zu den aktuellen Beschränkungen.
Diese «Pandemiemüdigkeit» schlägt sich unter anderem in den Mobilitätsdaten nieder. Trotz der Empfehlung, zu Hause zu bleiben, und trotz der nächtlichen Sperrstunde zwischen 20 und 6 Uhr haben sich die Menschen in Österreich nicht gleich stark eingeschränkt wie noch in der ersten Welle.
Interessant ist auch der Blick auf die Schweizer Mobilitätsdaten, die von Apple anonymisiert erhoben werden. Nach einem drastischen Rückgang der Mobilität in der ersten Welle, bewegte man sich im Sommer wieder deutlich mehr als am Referenztag Mitte Januar – was für einen Sommer nicht ungewöhnlich sein dürfte. Inzwischen bewegt man sich wieder mehr oder weniger auf dem Niveau vom Januar. Einzig der öffentliche Verkehr muss gemäss Apple mit Einbussen leben.
Trotz teilweise strengerer Massnahmen gehen mancherorts die Zahlen hoch, in andern Ländern wiederum sinken sie trotz schwächeren Massnahmen. Der Punkt ist doch einfach dass das niemand mehr 100% verstehen kann. Der Sachverhalt ist eindeutig zu komplex, es gibt viel zu viele Variablen. Glücklicherweise muss man aber auch nicht alles verstehen. Sinnvolle Regelungen wie unsere die über Zeit von der Bevölkerung getragen werden können sind sicher sinnvoller als von einem Lockdown in den nächsten zu fliegen und die Zustimmung der Bevölkerung zu verlieren.