Beginnen wir von vorn: Eines Abends lernen Sie Cate Blanchett kennen ...
Ein gemeinsamer Freund brachte
sie in Berlin zu einer Ausstellung von mir mit und stellte uns vor. Wir verstanden
uns auf Anhieb gut und beschlossen, spontan gemeinsam ein Projekt zu
realisieren. Später besuchte ich sie und
ihre Familie in Sydney, und als sie dann in Berlin «Monuments Men» drehte, präsentierte ich
ihr meine Idee zu «Manifesto». Ich glaube,
sie hatte eher mit etwas Nonverbalem gerechnet.
Stattdessen kamen Sie mit
Ausschnitten aus 50 Texten, die Cate Blanchett in 13 verschiedenen Rollen
spricht. Als Film dauern diese Monologe 90 Minuten, als Videoinstallation 130 Minuten.
Miteinander gearbeitet haben Sie aber nur elf Tage lang. Darf ich ganz banal
fragen: Wie hat Cate Blanchett das gemacht?
Wir haben mit allen möglichen
Tricks gearbeitet: Sie hatte einen Knopf im Ohr und hörte damit die Texte, die
sie selbst am Vorabend eingesprochen hatte. Wir hatten grosse Texttafeln im
Hintergrund. Wir steuerten per App den Text auf einem iPhone, das sie vor sich
auf einem Teller liegen hatte. Manche Rollen waren so angelegt, dass sie die
Texte ohne Umwege ablesen konnte, etwa bei einer Begräbnisrede oder wenn sie
als Vorstandsdame ihre Begrüssung von Kärtchen abliest.
Aber all die Akzente, die
dazu gehören, konnte sie ja nirgendwo ablesen, oder doch?
Weil wir so wenig Zeit
hatten, übte Cate ihre Akzente oft auch beim Mittagessen und sass dann als
grantiger, bärtiger Obdachloser am Tisch und machte auf Schottisch Kommentare
über das Essen. Eine Mittagspause ist ja – professionell gesehen – nichts
anderes als kostbare Probezeit, die gibt man ja nicht einfach weg und wird
wieder zur Privatperson.
Es fällt mir sowieso
schwer, die Begriffe «Cate
Blanchett» und «Privatperson» zusammen zu bringen. War
es nicht enorm schwierig, sie überhaupt für ein derartiges Projekt zu
verpflichten?
Cate hatte im Jahr, als wir drehten, den Oscar für «Blue Jasmine» gewonnen, und das hat
unser Projekt natürlich gefährdet. Mit so einem Oscar kommt eine wahnsinnige
Dynamik in die ganze Filmmaschinerie, Projekte, die auf der Wartebank sassen,
werden beschleunigt und nach vorne gebracht, andere werden losgetreten, und plötzlich
sah es so aus, als könnte unsere Zusammenarbeit gar nicht mehr stattfinden.
Und was war die Rettung?
Netterweise entschied sich
ihre ganze Familie, Weihnachten in Berlin zu verbringen. Wir drehten ja direkt
vor Weihnachten, und ihr Mann und die Kinder sind auch Teil unseres Projekts
geworden und spielen in einer Sequenz ihre Filmfamilie.
Das klingt rührend!
Ich war auch sehr gerührt.
Das ganze Projekt war sehr abenteuerlich, die elf Tage waren unvergesslich, ein
Trip, weil wir aufgrund des extremen Zeitdrucks und der verschiedensten Welten,
die wir jeden Tag erleben durften, in einem irren Glücksrausch waren.
… der Rausch ist auch ein
wiederkehrendes Thema der Künstlermanifeste, die Manifesto zitiert. Viele davon sind aus der Zeit um 1920 oder aus
den 60ern und fast alle von Männern verfasst. Sie sagen, von jungen Männern,
obwohl sie gar nicht so jung sind ...
Auf welches
Durschnittsalter sind Sie gekommen?
34,8 Jahre! Und die beiden
Ältesten habe ich da jetzt gar nicht dazu gezählt.
Ich hab mir angewöhnt – vielleicht
auch davongetragen vom juvenilen Elan der Texte – zu erzählen, die seien alle
wahnsinnig jung gewesen. Obwohl das empirisch vielleicht gar nicht stimmt.
Aber vom Tonfall der Texte
her natürlich schon. Jetzt lassen Sie diese Texte von einer Frau verkörpern,
die beim Dreh Mitte 40 gewesen sein dürfte. Was haben Sie damit bezweckt? Eine
Demontage?
Demontage hat diesen
Beigeschmack, dass man die Texte zerstören will. Ganz im Gegenteil! Diese Texte
sind uns ja vertraut, weil wir das bildnerische Werk der Künstler dazu
assoziieren und weil die Kunstgeschichte sie wie Monumente behandelt. Auch für
mich sind sie grosse Wortkunstwerke, aber ich wollte sie von der Kunst die
dahinter steht, von dem kunsthistorischen Ballast und der Deutung befreien und sie
auf ihren reinen Gehalt und ihre Poesie überprüfen. Zweitens wollte ich diese
männliche Sprachgewalt einer Frau überantworten und schauen, was sie daraus
macht. Cate spricht viele dieser testosteronschwangeren, maskulinistischen
Wutausbrüche zum Teil sehr introvertiert, als innerer Zwiespalt.
Schwingt da ein
feministischer Ansatz mit?
Es ist ja selten so, dass
man als Künstler mit einem moralischen Grundanspruch oder einer Botschaft zu
arbeiten anfängt. Wir Künstler sind extrem egoistisch. Wir wollen Bilder, die wir
im Kopf haben, realisiert sehen. Das ist die uregoistische Motivation von
Kunstmachen.
Endlich sagt’s mal einer! Steigert eigentlich die Rezeption den Wert oder Wertigkeit eines Kunstwerks?
Wertigkeit klingt wertend.
Ganz objektiv: Sie verändert das Kunstwerk. Ohne «mehr» oder «weniger».
Die grösste Veränderung
dürfte die Tagesaktualität herbeigeführt haben, oder?
Die Welt hat sich extrem
verändert, sie ist heute eine andere als zur Zeit unseres Drehs im Winter 2015.
Ich bin in Sundance wahnsinnig erschrocken, als bei einer Szene – eine
Nachrichtensprecherin erklärt, dass alle Kunst Fake sei («All current art is
fake») – das ganze Kino gegrölt hat. Als wir «Manifesto» konzipierten, gab es die
ganz starke Frage, ob diese Texte eine Aktualität besitzen, ob die heute
anwendbar sind in irgendeiner Form. Aber dass sie so visionär gedeutet werden können,
dass sie so starke tagesaktuelle Bezüge haben werden, das war uns damals nicht
klar. Das ist sehr erfreulich.
Erfreulich für den Film! Nicht für die
Menschheit!
Nur für den Film, nicht
für die Menschheit selbstverständlich. Ich hätte nie damit gerechnet, dass der
Film eine politische Karriere macht. Ich habe ihn kurz vor dem Referendum in
der Türkei gezeigt, kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich und
Amerika. Immer entbrannten Diskussionen über Erdogan, Le Pen, Trump und
tagesaktuelle Fragen. Der Film wird unmittelbar als Manifest gegen den
Populismus wahrgenommen, weil er ja auch wütende laute Ideen proklamiert, diese
aber mit grosser Sensibilität, Poesie und Intelligenz vertritt. Also das genaue
Gegenteil der Phrasendrescherei der Populisten. Das Publikum spürt, dass auch
eine Gegenstimme möglich ist.
Sie sagten einmal, sie
wünschen sich ein Ende der Niveaulosigkeit in den Medien, den öffentlichen
Diskursen. Da scheinen Sie und Cate Blanchett ja jetzt direkt einen Beitrag zu
leisten.
Die Frage ist natürlich
immer, wen man damit erreicht. Ob man nur im Käfig des White Cubes der
Kunstwelt die Ideen an ein Publikum vermittelt, welches gar nicht mehr
überzeugt werden muss. Kino ist vielleicht ein demokratischerer Ort, der nicht
eine so starke Bildungsarroganz ausstrahlt wie das Museum. Für viele Menschen
ist die Hemmschwelle, ins Kino zu gehen, einfach viel geringer. Und vielleicht
verirren sich ja ein paar Menschen in den Film, weil Cate Blanchett mitmacht.
Es sind Wutgedichte. Brandreden. 50 kleine Generationendramen von Autoren, die ihre Zukunftsvisionen für weit wichtiger halten als jede Vergangenheit. «Das kommunistische Manifest» von Marx und Engels ist dabei, das dadaistische, futuristische, surrealistische, suprematistische und so weiter. Wahrscheinlich hat jede noch so kleine, aber sich vital fühlende Kunstströmung einmal eines hervorgebracht. «Dogma 95» ist der Titel des berühmtesten Manifests von Filmschaffenden.
Der Berliner Künstler Julian Rosefeldt hat die Texte nun auf ihre Wucht, ihre Wirkung, ihren Sound hin abgeklopft, hat sie auseinadergeschnitten und neu zusammenmontiert. Und sie in zwölf thematischen Blöcken Cate Blanchett zu sprechen gegeben.
Einmal ist sie eine biedere Amerikanerin, die mit ihrer Familie betet. Im Hintergrund lauern Dutzende von ausgestopften Tieren. Der Inhalt ihres Gebets stammt von Claes Oldenburg. Oder sie doziert als Lehrerin vor einer Schulklasse die filmischen Manifeste von Jim Jarmusch, Lars von Trier, Werner Herzog, und macht den Kindern klar, dass sich Kunst von überall her zusammenklauen lasse. Vor dem brennenden Abfall in einer Kehrrichtverbrennung sagt sie: «Architecture must blaze!» Architektur muss lodern.
Der Effekt ist oft überraschend komisch, die abstrakte Wut der Texte bricht sich am griffigen Realismus der Szenen. Anderswo offenbart sich plötzlich die leise Seele mitten im Lauten.
«Manifesto» tourt als Videoinstallation (aus dem Jahr 2015 und auf viele Screens verteilt) und als Film (aus dem Jahr 2017 und auf 90 Minuten gestrafft) um die Welt.
Die Filmfassung ist ab 7. September bei uns im Kino zu sehen.