Das «Land» Kiribati (ausgesprochen «Kiribas») besteht vor allem aus sehr, sehr viel Wasser. Der Staat erstreckt sich ca. auf halbem Weg von Hawaii nach Australien im zentralen Pazifik rund um den Äquator von Banaba im Westen über 4567 Kilometer bis zum Caroline-Atoll. Das entspricht ca. der Distanz von der Schweiz nach Afghanistan. Der Grossteil des Landes liegt weniger als zwei Meter über dem Meeresspiegel, die Ausnahme bildet die Vulkaninsel Banaba, die sich 81 Meter erhebt. Caroline Island ganz im Osten des Staates heisst seit dem 1. Januar 2000 Millenium Island, weil hier der erste Sonnenaufgang des Jahres 2000 zu sehen war.
Knapp 20 Jahre später ist Kiribati eines der ersten Länder, das einem in den Sinn kommt, wenn es um Nationen geht, die vom Klimawandel betroffen sind. Drei Schweizer sind auf dem Staat im zentralen Pazifik gemeldet (Stand 2018). Mike Strub ist einer davon. Der heute 51-Jährige wanderte mit 21 Jahren vom Glarnerland auf die Insel aus. Wir trafen ihn auf Heimaturlaub in Rapperswil-Jona. Das ist seine Geschichte.
Herr Strub, wann haben Sie eigentlich das erste Mal von Kiribati gehört?
Mike Strub: Ich wollte 1989 mit 21 Jahren für einige Monate eine «Auszeit» nehmen. Wohin, wusste ich noch nicht genau. Aber die Kriterien standen fest: Sonne, Strand, Meer und günstig musste es sein. Mit Hilfe des Computerprogramms «PC Globe» machte ich mich auf die Suche.
Ein grossartiges Programm! So stolperten Sie tatsächlich über Kiribati?
Genau. Ich durchsuchte hauptsächlich die Karibik und Südsee. Irgendwann tauchte da mitten in der Südsee der Name «Kiribati» auf. Da ich noch nie davon gehört hatte, schaute ich mir dies etwas genauer an. Bald stand fest: Das ist mein Reiseziel.
Wann ging es los?
1990 war es so weit. Das Reisebüro buchte mir den Flug nach Fidschi, den Weiterflug nach Tarawa (Hauptinsel Kiribatis) konnten Sie mir aber nicht organisieren. Dieses letzte Teilstück musste ich mir direkt auf Fidschi besorgen.
Wie war das erste Ankommen auf Kiribati?
Ich muss sagen: Fidschi gefiel mir nicht schlecht. Ich fand dort nicht nur exotische Elemente, sondern auch vertraute Sachen wie moderne Infrastruktur, Läden und so weiter. Der Flug nach Kiribati beinhaltete einen Stopp auf Funafuti (Tuvalu). Der Anblick der Buschhäuser und der wenigen Landmasse riss mich definitiv aus meiner Welt. Ich fasste den Beschluss: Wenn Kiribati so aussieht, buche ich sogleich den nächsten Flug zurück nach Fidschi.
Und?
Wie befürchtet sah es auf Tarawa aus wie auf Tuvalu.
Also sofort zurück nach Fidschi?
Nein. Es kamen neue Kriterien ins Spiel. Mein Englisch endete mehr oder weniger bei «Yes» und «No», weil ich in der Schule aufgrund von Mindestnoten in Französisch kein Englisch nehmen durfte. Bei der Ankunft war das Personal allerdings extrem freundlich und hilfreich. Weil ich nur einen Hinflug gebucht hatte, wurde mir aber der Pass abgenommen und erklärt, dass ich in den nächsten Tagen mit einem Rückflugticket zurückkommen solle. Des Weiteren versuchte man mir zu erklären, dass noch ein Schweizer – ein Priester – auf der Insel lebe. Er könne mir bei Problemen helfen.
Wie fühlten sich diese ersten Stunden auf Kiribati an?
Ich stand unter Kulturschock. Aber weil ich positiv von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Leute überrascht war, brach ich mein Vorhaben, zurück nach Fidschi zu fliegen, wieder ab.
Und der Schweizer Priester?
Den traf ich am Abend des zweiten Tages zusammen mit einem weiteren Schweizer, der für die Kirche arbeitete. Wir unterhielten uns darüber, was ich auf Kiribati machen könnte. Dabei wurde mir angeboten, die Leitung einer Druckerei zu übernehmen.
Sie waren zwei Tage da und hatten bereits einen Leitungsjob? Ich bin langsam sprachlos!
Die ursprünglich geplanten maximalen drei Monate vergingen. Tarawa wurde zu meiner neuen Heimat. Ich blieb dort, führte die ersten drei Jahre diese katholische Druckerei. Ich bekam Unterkunft und Essen von der Kirche und konnte mich voll auf den Job und das Kennenlernen der Insel und Leute konzentrieren. Das Auswandern war einfach, ich hatte ja bloss meinen Koffer gepackt.
So verlief Ihre Auswanderung? Wohnung kündigen, auf allen Ämtern abmelden, eigenen Besitz loswerden und nie mehr zurückblicken?
Nicht ganz. Nach einer Woche Kiribati flog ich wieder zurück in die Schweiz und erledigte, was ich erledigen konnte. Zehn Tage später war ich dann wieder zurück auf der Insel.
Ich fasse zusammen: Sie dachten, drei Monate Sand, Sonne und Strand wären super. Am ersten Tag wollten Sie sofort wieder weg, nach einer Woche wussten Sie: Hier bleibe ich bis auf Weiteres. Hätten Sie sich das zugetraut?
Als ich das erste Mal ging: Nein. Als ich zurückkam und alles packte, war mein Umfeld schon erstaunt, aber man fand das interessant. Als ich dann zum zweiten Mal im Flugzeug sass, wusste ich: Das ist es.
Kehrten Sie nie mehr in die Schweiz zurück?
In den ersten zehn Jahren war ich lediglich zweimal zurück in der Schweiz. Inzwischen schaue ich, dass wir jedes oder mindestens jedes zweite Jahr für einige Wochen in die Schweiz kommen können. Allerdings sind die Flüge sehr teuer.
Sie waren also drei Jahre Druckerei-Chef. Wie ging es beruflich für Sie weiter?
Ich gründete eine IT-Firma und führte diese 14 Jahre lang. Dabei lebten wir auf Tarawa, dem Hauptatoll. Nebenbei führte ich einige Zeit lang noch ein Gästehaus und lancierte mit kiritours.com eine der ersten Websites, welche Informationen über Kiribati anbot. Inzwischen sieht man ihr das auch an. Aber irgendwann habe ich hoffentlich Zeit, um ihr ein neues Gewand zu geben.
Wie kamen Sie zur IT-Firma? Hatten Sie in der Schweiz eine entsprechende Ausbildung absolviert?
Ich lernte Gärtner. Ich gehörte der ersten Generation Computerfreaks an und besuchte einige Kurse. Zudem importierte ich Computer aus Taiwan. Wenn andere im Ausgang waren, bastelte ich lieber zuhause an den Geräten herum. Eine Lehre als Informatiker gab es damals noch nicht. In Kiribati wurde ich dann immer öfter gerufen, um irgendwo ein PC-Problem zu lösen. Eines Tages wurde ich vom Foreign Investment angefragt, ob ich eine Firma aufmachen würde, da dies dringend benötigt wurde. So fing ich als «Einmannbetrieb» an.
Was waren die Hauptaufgaben dieser IT-Firma?
Internet gab es damals auf Kiribati noch nicht. Auch in der Schweiz war es zu jener Zeit wenig verbreitet. Trotzdem war ich erstaunt über die Anzahl Computer im Land. Es existierten auch bereits einige kleinere Netzwerke mit Servern. Meine Firma lieferte hauptsächlich Hardware, ich wurde für Reparaturen und Unterhalt gerufen und baute Netzwerke mit Servern auf. Der Grossteil der Kunden waren die Ministerien und verschiedene NGOs.
Sie waren also angekommen – und blieben für immer?
Nein. 2007 kehrten wir in die Schweiz zurück, um meiner Tochter eine Ausbildung zu ermöglichen. 2015 reiste ich zurück nach Kiribati. Allerdings nicht mehr nach Tarawa, sondern auf die Nachbarinsel Abaiang. Dieses «zweite Auswandern» war etwas komplexer. Dieses Mal füllten wir einen Container, um hier ein Haus bauen zu können. Vieles auf Kiribati ist nicht oder schwer aufzufinden. Wir verbrachten darum praktisch das ganze erste Jahr mit dem Hausbau.
Die Rückkehr in die Schweiz war damals kein Problem?
Nein, ich hatte keine Probleme bei der Rückkehr, auch fand ich schnell wieder einen Job. Was mir aber auffiel war, dass es bei einigen «alten Freunden» bei einem Besuch blieb. Man hatte sich über all die Jahre verändert und war teilweise nicht mehr auf der gleichen Wellenlänge.
Blieb Ihre Tochter in der Schweiz?
Nein, sie lebt heute mit meinen Enkelkindern in Neuseeland.
Warum blieben Sie nicht in der Schweiz?
Es war für mich immer klar, dass wir nach Kiribati zurückkehren würden. Meiner Frau gefiel es zwar auch in der Schweiz – zumindest im Sommer –, aber sie hatte doch auch etwas Mühe hier. Kiribatier brauchen ihresgleichen. Sie vermisste ihre Familie.
Was machen Sie heute auf Kiribati?
Ich arbeite noch teilweise als externer IT-Mitarbeiter. Die meiste Zeit verbringe ich nun mit dem Anbau von Gemüse in Hydrokultur. Unser Ziel ist es, mehr Gemüse zu vernünftigen Preisen in Tarawa anbieten zu können. Nebenbei unterstützen wir Kindergarten und Primarschulen in Abaiang. Da gibt es verschiedene Projekte, wie der Bau von Toiletten oder auch ganz simpel das Organisieren von Lernmaterial und Schulbüchern von Hilfsorganisationen und Privaten.
Wie kam das mit dem Gemüse in Hydrokultur?
Gemüse ist nicht in der Kultur von Kiribati. Es fehlen schlicht Anbaugebiete. Wir bauen unter anderem Gurken, Tomaten oder Salat an und verkaufen diese teilweise. Frisches Gemüse ist auf Kiribati nicht immer leicht zu erhalten. Vieles kommt per Schiff, das nur einmal im Monat anlegt.
Mittlerweile sind Sie an das Leben auf Kiribati gewöhnt. Aber zu Beginn gab es sicher einiges, das Sie lernen mussten. An was erinnern Sie sich noch gut?
In meinen ersten Monaten wollte ich Nordtarawa mit dem Töff erkunden. Ich lud die Maschine auf die Fähre zwischen den beiden Inseln. Auf der anderen Seite angekommen, war es bereits dunkel und es herrschte Ebbe. Die Büsche waren zu dicht, um vom Strand auf die Strasse zu kommen. Also dachte ich: Kein Problem, ich fahre einfach dem Strand entlang, bis sich eine Lücke zeigt. Als ich da dann mit Scheinwerferlicht entlangfuhr, wunderte ich mich über die Leute, die da vom Strand in die Büsche rannten. Erst Wochen später fand ich heraus, dass man in Nordtarawa und den Ausseninseln den Strand praktisch hauptsächlich als WC nutzt.
Was haben Sie noch für Verbindungen in die Schweiz?
Familie und Kollegen, aber materielle Dinge nicht mehr.
Wussten Sie, dass Sie einer von nur drei angemeldeten Schweizern auf Kiribati sind?
Ich war jahrelang der einzige Schweizer. Ich kenne die anderen beiden. Es ist ein Ehepaar, das vor zwei Jahren hierher kam.
Wie oft treffen Sie sonst auf Schweizer?
Eigentlich erstaunlich oft. Wenn ein Schweizer auf Kiribati ist, erfährt er durch irgendjemanden ziemlich bald einmal, dass ich hier lebe.
Was vermissen Sie aus der Schweiz?
Wenn ich das jetzt beantworten sollte, könnten Sie frühestens um Weihnachten mit dem fertigen Interview rechnen. Die Liste ist lang ... Knuspriges Brot liegt weit vorne – obwohl wir manchmal auch selbst welches backen; Käse, Ziger, Schoggi, Aromat werden vermisst. Und natürlich fehlt mir auch die Landschaft mit ihren Bergen.
Was sind denn die positiven Dinge, welche Sie nach Kiribati ziehen?
Ich bin Sternzeichen Krebs und der braucht Wasser. In der Schweiz liegt ein Haus am See ausserhalb meines Budgets, in Kiribati haben wir ein Haus am Strand mit einer kleinen Buschhütte auf dem Wasser. Ich kann jederzeit tauchen, fischen oder schnorcheln. Auch wenn ich vieles vermisse, lernte ich auch, mir selbst zu helfen. Ich backe knuspriges Brot, oder was ich sehr gerne habe, sind zum Beispiel Fleischkäse, Adrio oder Würste. Ich habe mal ein Video von René Schudel geschaut, wie er Fleischkäse macht. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten klappt das mittlerweile ziemlich gut und wir stellen Fleischkäse mit Wahoo, einem Raubfisch, her. Die Mixer sind allerdings meist billig und rauchen hin und wieder ab ...
Was für Schweizer Eigenschaften oder Gegenstände haben Sie bewahrt?
Einmal Schweizer, immer Schweizer. Eigenschaften wie Pünktlichkeit oder Exaktheit können hier hilfreich sein – und gleichzeitig Nerven kosten. Zudem sind viele meiner Küchengeräte aus der Schweiz. Nicht fehlen darf da natürlich auch der Spätzlihobel.
Was sollte die Schweiz haben, was es auf Kiribati gibt?
Ein Stück der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Einwohner würde uns Schweizern nicht schaden. Hier hat man praktisch immer Zeit, jemandem zu helfen.
Gibt es auch Ähnlichkeiten zwischen Kiribati und der Schweiz?
Da überlege ich noch ... Es gibt eigentlich nichts. Das sind zwei völlig unterschiedliche Welten.
Haben Sie sich – in dieser Anfangszeit oder auch später – nie einsam gefühlt?
Nein. In einer Stunde auf Kiribati lerne ich mehr Leute kennen als in der Schweiz in einem Jahr.
Wie sieht ein typischer Tag für die lokale Bevölkerung aus? Ist die Armut gross?
Wenn man die Armut mit Geld beschreiben will, dann ja. Aber wirkliche Armut gibt es nicht. Kiribatier können auch hart arbeiten. Aber nur, wenn es sein muss. Man arbeitet hier, um zu leben. Dadurch kommt bewusst der Luxus etwas kürzer, dafür dankt die Lebensqualität.
Wie leben die Einheimischen?
Meist leben Sie in Grossfamilien zusammen. Einige gehen Fischen, andere pflanzen Babai (Anm. d. Red: Babai, auch als Pulaka bekannt, ist eine kohlenhydratreiche (Sumpf-)Pflanze, ähnlich wie Taro), jemand kocht, einer macht Thatches (Blätterdächer) und wieder jemand anderes trocknet Kokosnüsse, um Kopra zu erhalten und zu verkaufen. Das Schöne ist, dass eigentlich jeder, der will, Geld verdienen kann. Kopra oder Thatches werden immer gebraucht. Wer essen will, ohne Geld auszugeben, geht fischen.
Wie können wir uns das Land Kiribati allgemein vorstellen?
Es besteht aus insgesamt 33 Inseln, welche in drei Gruppen angeordnet sind. Die meisten der Inseln sind Atolle mit einer Lagune. Auf vielen der von Tarawa entfernten Inseln leben nur wenige Menschen, auf einigen ist die Versorgung nicht immer einfach. Einige Inseln werden beispielsweise nur ein- bis zweimal pro Jahr mit dem Schiff versorgt.
Wie sieht es mit dem Tourismus aus im Land?
Touristisch ist Kiribati wenig erschlossen, die Infrastruktur fehlt. Das Tourismus-Ministerium verwendet den Slogan «Kiribati ist für Reisende, nicht für Touristen». Wer mit wenig Luxus auskommt und sich für Land und Leute interessiert, findet ein interessantes Reiseziel.
Was würden Sie empfehlen?
Grundsätzlich sollte man sich kurz Südtarawa anschauen, vor allem wer sich für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs interessiert. Danach sollte man unbedingt auf eine Ausseninsel, da findet man das eigentliche Kiribati, welches sich in den letzten hundert Jahren kaum veränderte.
Ein Insidertipp?
Es gibt viele schöne Orte. Aber wichtig ist, dass man sich vorbereitet und weiss, was einen hier erwartet. Einmal erhielt ich von einem Freund auf der Insel Teirio einen Anruf. Er hat da ein Guesthouse und zwei Amerikaner waren gebucht. Die verstanden die Welt nicht mehr, als da nur «einfache Hütten» standen und nicht viel an internationalen Hotelstandard erinnerte. Sie wollten sofort wieder weg. Wir haben sie dann zum Flughafen geschickt.
Hatten Sie ähnliche Erlebnisse wie ihr Freund auf Teirio?
Eigentlich habe ich nur gute Erfahrungen gemacht. Aber einmal hatte ich auch Gäste, die sich das alles anders vorgestellt hatten und die ich direkt zum Flughafen zurückfuhr. Das war an meinem Geburtstag und meine Party musste etwas warten.
Gibt es spezielle Rituale, welche auf Kiribati heute noch herrschen? Jetzt nicht nur auf Geburtstagspartys bezogen.
Bekannt sind die Maneabas. Das sind grössere Gebäude, die jedes Dorf, jede Insel, jede Kirchgemeinde und auch wohlhabende Familien haben. Darin werden Feste gefeiert oder Versammlungen abgehalten. Es ist jeweils genau geregelt, wer wann was macht. Das ist oft sehr langatmig und nicht selten kommt das um 19 Uhr versprochene Essen erst gegen Mitternacht.
Betreffend einer Party habe ich auch eine witzige Anekdote erlebt. Ich sass damals mit einem Freund an einem Tisch, im Maneaba nebenan war irgendein grosses Fest im Gang. Irgendwann kam ein älterer Herr und fragte, ob er sich zu uns setzen könne. Wir kamen ins Gespräch und fragten, ob er wisse, was das für ein Fest sei. Da meinte er: «Die Party da drüben ist für mich. Aber sie langweilt mich.»
Kiribati wird im Zusammenhang mit dem Klimawandel immer schnell genannt. Wie ist die Lage aktuell?
Man sieht den Klimawandel eher an den immer öfter vorkommenden Stürmen als am steigenden Meeresspiegel. Dort sieht man die Auswirkungen nur bei hohen Fluten im Februar oder März und vor allem, wenn gleichzeitig noch starke Winde herrschen. Dann kommt das Salzwasser immer weiter ins Landesinnere. Dies fällt vor allem in der Hauptstadt Südtarawa auf, weil hier die Bevölkerung rasant wächst. Das Land war knapp und so baute man «Seawalls» (Uferdämme), ursprünglich um Land zu gewinnen, heute eher um Sturmfluten aufzuhalten.
Was ist das Hauptproblem?
Die Uferdämme werden oft überflutet. Oft hat der Mensch selbst zum Problem beigetragen, weil man früher Sand vom Strand zum Hausbau nutzte – der fehlt jetzt als Schutz. Wegen Platzmangels baute man auch an Stellen, wo man dies nicht hätte machen sollen. Zudem baute man Causeways (Dammstrassen) an falschen Orten. Die Strömungen wurden verändert und ganze Sandstrände verschwinden.
Woher wird das Material für diese Landgewinnung genommen?
Seit einigen Jahren läuft ein Projekt mit Abfallverwertung. Wir haben hier keine Kehrichtverbrennungsanlage. Der Abtransport mit Schiffen wird nur selten gemacht und bei giftigem Abfall. Der Haushaltsabfall wird jetzt in Green Bags gesammelt. Diese sollen verhindern, dass schädliche Stoffe nach aussen dringen. Mit den Bags wird dann «Land aufgefüllt».
Wie gehen die Einwohner mit dem steigenden Meeresspiegel um?
Wenn man hier lebt, sieht man dies schlecht. Es ist ein bisschen wie mit einem Kind. Man sieht den Wachstum auch nicht jeden Tag, sondern in Etappen. Das ist hier auch so mit den Kingtides, den hohen Fluten. Dann stellt man fest, dass es wieder neue Stellen erreicht hat und Spuren hinterlässt wie gebrochene Uferdämme oder salzhaltige Wasserbrunnen. Auf den Ausseninseln versuchen auch immer mehr Menschen mit Holzstämmen einen schützenden Uferdamm zu bauen, damit der Sand nicht abgetragen wird. Trotzdem sehen viele Einwohner das Meeresspiegel-Problem nicht sehr akut.
Ihr Haus steht direkt am Strand. Haben Sie Angst um Ihr Heim?
Angst habe ich nicht. Natürlich kann eine Flut kommen. Vor drei Wochen erreichte eine Flut einen neuen Höchststand. Das grösste Problem ist nicht, dass die Häuser weggeschwemmt werden, sondern dass Salzwasser ins Grundwasser gelangt. Dann sterben als erste Folge die Bäume ab.
Die Regierung aber hat das Problem erkannt. Erste Evakuierungen sollen 2020 beginnen. Wie läuft das ab?
Es gibt verschiedene parallel laufende Projekte, welche auch schon jetzt den Einheimischen ermöglichen, sich beispielsweise in Neuseeland einzugliedern. Tatsache ist aber, dass kaum einer von den Ausseninseln aufgrund des visuell schlecht erkennbaren Meerwasseranstiegs evakuiert werden möchte.
Sind auch negative Gefühle gegenüber den Industriestaaten, die zu wenig gegen den Klimawandel unternehmen?
Eigentlich eher nicht. Auf den Ausseninseln und selbst auf Südtarawa herrscht in der Bevölkerung ein zu kleines Interesse am Klimawandel. Somit fehlt auch das Grundwissen über die Ursprünge des Problems.
Ein anderes Thema, aus welchem man Kiribati vielleicht noch kennt, ist die angeblich verbreitete Fettleibigkeit. Kiribati gehört zu den Ländern, in welchen prozentual am meisten dicke Menschen leben.
Das habe ich auch schon von der WHO gehört – und es erstaunt mich. Auf den Ausseninseln sieht man selten fettleibige Personen. In Südtarawa ist dies anders und dort ausschliesslich der ungesunden Ernährung und zu wenig Bewegung geschuldet. Gemüse ist – wie auch schon erwähnt – Mangelware und wird selten gegessen. Es ändert sich zwar, aber viel zu langsam.
Zum Schluss noch: Können Sie sich vorstellen, in die Schweiz zurückzukehren?
Für eine befristete Zeit eventuell schon. Aber alt – oder älter – werden würde ich schon auf Kiribati bevorzugen. Wenn es die Gesundheit zulässt, möchte ich so lange wie möglich hier bleiben. Ich fühle mich schon immer mehr als Kiribatier, auch wenn ich natürlich immer irgendwo Schweizer bleibe.