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Nicaragua schiebt Hunderte politische Gefangene in die USA ab

Nicaragua schiebt Hunderte politische Gefangene in die USA ab

10.02.2023, 06:35
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FILE - Police stand guard at a holding center known as "El Chipote," associated with torture during the Somoza dictatorship (1937-1979) and officially called the Judicial Assistance Director ...
Tore auf füt Gefangene in Nicaragua.Bild: keystone

Nicaraguas autoritäre Regierung hat 222 Gefangene in die USA abgeschoben, die Menschenrechtlern zufolge aus politischen Gründen inhaftiert gewesen waren. Unter ihnen sind Politiker, Priester und Studentenführer, die praktisch alle als Gegner von Präsident Daniel Ortega gelten. Die US-Regierung begrüsste die Freilassung am Donnerstag (Ortszeit). Der Schritt ermögliche einen weiteren Dialog zwischen den USA und dem zentralamerikanischen Land, liess US-Aussenminister Antony Blinken mitteilen. Die USA hätten den sicheren Transport der Freigelassenen von Nicaragua nach Washington ermöglicht.

Die Justiz des Landes machte die Freilassung erst bekannt, als die früheren Häftlinge bereits im Flugzeug sassen. «Sie wurden auf einem Privatflug nach Washington geschickt», sagte Berta Valle, Ehefrau des ebenfalls aus der Haft entlassenen Ex-Präsidentschaftskandidaten Félix Maradiaga. Gleichzeitig billigte am Donnerstag das Parlament in Nicaragua eine Verfassungsreform, um den Abgeschobenen die nicaraguanische Staatsbürgerschaft zu entziehen.

Die Freilassung der «zu Unrecht Inhaftierten» sei das Ergebnis gezielter amerikanischer Diplomatie und ein «konstruktiver» Beitrag zur Thematisierung von Menschenrechtsverletzungen in Nicaragua, erklärte Blinken. Wegen der Aushöhlung der Demokratie unter Ortega hatten die USA und die Europäische Union mehrmals Sanktionen gegen die Führung des Landes und Angehörige des Präsidenten verhängt.

Auf der offiziellen Liste mit den Namen der Freigelassenen standen auch die Ex-Präsidentschaftskandidatin Cristiana Chamorro, Tochter der früheren Staatschefin Violeta Barrios de Chamorro, und der Studentenführer Lesther Alemán.

In einer Ansprache, die im Fernsehen ausgestrahlt wurde, sagte Ortega in der Nacht auf Freitag, es habe keine Verhandlungen mit der US-Regierung gegeben. Er erwarte auch keine Gegenleistung. Seine Regierung habe auf eigene Initiative die US-Botschaft in Managua kontaktiert, um die Ausreise der Häftlinge vorzuschlagen. Die Details seien nachfolgend mit der US-Regierung koordiniert worden.

epa10458332 A handout photo made available by the Nicaraguan Presidency shows the president of Nicaragua, Daniel Ortega holding the list of names of the 222 political prisoners that were released duri ...
Nicaraguas Präsident OrtegaBild: keystone

Der regierungskritische Bischof Rolando Álvarez flog nicht mit nach Washington. Er sei zwar ursprünglich auf der Liste gewesen, sagte Ortega. Der Geistliche habe das Flugzeug aber nicht besteigen wollen, ohne zuvor mit den anderen Bischöfen Nicaraguas zu sprechen.

Die neue Entwicklung wurde in Nicaragua mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Menschenrechtsorganisationen begrüssten die Freilassung, prangerten aber die Abschiebungen und Ausbürgerungen an. Der 80 Jahre alte nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramírez schrieb auf Twitter: «Heute ist ein grosser Tag für den nicaraguanischen Kampf um Freiheit». Die einstigen Häftlinge gingen zwar ins Exil, aber auch in die Freiheit. Ramírez hatte das Land 2021 ebenfalls verlassen und kehrte nicht mehr zurück, weil ihm dort die Inhaftierung drohte.

Nach Angaben der Opposition gab es in Nicaragua bislang rund 250 politische Gefangene. Die Regierung von Ortega ging zuletzt mit immer härteren Mitteln gegen ihre Kritiker vor, demokratische Institutionen und Bürgerrechte waren schon zuvor ausgehöhlt worden. Bei Protesten gegen die Regierung waren im Jahr 2018 mehr als 350 Menschen ums Leben gekommen. Vor seiner umstrittenen Wiederwahl 2021 liess Ortega sieben konkurrierende Kandidaten festnehmen. Diese wurden nun alle in die USA abgeschoben.

Tausende Regierungskritiker hatten in den vergangenen Jahren das mittelamerikanische Land verlassen, oft aus Furcht vor Repressionen oder gar Verhaftungen. Viele von ihnen zog es in die USA. Neben fehlenden politischen Freiheiten trieben auch Armut und Naturkatastrophen zahlreiche Menschen aus dem flächenmässig grössten Land Zentralamerikas, das rund 6.7 Millionen Einwohner hat.

Der frühere sandinistische Revolutionär Ortega war erstmals nach dem Sturz des Diktators Anastasio Somoza 1979 an die Macht gekommen. Er gehörte zunächst der regierenden Junta an und stieg dann zum Präsidenten auf, wurde 1990 aber abgewählt. 2007 kehrte er als Staats- und Regierungschef zurück. Eine Begrenzung der Amtszeit des Präsidenten wurde später per Verfassungsreform abgeschafft. Seit 2017 ist Ortegas Ehefrau Rosario Murillo Vizepräsidentin. (sda/dpa)

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