Die Stadt Cherson war die erste grosse ukrainische Stadt, die während des russischen Angriffskriegs in der Südukraine erobert wurde. Jetzt, gut 8 Monate später, hat die russische Armee angekündigt, sich aus der Stadt zurückzuziehen. Es bleiben Schutt, Trümmer und Elend.
Ein knapper Überblick über die Ereignisse in der Stadt und der Oblast Cherson:
Am 24. Februar drangen russische Truppen von Süden her über die Krim in die Oblast Cherson ein. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte damals:
Bereits am Abend erreichten die russischen Truppen die Stadt Cherson und sicherten sich einen strategisch wichtigen Übergang über den Fluss Dnipro. In heftigen Gefechten wurde die Brücke von den Ukrainern zunächst zurückerobert, bevor sie sofort wieder in russische Hände fiel. Bilder von toten Soldaten und zerstörten Militärfahrzeugen tauchten in den sozialen Medien auf. Das ukrainische Militär teilte mit:
In den folgenden Tagen war Cherson heftig umkämpft. Zuerst hiess es seitens der ukrainischen Lokalbehörden, dass sich die russischen Streitkräfte aus Cherson zurückgezogen hätten. Fast gleichzeitig vermeldete das russische Verteidigungsministerium, dass Cherson eingekesselt und teilweise eingenommen sei.
Am frühen Morgen des 1. März erklärten ukrainische Offizielle, dass die russischen Streitkräfte erneut vorrückten. Unter schwerem Beschuss umzingelten die russischen Streitkräfte die Stadt.
Im Laufe des Tages stürmten die russischen Streitkräfte die Stadt. Der Bürgermeister von Cherson, Ihor Kolychajew, ordnete an, dass die Zivilbevölkerung in ihren Häusern und Bunkern bleiben solle. Er gab weiter bekannt, dass viele zivile Einrichtungen, darunter Schulen und Hochhäuser, direkt unter Beschuss genommen worden seien. Kolychajew behauptete weiter, dass russische Soldaten am 1. März auf mit Molotow-Cocktails bewaffnete Bürger geschossen hätten.
Map: Areas in Ukraine controlled by Russia [February 25 to March 3] pic.twitter.com/4JRBvM95ni
— Soumyadip Choudhury (@soumyadip) March 3, 2022
Bereits am 2. März gab Kolychajew die Stadt auf: Eine Gruppe von etwa zehn russischen Soldaten – darunter ein Kommandeur – drang in das Gebäude des Stadtrats ein und begann Verhandlungen mit Kolychajew. Am Abend gab der ukrainische Politiker bekannt, dass er die Stadt übergeben habe und dass das ukrainische Militär nicht mehr in Cherson präsent sei:
Weiter bestätigte er, dass bei den Kämpfen rund 300 ukrainische Soldaten und Zivilisten getötet und teilweise in Massengräbern verscharrt worden seien.
Einnahme Khersons bestätigt
— Report & Analyse (@analyse_report) March 2, 2022
🟥 Bilder von russischen Militärfahrzeugen vor dem Regierungsgebäude bestätigten die Einnahme der Stadt Kherson. Berichten zufolge kam es zu einer friedlichen Übergabe seitens der Stadtverwaltung.
⚡️Teilen! pic.twitter.com/W3ifMOE6og
Die Bewohnerinnen und Bewohner Chersons liessen sich von dieser Meldung aber nicht einschüchtern. Etwa 2000 Personen sollen tags darauf durch das Stadtzentrum gezogen sein.
Russian army entered Kherson, but something went wrong. Brave Ukrainians climb on their tanks on the go with UA flags. pic.twitter.com/WTeYWsxLp4
— Liubov Tsybulska (@TsybulskaLiubov) March 5, 2022
Am 6. Mai 2022 besuchte der Sekretär des Generalrats der Putin-Partei «Einiges Russland», Andrej Turtschak, die Stadt Cherson. Er liess verlauten:
Doch damit sollte er nicht recht behalten: Am 3. November 2022, Monate nach Ende der Schlacht, entfernten die russischen Streitkräfte ihre Flagge vom Verwaltungsgebäude der Stadt und rieten den verbliebenen Menschen, die Stadt zu verlassen und den Fluss zum Südufer zu überqueren. Am 9. November kündigte Armeegeneral Sergei Surowikin an, dass die russischen Streitkräfte die Stadt verlassen und zum Süd- oder Linksufer ziehen würden. Mehr dazu weiter unten.
Nach der Übernahme der Stadt wurde die Oblast Cherson von den russischen Streitkräften nach und nach besetzt.
Mehrere kleine Siedlungen, aber auch Städte mit teilweise bis zu 45'000 Einwohnern, wurden im Februar und März von den Russen eingenommen. Zwischen Juni und Oktober gelang es den ukrainischen Streitkräften, einige Siedlungen wieder zurückzugewinnen. Trotzdem: Ein Grossteil der Oblast Cherson blieb unter russischer Besatzung.
Ende September wurde unter anderem für die Oblast Cherson ein von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkanntes Referendum abgehalten, um Russland beizutreten. So annektierte Russland die Oblast am 30. September – einschliesslich Teilen, die es zu diesem Zeitpunkt nicht kontrollierte.
Sowohl bevor als auch nach der Annexion per Referendum führten die ukrainischen Streitkräfte immer wieder zielgerichtete und gut organisierte Kampagnen in der Oblast Cherson durch, um russische Stellungen, Militäranlagen, Versorgungszentren, Munitionsdepots und Logistikknoten anzugreifen. Zudem starteten sie immer wieder Angriffe auf Brücken über den Dnipro. All dies habe die Möglichkeiten der russischen Streitkräfte beeinträchtigt, die Truppen am Westufer zu versorgen, schreiben die Strategieexperten vom «Institute for the Study of War» (ISW).
Diese Kampagne der ukrainischen Streitkräfte hat nun Früchte getragen: Die russischen Streitkräfte ziehen sich wieder aus Teilen der Oblast Cherson zurück. Der russische Verteidigungsminister Sergei Schoigu ordnete am 9. November während eines inszenierten Fernsehtreffens den Abzug russischer Truppen über den Fluss Dnipro zum östlichen (linken) Ufer zu beginnen. Personal, Waffen und Ausrüstung sollen sicher über den Dnipro transportiert werden. Das gesamte russische Kontingent werde wohl einige Zeit brauchen, um sich über den Fluss Dnipro zurückzuziehen, schreibt das ISW. Weiter heisst es da:
Die Führung in Kiew reagiert derweil skeptisch auf die Ankündigung aus Moskau. «Die Ukraine sieht keine Anzeichen dafür, dass Russland Cherson ohne Kampf aufgibt», schrieb der Berater des Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, auf Twitter. Zu t-Online meinte Podoljak: «Wir sehen keine russischen Truppenbewegungen, die die Aussagen der russischen Militärführung bestätigen würden.»
The #Russian Ministry of Defense (MoD) ordered Russian forces on the west (right) bank of the #Dnipro River to begin withdrawing to the east (left) bank today. https://t.co/ZnA57LH0qF pic.twitter.com/ohQrzVSSmX
— ISW (@TheStudyofWar) November 10, 2022
(yam)
Die russen sind wohl noch am rateburgern, wie sie das anstellen können, ohne dass es in einer haltlosen Flucht ans Ufer des Dnjepro endet.
Sowas ist miltärisch äusserst anspruchsvoll, eine Disziplin wo russland nicht gerade glänzt derzeit ...
Das ist Russland.