Noch sind die russischen Verluste nicht von unabhängiger Seite bestätigt, doch jetzt steht schon fest, dass der ukrainische Überraschungsangriff der russischen Luftwaffe einen schweren Schlag versetzt hat. Zum ersten Mal trafen ukrainische Drohnen militärische Ziele auch im vermeintlich sicheren Sibirien, tausende Kilometer von der Front entfernt. Und sie zerstörten oder beschädigten mehrere der nicht allzu zahlreichen strategischen Bomber, über die Russland verfügt.
Die vom ukrainischen Geheimdienst SBU von langer Hand geplante und nun durchgeführte «Operation Spinnennetz» dürfte die spektakulärste militärische Aktion der Ukraine seit Beginn des Krieges sein. Kein Wunder, dass der überraschende Angriff verschiedentlich als «russisches Pearl Harbor» bezeichnet wird. Noch ist nicht klar, wie Russland auf diesen Schlag antworten wird, doch einige mögliche Folgen zeichnen sich bereits jetzt ab.
Gemäss Angaben des ukrainischen Geheimdienstes SBU zerstörten oder beschädigten die Drohnen mehr als 40 russische Flugzeuge, darunter strategische Bomber vom Typ Tu-95 und Tu-22M3 sowie eines der wenigen verbliebenen russischen Überwachungsflugzeuge des Typs Berijew A-50. Diese Langstreckenbomber können Atomwaffen tragen, aber auch konventionelle Raketen oder Marschflugkörper aus dem russischen Luftraum weit hinter der Frontlinie abfeuern, sodass sie ausserhalb der Reichweite der ukrainischen Luftabwehr bleiben.
Diese Taktik hat die russische Luftwaffe seit Kriegsbeginn befolgt; insbesondere die ukrainische Zivilbevölkerung ist den Terrorangriffen in hohem Masse ausgesetzt. Für die ukrainischen Militärplaner dürften die Bomber daher vorrangige Ziele gewesen sein, zumal die noch während der Biden-Regierung gelieferten Bestände an Patriot-Luftabwehrraketen zur Neige gehen und der amtierende US-Präsident Trump bei der Lieferung von Ersatz-Systemen keine Eile zeigt.
Der Schlag gegen die russische Bomberflotte ist bedeutsam, weil Russland nur über eine relativ geringe Anzahl dieser Waffensysteme verfügt: Laut dem «Economist» dürften es insgesamt weniger als 90 einsatzbereite Tu-22, Tu-95 und neuere Tu-160 sein. Eine Studie der Denkfabrik International Institute for Strategic Studies kommt auf mehr als 55 Tu-22M3 und 57 Tu-95. Allerdings wurden die letzten Flugzeuge dieser Typen vor mehr als 30 Jahren hergestellt. Nicht wenige von ihnen dürften nicht mehr einsatzfähig sein und als Ersatzteillager dienen. Die Produktion der neuen Tu-160 wiederum verläuft im Schneckentempo, auch aufgrund der westlichen Sanktionen.
Der Drohnenangriff dürfte daher die russische strategische Bomberflotte stark geschwächt haben. Wie Russland die nun entstandenen Lücken auffüllen will, bleibt sein Geheimnis. Nach Ansicht des Militärexperten Peter Layton bedeutet der Verlust dieser Bomber, welche die grössten Marschflugkörper abschiessen können, dass die russische Luftwaffe bei künftigen Angriffen auf die Ukraine verstärkt auf Drohnen zurückgreifen müsste. Möglicherweise werden aber auch vermehrt Suchoi-Kampfjets zum Abschuss von Marschflugkörpern eingesetzt. Überdies werden wohl mehr russische Ressourcen in den Schutz militärischer Einrichtungen im Hinterland fliessen.
Bedeutsam ist auch das Verhältnis der Kosten: Russland verlor militärisches Material im Wert von – je nach Quelle – zwei bis sieben Milliarden Dollar, während die mehr als hundert ukrainischen Drohnen nur ein paar hundert Dollar pro Stück gekostet haben. Dieses Verhältnis, das auch bei der Versenkung grosser Seeziele – etwa der Korvette «Sergej Kotow» – durch Seedrohnen zutage tritt, bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Kriegsführung (siehe weiter unten).
Mehrere Beobachter sind überzeugt, dass die «Operation Spinnennetz» in Zukunft als Wendepunkt in der Kriegsführung betrachtet werden könnte. Der US-Historiker Max Boot verglich den Drohnenangriff in der «Washington Post» mit dem Angriff der Kaiserlichen Japanischen Marine auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor: Während dieser die Dominanz der Flugzeugträger in der Seekriegsführung eingeläutet habe, signalisiere jener, dass die Ära der bemannten Kampfflugzeuge ihrem Ende entgegengehe und der Drohnenkrieg entscheidend werde.
Sicher ist, dass die westlichen Streitkräfte – und vermutlich auch die chinesischen – diesen Angriff genau studieren werden. So sind etwa die strategischen Bomber der USA, die im Freien stehen, auf öffentlich zugänglichen Satellitenbildern zu sehen. Die westlichen Staaten haben in den letzten Jahrzehnten Luftwaffenstützpunkte aufgegeben und ihre Luftflotten auf wenige Standorte konzentriert, die obendrein kaum über geeignete Hangars verfügen, die ausreichend vor Drohnenangriffen schützen. Daher wäre eine Attacke im Stil der «Operation Spinnennetz» vermutlich auch in westlichen Ländern verheerend. Sie werden nicht darum herumkommen, in Anti-Drohnen-Systeme zu investieren.
Dass der Drohnenkrieg immer wichtiger wird, hat nicht nur die «Operation Spinnennetz» gezeigt, sondern der gesamte Ukrainekrieg. Nie zuvor sind unterschiedliche Drohnentypen in solch grosser Stückzahl durch beide Seiten eingesetzt worden. Besonders sogenannte First-Person-View-Drohnen (FPV) mit montierten Gefechtsgranaten haben sich als unverzichtbar erwiesen. Diese Waffensysteme, deren Verwendung durch den Mangel an Artillerie auf ukrainischer Seite zunahm, können gegen Infanterie und gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt werden.
Auf dem Gefechtsfeld verändern diese billigen und leicht bedienbaren Waffensysteme herkömmliche Taktiken. Zwar hat die Verteidigung gegen sie, etwa mittels elektronischer Kriegsführung, ebenfalls Fortschritte verzeichnet, doch sie hinkt der Entwicklung – man denke an KI-unterstützte Billigdrohnen – nach wie vor hinterher. Darüber hinaus beeinflussen die Drohnen auch die Ökonomie des Krieges: Sie kosten selber nur wenig, können aber extrem teure Systeme wie Panzer oder eben Langstreckenbomber zerstören.
Das gilt ebenso für die Seekriegsführung. Der Ukraine ist es mit ihren unbemannten Wasserfahrzeugen (USV) gelungen, die russische Schwarzmeerflotte wesentlich zu schwächen. Die verbleibenden russischen Schiffe haben sich aus Sewastopol in den weiter entfernten Hafen von Noworossijsk zurückgezogen, sind aber auch dort nicht sicher vor Angriffen.
Der Angriff auf die russische Bomberflotte hat nicht zuletzt auch deshalb so viel Aufsehen erregt, weil diese Flugzeuge ein Standbein der russischen nuklearen Abschreckung sind. Getroffen wurde also nicht nur eine konventionelle Luftflotte, die in den vergangenen Jahren Tod und Verwüstung über die ukrainischen Städte gebracht hat, sondern die strategische Atombomberflotte Russlands. Sie ist neben den land- und seegestützten Interkontinentalraketen der dritte Teil der russischen nuklearen Triade.
Ob Russland die Fähigkeit hat, dieses nukleare Standbein wiederherzustellen, ist offen. Zweifellos aber wird die Attacke eine massive Reaktion des Kremls zur Folge haben, da aus dessen Sicht weitreichende Angriffe auf die russischen strategischen Fähigkeiten eine rote Linie darstellen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass die Bomber aufgrund ihrer konventionellen Verwendung im Ukrainekrieg legitime Kriegsziele für die Ukraine darstellen.
Das Moskauer Staatsmedium «Moskowski Komsomolez» zitierte den kremlnahen Politologen Sergej Markow, der behauptete, der Angriff rechtfertige gemäss der russischen Nukleardoktrin einen atomaren Gegenschlag, da er sich gegen das strategische Nuklearpotenzial Russlands gerichtet habe. Seine Äusserungen spiegeln zwar nicht die offizielle Linie des Kremls wider, verraten aber, welchen Schock die ukrainische Attacke in Russland verursacht hat.
Experten erwarten nun auf jeden Fall verstärkte Drohgebärden des Kremls, allenfalls einen Akt der Vergeltung mit konventionellen Waffen. Dies könnte beispielsweise der Einsatz einer Oreschnik-Mittelstreckenrakete gegen Kiew sein. Bereits im November letzten Jahres hatte Russland die ukrainische Grossstadt Dnipro mit einer solchen Rakete beschossen, die aber nicht mit Sprengköpfen bestückt war. Dieser Angriff war als Reaktion auf den ukrainischen Einsatz US-amerikanischer ATACMS-Raketen sowie britischer Storm-Shadow-Marschflugkörper gegen militärische Ziele in Westrussland erfolgt.
Die meisten Beobachter sind sich einig, dass der Angriff – dem immerhin anderthalb Jahre Planung vorausgingen – nicht zufällig am 1. Juni erfolgte; also am Vortag der zweiten Runde der ukrainisch-russischen Gespräche in Istanbul. So gesehen kann die Attacke als Signal an den Kreml interpretiert werden: Dass nämlich die Fortsetzung des Krieges ihren Preis hat. Jedenfalls gab der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kurz nach den ersten Meldungen über den Angriff bekannt, unter welchen Bedingungen die Ukraine die Gespräche führen wolle. Genannt wurden ein sofortiger, bedingungsloser Waffenstillstand, die Freilassung aller Gefangenen und die Rückkehr der nach Russland entführten ukrainischen Kinder.
Allerdings hatte auch Russland kurz vor den Gesprächen in Istanbul die wohl stärksten Drohnenangriffe seit Kriegsbeginn gestartet. Die Gesprächsrunde in Istanbul fand nun in der Tat statt; sie dauerte aber nur eine Stunde. Vereinbart wurde lediglich ein Gefangenenaustausch, doch weitere Gespräche sind geplant. Aus dem Umfeld des Kremls gab es dagegen scharfe Kritik an den Verhandlungen: Der zuvor erwähnte Politologe Sergej Markow erklärte kurz nach Beginn der Gespräche, die ukrainische Delegation sei «eine Gruppe Terroristen», mit denen kein Frieden möglich sei.
Wenn Opfer sich mal wehren oder gar russische Bomber lahmlegen, ist das aus russischer Sicht freilich "Terror".
Man glaubt es nicht.
Militärische Einrichtungen und Material sind immer ein legitimes Ziel im Krieg! insbesondere wenn drunken Medwedew jeden zweiten Tag mit einem Atomschlag droht.