Ein Kampfjet taucht vor uns auf, nur wenig über den Baumwipfeln. Schnell gewinnt er an Höhe, während die Triebwerke dicke Rauchfahnen hinter sich herziehen. Die Startbahn liegt in Sichtweite, irgendwo in der Zentral-Ukraine. Kurz darauf folgt eine zweite Mig-29.
Dieser Flugzeugtyp stammt noch aus der Sowjetzeit. Trotz ihres Alters bekämpfen die Mig-29 zum Beispiel russische Kampfdrohnen oder feuern Raketen mit speziellen Zielsuchköpfen auf russische Radarschirme am Boden ab. Manchmal werden die Jets auch eingesetzt, um französische Hammer-Lenkwaffen auf russische Kommandoposten und Stellungen abzuwerfen.
In Frontnähe sieht man die Jets selten – und wenn doch, dann donnern sie mit furchterregendem Getöse knapp über einen hinweg, um der russischen Radarüberwachung zu entgehen. Mit dem Auto sind wir inzwischen vom Landesinnern in den Donbass gefahren, zur ostukrainischen Ortschaft Druschkiwka. Der Nachbarstadt Kostiantiniwka nähern sich Moskaus Truppen nun schon von drei Seiten.
Obwohl die Russen nur noch 20 Kilometer von Druschkiwka entfernt sind, verkehrt in der Stadt immer noch die Strassenbahn. Es wirkt surreal, wie die alten, rot-weissen Trams langsam über die holprigen Schienen rattern.
Im Gepäck führen wir ein Geschenk mit für Oleg, einen russischsprachigen Soldaten, der als Richtschütze eines Kampfpanzers dient. Wir haben den bärtigen Hünen schon mehrmals getroffen. Kürzlich hat er uns gebeten, ihm eine alte mechanische Schweizer Uhr mitzubringen, weil ihn das leise Ticken in den bangen Stunden an der Front beruhige.
Den Typ von Olegs Panzer erkennt man von aussen kaum noch, weil die Ukrainer das Stahlmonster mit einer Reaktivpanzerung eingekleidet haben. Diese besteht aus explosiven Kacheln, die beim Aufprall einer Drohne detonieren und den panzerbrechenden Gefechtskopf ablenken. Die riesigen Gefährte lassen sich aber nur schwer tarnen und werden daher nicht selten durch die Luftaufklärung aufgespürt. Gegen Drohnenangriffe ist Olegs Panzer zusätzlich durch ein aufklappbares Gerüst geschützt, das mit einem Netz überzogen ist. Dieses soll Kamikazedrohnen abfangen, bevor sie den Panzerstahl durchschlagen können.
Wegen der mitgebrachten Schweizer Uhr meldet sich Oleg dann per Kurznachricht: Es wäre besser, das Geschenk mit der Post zu schicken, denn in Olegs Frontabschnitt seien jetzt ganze Schwärme russischer Drohnen unterwegs. Wir befolgen den Rat, obwohl unser Auto mit einer Batterie von Störsendern gegen funkgesteuerte Drohnen ausgerüstet ist. Nur nützen die Sender nichts, wenn die Russen mit Quadcoptern angreifen, die sie nicht über Funk, sondern über ein dünnes Glasfaserkabel steuern.
Kurz darauf schickt Oleg eine weitere Nachricht: Die Russen würden nun grosse Mutterdrohnen in den Kampf schicken, die eine Reihe von kleineren Kamikazedrohnen abwerfen. Die Mutterdrohne verfüge über einen eigenen Sender, der die Signale der kleinen Angriffsdrohnen verstärke und zu den Piloten weiterleite. So wird die Reichweite erhöht.
«34 Drohnen haben unsere Stellung angegriffen und meinen Panzer komplett zerstört», schreibt Oleg dann plötzlich. Er selbst sei unverletzt, aber den Mechaniker habe die Attacke ein Bein gekostet. «Sie greifen in der Luft und am Boden an, aber so Gott will, werden wir sie abwehren.» Olegs Erzählungen legen den Schluss nahe, dass Russlands Sommeroffensive im Donbass schon voll im Gang ist.
Auch in der Region Sumi, rund 350 Kilometer weiter nordwestlich, sind die Russen vom Oblast Kursk auf ukrainisches Territorium vorgestossen und haben vorerst mehr als 90 Quadratkilometer erobert. Gleich nebenan halten die Ukrainer noch einen kleinen Teil russischen Staatsgebiets, das sie im letzten August eingenommen haben. Über manche Versorgungsrouten nahe der russischen Grenze haben die Ukrainer inzwischen Anti-Drohnen-Netze gespannt.
Laut Angaben aus Kiew hat die russische Armee bei Sumi rund 50'000 Mann zusammengezogen, um jene Offensive durchzuführen, die eigentlich schon 2024 geplant gewesen wäre. Dieser Angriff musste aber verschoben werden, weil die Ukrainer ihrerseits von Sumi aus einen überraschenden und tiefen Vorstoss nach Kursk unternahmen. Insgesamt haben sich die Geländegewinne der Russen im Mai gegenüber April mehr als verdoppelt, auf knapp 13 Quadratkilometer pro Tag. Ein solcher Wert wurde letztmals im Dezember registriert. Auch das ist ein Indiz, dass die Sommeroffensive schon begonnen hat.
Die Kriegsparteien überbieten sich nun auch gegenseitig mit Angriffen weitreichender Drohnen auf Städte und Infrastrukturanlagen tief im gegnerischen Hinterland. Die Russen feuern zudem ballistische Raketen des Typs Iskander ab. Nach solchen nächtlichen Angriffen dominieren in westlichen Medien die Bilder von brennenden Gebäuden oder die immer gleichen Fotos von U-Bahn-Stationen in Kiew, in denen Menschen Zuflucht suchen. Allerdings sind ein paar hundert Leute tief unter dem Erdboden der ukrainischen Hauptstadt nicht repräsentativ für die grosse Mehrheit der Bewohner, deren Zahl derzeit auf drei Millionen geschätzt wird.
Die meisten Menschen lassen sich durch solche Angriffe nicht aus der Ruhe bringen. So zum Beispiel in der Hafenstadt Odessa, als zur Mittagszeit kurz nacheinander zwei ballistische Raketen mit einem Riesenkrach explodieren. Obwohl die Druckwelle deutlich zu spüren ist, schaut das Paar am Nachbartisch des Restaurants kaum auf und setzt die Konversation dann fort, als ob nichts geschehen wäre.
Die Terrorangriffe dienen vor allem dem Ziel, den Menschen im Westen zu suggerieren, dass die Ukraine verloren sei. Moskau geht es vor allem darum, den Westen zum Stopp seiner Waffen- und Finanzhilfe zu bewegen. Denn Putin weiss, dass er den Krieg nicht gewinnen kann, solange die Ukraine genügend Unterstützung von aussen erhält. (nib/aargauerzeitung.ch)
Mir scheint, was das angeht, ist Moskau weiter als viele in Europa die immer noch sehr zögerlich agieren, was die Unterstützung der Ukraine betrifft.
Gut weiss sich die Ukraine immer wieder unkonventionell zu Helfen und schlagen Putin wo es ihn am meisten schmerzt.
Ich hoffe, das ist erst der Anfang von Ukrainischen Spezialoperationen um es Putingerecht zu formulieren.
Wenn die Ukraine fällt, fällt Europa. Der nächste Grosse Krieg wird kommen inkl. NATO-Beteiligung. Macht die Augen auf. Zieht endlich rote Linien, ohne sie zu verschieben und auf diplomatische Hoffnung zu setzen, die ins Leete führt.
Diese Brutalität gefällt erstens den Putin-Fans im Westen, und zweitens will man das Opferland auf diese Weise unbewohnbar machen.
Das wird beim nächsten Staat auch so sein, den Russland erbeuten möchte.