Ramsan Kadyrow soll unheilbar krank sein. Der tschetschenische Machthaber leide an einer Pankreasnekrose, berichtete die im Exil herausgegebene russische Zeitung «Nowaja Gaseta. Europa» am Montag. Der Kreml halte bereits Ausschau nach einem geeigneten Nachfolger für Kadyrow.
Wer ist «Putins Bluthund», wie Kadyrow wenig schmeichelhaft genannt wird, und wie kam er an die Macht in Tschetschenien? Welche Rolle spielt er in Putins System und welche Verbrechen werden ihm vorgeworfen?
Kadyrow wurde am 5. Oktober 1976 in der damaligen Tschetscheno-Inguschischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik geboren, die Teil der Russischen Sowjetrepublik war. Wie die meisten Tschetschenen ist er sunnitischer Muslim und gehört der Strömung des Sufismus an. Seit 17 Jahren beherrscht er die russische Teilrepublik Tschetschenien als treuer Statthalter Putins.
Der 47-Jährige ist Vater von insgesamt zwölf Kindern. Obwohl auch in Tschetschenien das russische Gesetz gilt, das Polygamie verbietet, stellt Kadyrow fest: «In der Scharia steht: Wenn man zwei Frauen hat, muss man sie gleich gut behandeln, kleiden, gleich wertvolle Häuser für sie bauen, gleich teure Pelzmäntel und Autos kaufen.» Tatsächlich hat er zwei Frauen: Neben seiner ersten, standesamtlich mit ihm getrauten Gattin Medni Kadyrowa ist er nach islamischem Ritus auch mit seiner Nebenfrau Fatimá Chasujewa verheiratet, auf die sein Auge am ersten und bisher einzigen Schönheitswettbewerb in Tschetschenien fiel.
Beiden Frauen soll er in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny je einen Palast gebaut haben, ein dritter dient ihm als Regierungssitz. Zusätzlich besitzen die Frauen weitere Wohnungen in verschiedenen Städten. Kadyrow besitzt zudem einen privaten Airbus und eine Villa in Dubai. All dies ist mit seinem offiziellen Gehalt nicht im Ansatz zu finanzieren. Auf die Frage einer Journalistin, woher er das Geld habe, antwortete er 2011: «Allah gibt. Ich weiss es nicht.»
Kadyrow ist der Nachfolger seines Vaters Achmat, der 2004 bei einem Bombenanschlag ums Leben kam. Achmat Kadyrow hatte noch 1994 als Mufti von Tschetschenien zum Dschihad gegen Russland aufgerufen, danach aber zu Beginn des Zweiten Tschetschenienkrieges 1999 die Seiten gewechselt. Zum Dank für den Seitenwechsel wurde er Chef der russischen Verwaltungsbehörde in Tschetschenien und 2003 dann Präsident der Republik Tschetschenien.
Nach Achmat Kadyrows Ermordung durch islamistische Rebellen wurde zunächst Alu Alchanow offiziell zum Präsidenten ernannt, wobei aber längst Kadyrow junior an den inoffiziellen Schalthebeln der Macht sass. Er wurde zunächst Ministerpräsident und schliesslich 2007, nachdem er das Mindestalter von 30 Jahren erreicht hatte, Präsident von Tschetschenien. In diesem Amt sorgt er bisher in der von zwei Kriegen gebeutelten russischen Teilrepublik mit brutaler Repression für Ruhe. Seine Herrschaft ist unangefochten; 2021 wurde er mit angeblich 99,6 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.
In der Kaukasusrepublik, in der die Gräuel der beiden Kriege noch nicht vergessen sind, sorgt Kadyrow für Friedhofsruhe – die auch Putin nützt: Der russische Präsident verdankte seine Popularität in seiner ersten Amtszeit wesentlich dem harten Durchgreifen in Tschetschenien und der Rückgewinnung der Kontrolle über die sezessionistische Republik.
Seit seiner Machtübernahme führt Kadyrow in Tschetschenien ein strenges Regime, das traditionelle islamische und lokale Normen durchsetzt. So sind Frauen gehalten, Kopftuch zu tragen. Der Präsident zelebriert sowohl seinen Glauben als auch einen brachialen Machismo. Die prononcierte Betonung eines konservativen Islams, die manche als «Arabisierung» Tschetscheniens bezeichnen, nützt auch Putin, wie die Politikwissenschaftlerin Miriam Katharina Hess von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik meint. Kadyrow könne so für den russischen Präsidenten eine Art Verbindung zur arabischen Welt schaffen, die dieser nicht leisten könne.
Kadyrows Herrschaft ist vollständig von Subventionen aus dem Kreml abhängig und seine einzige Legitimation besteht in der Unterstützung durch Putin, die ihn wiederum zu völliger Loyalität verpflichtet. Dies zeigt sich in seiner Beteiligung mit eigenen Einheiten am Ukrainekrieg oder etwa während der Revolte der Gruppe Wagner unter Jewgeni Prigoschin gegen Putin und die russische Militärspitze, als Kadyrows Truppen die Wagnersöldner bekämpften. Umgekehrt zeigt sich aber auch Putin loyal; er schützt seinen «Bluthund» vor juristischen Konsequenzen für dessen Bluttaten und schweigt zu internationaler Kritik an Kadyrows Regime.
Putins «Bluthund» trägt seinen Übernamen nicht umsonst. Die Korruption, der er seinen Reichtum verdankt, zählt zu seinen harmloseren Vergehen. Kritiker und Oppositionelle räumt er konsequent aus dem Weg, selbst im Ausland sind sie nicht sicher vor ihm. Und nicht nur politische Gegner müssen um ihr Leben fürchten – auch Homosexuelle und Angehörige anderer sexueller Minderheiten werden verfolgt und schikaniert, manchmal mit Todesfolge.
Die Liste seiner Verbrechen ist lang, sie kann hier nur summarisch und anhand von einzelnen Beispielen wiedergegeben werden. Kadyrow steht seit 2014 mit einem Einreiseverbot auf der EU-Sanktionsliste, weil er Gegner weltweit verfolgt und töten lässt, und auch Washington hat ihn auf seine Sanktionsliste gesetzt. Der bekannteste Fall eines im Ausland umgebrachten Regimekritikers ist Selimchan Changoschwili, der 2019 im Berliner Tiergarten erschossen wurde. Gemäss Ermittlungen der deutschen Behörden erfolgte die Tötung «im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik».
Kadyrows bekanntestes Opfer dürfte die kremlkritische russische Journalistin Anna Politkowskaja sein, die 2006 in Moskau erschossen wurde. Sie war mit ihren Recherchen über gravierende Menschenrechtsverbrechen in Tschetschenien, die in der Zeitung «Nowaja Gaseta» erschienen, sowohl Putin wie Kadyrow ein Dorn im Auge. In Tschetschenien selbst bezahlte Natalja Estemirowa von der Menschenrechtsgruppe Memorial in Grosny mit ihrem Leben für ihren Einsatz. Sie wurde 2009 vor ihrem Wohnhaus entführt und mit mehreren Schüssen regelrecht exekutiert.
Die Verfolgung sexueller Minderheiten in Tschetschenien, besonders von Homosexuellen, scheint Kadyrow mit besonderem Eifer zu betreiben. 2017 kam es zu einer eigentlichen Verfolgungswelle, in deren Verlauf mehr als 100 homosexuelle Männer in eigens für sie errichteten Gefängnissen festgehalten und gefoltert wurden; mindestens 27 wurden hingerichtet. Kadyrow soll laut dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) einige der Opfer sogar persönlich gefoltert haben.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Gesundheitszustand von Kadyrow für Schlagzeilen sorgt. Bereits im vergangenen September gab es Gerüchte, wonach der Tschetschenenführer im Koma liege. Auf die neusten Berichte von einer unheilbaren Erkrankung reagierte Kadyrows Pressedienst umgehend mit der Veröffentlichung eines Videos, das den tschetschenischen Machthaber in einer Sitzung zeigt, in der es um «Fragen im Zusammenhang mit der Beteiligung Tschetscheniens an der militärischen Sonderoperation» geht. Da sich Kadyrow kaum bewegt und undeutlich spricht, hat das Video die Gerüchte allerdings eher angeheizt als besänftigt.
Пресс-служба Кадырова ответила на статью о его неизлечимой болезни роликом, на котором глава Чечни медленно говорит, почти не двигается и смотрит в одну точку
— Новости «Агентства» (@agents_media) April 22, 2024
▪️В понедельник в блоге Рамзана Кадырова после пятидневного перерыва появилось новое видео с участием главы Чечни.
▪️В… pic.twitter.com/cYCcagG8ms
Während der Kreml im September eine massive PR-Kampagne startete, um Kadyrow nach den Gerüchten über seinen Zustand in bester Gesundheit zu zeigen, soll die russische Präsidialverwaltung nun auf der Suche nach einem Nachfolger für den angeschlagenen Kadyrow sein. Laut der «Nowaja Gaseta» gehört der Kommandant der tschetschenischen Privatarmee Achmat, Apti Alaudinow, zu den potenziellen Kandidaten. Der Generalmajor sei erst kürzlich zum Stellvertreter in der Hauptdirektion für militärische und politische Arbeit im Verteidigungsministerium ernannt worden.
Wer immer auch nach Kadyrow in den Präsidentenpalast in Grosny einziehen mag, wird vor einer grossen Herausforderung stehen. Kadyrow hat seinen Machtapparat stark auf sich persönlich zugeschnitten und mit einem veritablen Personenkult gefestigt. Er hat auch versucht, die älteren seiner Söhne in Stellung zu bringen – so leitet der Sohn Adam die Sicherheitsabteilung des Staatschefs. Der Kadyrow-Sprössling, der bereits sieben Orden und den Titel «Held Tschetscheniens» erhalten hat, ist freilich noch im Teenageralter.
Kadyrow könnte also die Zeit davonlaufen, und es erscheint eher als unwahrscheinlich, dass sich einer seiner noch sehr jungen Söhne in der Schlangengrube der tschetschenischen Politik wird behaupten können, sollte der Vater innerhalb der nächsten ein, zwei Jahre das Zeitliche segnen.
Derzeit sorgt Kadyrow mit seinem repressiven Regime dafür, dass Spannungen in der vom Krieg traumatisierten tschetschenischen Gesellschaft gleichsam unter dem Deckel bleiben. Sollte der Machthaber nun vorzeitig sterben, könnten diese Spannungen mit aller Gewalt wieder aufbrechen. Dieses Szenario kann nicht im Interesse Putins sein; die «Befriedung» Tschetscheniens ist einer seiner wichtigsten Erfolge. Und der Kreml ist auf die – medial stets ausgiebig zelebrierte – Unterstützung im Ukrainekrieg angewiesen. In Moskau wird man die Entwicklung in Grosny deshalb mit Argusaugen verfolgen.