The Line – die Linie. 170 Kilometer lang hätte das Monsterprojekt in Saudi-Arabien werden sollen, 500 Meter hoch, 200 Meter breit, mit 9 Millionen Einwohnern. Ein gigantischer Wohnkomplex mit Einkaufs- und Arbeitsmöglichkeiten, mit vertikaler Landwirtschaft und einem Hochgeschwindigkeitszug.
Daraus wird vorerst nichts.
Für das überambitionierte Unterprojekt der Vision Neom, die weitere nicht minder gigantische Bauten umfasst, wollte Kronprinz Mohammed bin Salman 1,5 Billionen Dollar ausgeben. Doch das Budget muss vom saudi-arabischen Staatsfonds genehmigt werden. Und das bei abnehmenden flüssigen Reserven.
Deshalb kommt jetzt Sand ins Getriebe.
Statt 170 Kilometer, so berichtet Bloomberg, soll The Line noch 2,4 Kilometer lang werden. Damit würde es den Rekord des weltweit grössten Gebäudes um 100 Meter verpassen. Der «Koloss von Prora», ein Nazibau auf Rügen, der später von der DDR als gigantische Kaserne genutzt wurde, ist 2,5 Kilometer lang.
Statt mit 1,5 Millionen Einwohnern soll das Gigaprojekt bis ins Jahr 2030 nur noch mit 300'000 Einwohnern bevölkert werden. Laut Bloomberg haben Baufirmen damit begonnen, Arbeiter in die Wüste zu schicken.
Bereits zuvor war das Projekt immer wieder negativ in die Schlagzeilen geraten. Sei es wegen der regen Rochaden in der Führungsriege, der steten Meinungsänderungen von Prinz Mohammed, speziell aber nach der Exekution dreier Männer. Offiziell waren die Mitglieder des Stamms der Howeitat wegen Terrorismus verurteilt worden. Berichten zufolge wurde ihnen aber zum Verhängnis, dass sie sich gegen die Zwangsräumung ihrer Häuser gewehrt hatten. Die geplante Linienstadt führt quer durch ihr Land. Saudi-Arabien hat eine der höchsten Hinrichtungsraten der Welt. 2023 wurden über 170 Menschen exekutiert.
Nicht in dieser Statistik taucht ein viertes Opfer auf. Abdul Rahim al-Howeitat wurde nach regimekritischen Social-Media-Posts von Sicherheitskräften getötet. Dies sei in Notwehr geschehen, heisst es von offizieller Seite, und der Fall wurde damit ad acta gelegt. Augenzeugen berichten indes von einer geplanten Erschiessung.
Ob neben The Line auch andere Neom-Grossprojekte zusammengekürzt werden – ob insbesondere die Durchführung der asiatischen Winterspiele in den Bergen von Tabuk gefährdet ist, ist nicht bekannt.
Dort, auf 1500 bis 2600 Metern, ist ein Skigebiet mit dem Namen Trojena geplant. Bereits 2026 soll es den Betrieb aufnehmen – und 2029 die Asien-Winterspiele austragen. Trojena beinhaltet unter anderem einen «Bergsee mit präzisionsgefertigtem Design», ein (Outdoor-)Ski-Dorf, «extrem luxuriöse Villen» und ein futuristisches vertikales Dorf mit Namen The Vault.
Laut Bloomberg versichern «mit der Angelegenheit vertraute Quellen» aber, dass die Bautätigkeiten der anderen Neom-Projekte planmässig fortschreiten. Zum Beispiel die Luxusbade- und Tauchinsel Sindalah im Roten Meer («Eine Zuflucht wie keine Andere»).
#Sindalah island will open this year, it’s part of the city of dreamers as what the Crown Prince call it 💚#NEOM pic.twitter.com/hWgKElljKE
— علي القحطاني (@ali_alqahtanii8) April 21, 2024
Noch zieren vor allem Kräne die Insel, doch die ersten Gäste sollen noch in diesem Jahr bewirtet werden.
Die Vision Neom ist die Kopfgeburt des Kronprinzen. Er will Saudi-Arabien damit für die Zeit nach den Erdölmilliarden wappnen. Kommuniziert ist ein komplett klimaneutraler Unterhalt – und, etwas weniger prominent, absolute Sicherheit durch die Rundumüberwachung durch den Staat.
Die Saudis werden immer noch einige hundert Milliarden verbrennen für diesen modernen Turmbau zu Babel.
Selbst wenn TheLine jemals fertig wird: Ich frage mich immer noch wer in dieser dystopischen Linie leben will. Umgeben von Sand und Wüste. Mehr oder weniger ein Luxus-Gefängnis im 21. Jahrhundert.