Es wirkt wie ein letztes Ultimatum: Alexander Lawrentjew, Russlands Syrien-Beauftragter, will der Türkei offenbar doch noch etwas Zeit gewähren, um eine Lösung für die Provinz Idlib zu finden. Ein Weg ohne militärische Mittel sei möglich, hiess es nun aus Moskau.
Zugleich setzte die syrische Armee am Mittwoch ihre Angriffe auf Idlib fort. In der nordsyrischen Provinz könnte sich in diesen Tagen der seit sieben Jahren tobende Krieg entscheiden.
Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Die Provinz Idlib ist die letzte von islamistischen Rebellen kontrollierte Gegend in Syrien. Rund drei Millionen Menschen leben derzeit dort. Ein grosser Teil ist aus anderen Landesteilen geflohen, darunter zahlreiche bewaffnete Kämpfer.
Syrische Regierungstruppen sind rund um Idlib aufmarschiert und haben die Region umstellt. Seit Tagen fliegen russische Kampfflugzeuge Angriffe auf die Rebellenhochburg. Beobachter sehen darin die Vorbereitungen für einen gross angelegten Angriff. Assad holt zum finalen Schlag aus.
Assad könnte die Kontrolle über die letzte Bastion der Aufständischen zurückgewinnen, was dem vorläufigen Ende des Syrien-Krieges gleichkommen würde. Die UNO warnt indes vor einer der schlimmsten humanitären Katastrophen seit Jahrzehnten – mit bis zu 800'000 neuen Flüchtlingen.
Der Iran und Russland greifen dem syrischen Diktator unter die Arme. Ohne Hilfe aus Moskau hätte sich Assad wohl nicht an der Macht in Syrien halten können. Auch der bevorstehende Angriff auf Idlib dürfte mit russischer Unterstützung ablaufen: Moskau hat Marineeinheiten vor der Küste stationiert. Die Bombardierung aus der Luft hat längst begonnen.
Präsident Putin will durch eine starke militärische Präsenz in Syrien seinen Einfluss in der Region festigen und Russlands Rolle auf der weltpolitischen Bühne verankern. Es ist daher in Putins Interesse, seinen Verbündeten Assad an der Macht zu halten.
Die Absenz der USA im Syrienkrieg hat ein Vakuum geschaffen, das drei Staaten füllten: Russland, der Iran und die Türkei. Im Versuch, Syrien zu stabilisieren, hatte man sich ursprünglich darauf verständigt, sogenannte «Deeskalationszonen» einzurichten: Vier von Rebellen dominierte Gebiete, überwacht von russischen, türkischen und iranischen Truppen. Beobachter warnten früh, dass die Konzentration der Rebellen auf einige wenige Gebiete de facto einer Einladung an das syrische Regime gleichkommt, eines nach dem anderen einzunehmen. Und genau so kam es. Die Provinz Idlib ist die letzte Zone, die noch übrig ist.
Die Türkei und Syrien sind direkte Nachbarn. Seit sieben Jahren nimmt die Türkei Flüchtlinge aus Syrien auf – insgesamt weit mehr als drei Millionen und damit dreimal so viele wie ganz Europa zusammen. Das Land stösst allerdings an seine Grenzen. Greift Assad Idlib an, könnte sich die Lage dramatisch verschärfen. Es geht jedoch nicht nur um die Flüchtlinge: Die Türkei ist eine Art Schutzmacht der Rebellen in Syrien. Unter diesen befinden sich auch radikale Islamisten. Die Türkei finanziert sie seit Beginn des Syrienkrieges im Jahr 2011. Mithilfe der Rebellen versucht Ankara, die Entstehung eines zusammenhängenden Kurdengebiets in Nordsyrien (und damit an der türkischen Grenze) zu verhindern.
Am Wochenende kamen Russland, Iran und die Türkei zusammen, um über das weitere Vorgehen in Idlib zu beraten. Der türkische Präsident wollte Zeit gewinnen, um die verschiedenen Rebellengruppen in die von der Türkei besetzten Gebiete im Norden des Landes abziehen zu lassen. Russland und Iran lehnten ab. Terroristen werde kein freies Geleit gewährt, so die Begründung. Tatsächlich befindet sich eine Vielzahl an tschetschenischen Kämpfern in Idlib. Moskau wird diese kaum abziehen lassen. Die Türkei steckt in der Zwickmühle: Einerseits hat sie in Syrien aus ihrer Sicht vitale Interessen zu verteidigen. Andererseits möchte sie eine direkte Konfrontation mit Russland unbedingt vermeiden.
Europa soll vor allem beim Wiederaufbau Syriens helfen. Das ist zumindest der Wunsch des russischen Präsidenten. Die mehr als 100 Milliarden Euro, die für den Wiederaufbau des zerstörten Landes nötig wären, kann Russland alleine unmöglich aufbringen. Deutschland, Frankreich und Grossbritannien haben bereits ablehnend reagiert. Putin hat allerdings ein Druckmittel: Die Menschen, die sich bei einem Angriff auf Idlib in Richtung Europa aufmachen würden. (aargauerzeitung.ch)