Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat angesichts unterschiedlicher Ansichten über den Nahostkonflikt die Wichtigkeit des direkten Austauschs mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hervorgehoben.
«Herr Präsident, dass wir zu dem Konflikt sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ja kein Geheimnis», sagte Scholz vor einem Abendessen mit Erdogan in Berlin. «Gerade deshalb sind unsere Gespräche wichtig, gerade in schwierigen Augenblicken brauchen wir das direkte Gespräch untereinander.»
Scholz bekräftigte: «Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstösslich.» Weiter sagte er: «In unserem Land ist kein Platz für Antisemitismus, egal ob er politisch motiviert ist oder religiös, ob er von rechts kommt oder von links, ob er seit Jahrhunderten hier gewachsen ist oder von aussen ins Land kommt.» Gleichzeitig stelle er sich denjenigen entgegen, die den Muslimen in Deutschland ihren Platz absprechen wollten. Auch das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung in Gaza sei bedrückend.
Mit Erdogan wolle er darüber sprechen, «wie wir eine weitere Eskalation verhindern können, denn wir teilen die Sorge um einen Flächenbrand im Nahen Osten».
Kurz vor dem Treffen hat die Türkei auf ein deutsches Ja zum türkischen Kauf von Eurofighter-Jets gedrängt. Ankaras Interesse an 40 Kampfflugzeugen sei der Regierung bekannt, sagte der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Erdogan traf derweil im Schloss Bellevue den deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Ob das türkische Interesse an den Kampfflugzeugen auch bei dem für den Abend geplanten Essen mit Scholz auf den Tisch kommen wird, ist unklar.
Der türkische Verteidigungsminister Yasar Güler hatte am Donnerstag gesagt, man beabsichtige 40 der Kampfflugzeuge zu kaufen und habe bereits die Zustimmung von Grossbritannien und Spanien. «Jetzt arbeiten sie daran, Deutschland zu überzeugen», zitierte ihn die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.
Deutschland ist an der Produktion der Eurofighter beteiligt. Deswegen ist eine Zustimmung der Bundesregierung bei jedem Exportgeschäft erforderlich. Die Lieferung von Eurofightern nach Saudi-Arabien hat die Bundesregierung zuletzt unterbunden. Diese Kampfjets werden in Grossbritannien gefertigt.
Der Besuch Erdogasn ist auch wegen dessen scharfer Verbalattacken gegen Israel im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg umstritten. Erdogan hatte die Ermordung vieler Hundert israelischer Zivilisten beim Terrorangriff am 7. Oktober zwar verurteilt, die dafür verantwortliche Hamas aber später als «Befreiungsorganisation» bezeichnet. Israel warf er dagegen einen «Genozid» (Völkermord) im Gazastreifen vor und stellte sogar Israels Existenzrecht infrage.
Ein Journalist der deutschen Presseagentur fragt Erdogan nach dessen Statement, ob er das Existenzrecht Israels infrage stellen würde. Der türkische Präsident weicht einer konkreten Antwort aus – sagt stattdessen: «In der NATO ist die Türkei nicht irgendein Land, sondern unter den ersten fünf. Zwischen Russland und der Ukraine – wer ist auf der Seite der Ukraine? Alle. Wir aber sprechen mit der Ukraine und Russland. Jetzt wurden die Gebetshäuser im Nahen Osten zerbombt. Warum gibt es keine Reaktionen darauf? Für uns gibt es keinen Unterschied, wenn wir von Juden, Christen oder Muslimen sprechen. Stellen Sie bitte Fragen, die menschlich sind.»
Steinmeier hat in seinem Gespräch mit Erdogan die deutsche Position im Nahost-Konflikt «mit Nachdruck deutlich gemacht». Das teilte das Bundespräsidialamt mit. «Der Bundespräsident hat die Einstufung des Überfalls der Hamas auf Israel als Terrorangriff und der Hamas als Terrororganisation unterstrichen. Er hat das Existenzrecht Israels sowie sein Recht auf Selbstverteidigung herausgehoben.»
Laut Erdogan versuche Israel, «einen Staat aufzubauen, dessen Geschichte nur 75 Jahre zurückreicht und dessen Legitimität durch den eigenen Faschismus infrage gestellt wird», sagte er Ende vergangener Woche. Scholz hat die Vorwürfe Erdogans gegen Israel als «absurd» zurückgewiesen. Gleichzeitig erklärte Erdogan aber auch immer wieder seine Unterstützung für eine Zwei-Staaten-Lösung – eine Haltung, die er mit dem deutschen Bundeskanzler teilt.
Der türkische Präsident forderte einen humanitären Waffenstillstand. Wenn Deutschland und die Türkei gemeinsam einen solchen Waffenstillstand erreichen könnten, habe man die Chance, die Region aus diesem «Feuerring» zu retten, so Erdogan. Jeder müsse sich für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten einsetzen.
Die Nato-Partner dürften zudem das ausstehende Ja des türkischen Parlaments zur Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis thematisieren. Das scheint sich früherer Zusagen Erdogan zum Trotz weiter zu verzögern: Die zuständige Kommission im türkischen Parlament vertagte am Donnerstag ihre Entscheidung, laut türkischen Medienberichten auch auf Druck von Erdogans Parteikollegen. Es gebe noch weiteren Klärungsbedarf, hiess es. Wann das Thema erneut auf die Tagesordnung gesetzt wird, war zunächst unklar.
Türkische Journalisten spekulierten, Erdogan könnte dies als Druckmittel in den Verhandlungen um die Eurofighter nutzen wollen. Der türkische Staatschef hatte zuvor versucht, sein Einverständnis zur Nato-Erweiterung an Kampfjets aus den USA zu knüpfen.
Bei dem Treffen zwischen Scholz und Erdogan dürfte es vor dem Hintergrund der aktuellen Situation auch um den Flüchtlingspakt zwischen der EU und der Türkei gehen. Über ihn hatte sich die Türkei verpflichtet, die Schleuseraktivitäten an ihrer Grenze zu stoppen und Migranten zurückzunehmen, die illegal über die Türkei auf die griechischen Inseln kommen. Im Gegenzug erhielt Ankara von der EU Milliardenhilfen unter anderem für die Unterbringung der Flüchtlinge. Von Griechenland nimmt die Türkei jedoch seit 2020 keine Migranten mehr zurück – begründet wurde das damals mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Türken stellten zudem im Oktober die meisten Asylanträge in Deutschland.
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