Bei einem Angriff in der Strasse von Kertsch, die das Schwarze Meer und das Asowsche Meer miteinander verbindet, ist in der Nacht zum Samstag ein russischer Tanker beschädigt worden. Medienberichten zufolge soll es sich bei dem Vorfall um eine ukrainische Drohnenattacke gehandelt haben. Zuvor hatte es nach Angaben russischer und ukrainischer Medien mehrere Explosionen nahe der Krim-Brücke gegeben. Unabhängig überprüfen liessen sich die Angaben nicht.
Die Ukraine hat mehrfach russische Marineschiffe und auch die Krim-Brücke angegriffen. Das ukrainische Verteidigungsministerium hatte bereits in der Vergangenheit davor gewarnt, dass ab dem 21. Juli 2023 alle Schiffe, die die Schwarzmeer-Häfen der Russischen Föderation sowie ukrainische Häfen, die vorübergehend von Russland besetzt sind, anlaufen, von der Ukraine als militärische Ziele betrachtet werden. Das Land verteidigt sich seit mehr als 17 Monaten gegen den russischen Angriffskrieg.
Ein Militärexperte sieht unterdessen Chancen auf Erfolg für die ukrainische Gegenoffensive, die langsam aber stetig voranschreite. Nur brauche die Ukraine mehr westliche Waffensysteme - auch aus Deutschland.
Bei dem mutmasslichen ukrainischen Drohnenangriff auf den russischen Tanker in der Strasse von Kertsch soll der Maschinenraum des Schiffes beschädigt worden sein. Die Besatzung des Schiffes befinde sich aber in Sicherheit, berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das Koordinierungszentrum für die Seenotrettung in Noworossijsk. Die Brücke zwischen der von Moskau besetzten Schwarzmeer-Halbinsel Krim und dem russischen Festland war Berichten zufolge komplett abgedunkelt und für Autoverkehr gesperrt. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen.
Ein Vertreter der russischen Besatzungsverwaltung der Krim sprach auf Telegram von einer «aktiven Gefahrenlage». Russische Staatsmedien berichteten, ein Rettungsteam sei in Richtung eines Tankers ausgerückt. Im Internet wurde ein mutmasslicher russischer Funkspruch an die Schiffe in der Kertsch-Meerenge veröffentlicht, in dem alle Schiffe zu erhöhter Achtsamkeit im Zusammenhang mit einem Angriff durch Luft- und Seedrohnen aufgerufen werden. In einem online veröffentlichten mutmasslichen Funkgespräch des Frachters, erklärt eines der Crew-Mitglieder, dass der Maschinenraum geflutet und das Schiff immobilisiert sein soll. Auch dies war nicht überprüfbar.
Rund zwei Monate nach Beginn der ukrainischen Gegenoffensive sieht der Militärexperte Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) unterdessen Chancen für einen Erfolg der Operation. Die Offensive gehe langsam aber sicher voran. «Wenn die Ukrainer es schaffen, durch die erste russische Verteidigungslinie zu kommen, wird die Offensive erfolgreich sein», sagte Mölling den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Samstag).
Aus Möllings Sicht würde es reichen, wenn die ukrainischen Truppen bis zu den quer verlaufenden Versorgungslinien auf Eisenbahn und Strasse in Richtung Melitopol vorstiessen. Dann könnten sie das ganze Gebiet bis zum Asowschen Meer mit Artillerie und Raketenartillerie beschiessen, meint der Experte. «Das Terrain wäre dann für die Russen nicht mehr zu verteidigen.»
Die Ukrainer brauchen nach Ansicht des DGAP-Experten keinen Durchbruch. Es würde reichen, sich so gut aufzustellen, dass es für die Russen nicht mehr möglich wäre, den Süden zu halten. «Dann müssen sie abziehen.» Der Krieg könne auch ohne Entscheidungsschlacht entschieden werden. «Es braucht kein Ende wie in einem Hollywood-Film», meint Mölling.
Die Ukraine brauche allerdings mehr von allen bislang gelieferten westlichen Waffensystemen: Minensuchräumer, Munition oder Flugabwehr. Darüber hinaus benötige das Land Raketen mit grösserer Reichweite. Deutschland solle auch Taurus-Marschflugkörper an Kiew liefern, forderte Mölling. Dass dies eine Eskalation darstelle, ist seiner Meinung nach «Unsinn». Briten und Franzosen hätten bereits ähnliche Flugkörper geliefert. «Da entsteht keine neue Qualität.» Die deutsche Regierung müsse auch einen Plan erstellen, was die Ukrainer in sechs Monaten bräuchten. «Deutschland ist bislang immer zu spät gekommen.»
Bei der Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern zögert die deutsche Regierung, weil die Geschosse auch russisches Territorium erreichen können.
Die deutsche Bundesregierung hat unterdessen weiteres militärisches Gerät und Waffen an die Ukraine geliefert. Laut einer am Freitag aktualisierten Übersicht auf der Regierungsseite erhielt Kiew im Vergleich zur Vorwoche unter anderem zwei weitere Minenräumpanzer, neun weitere Grenzschutzfahrzeuge und drei weitere Aufklärungsdrohnen. Ausserdem lieferte Deutschland demnach auch Antiminenpflüge für T-72-Panzer, automatisierte Aufklärungssysteme und mobile Antennenmastkomplexe.
Die Liste der geplanten Militärhilfen wurde ebenfalls aktualisiert. Neue Pläne umfassen nun die Lieferung von 18'000 Panzerabwehrhandwaffen, 40 zusätzlichen Schützenpanzern vom Typ Marder, sechs Bergepanzern, sieben Fernminenräumgeräten und fünf weiteren Aufklärungssystemen.
Nach dem Angriff einer ukrainischen Seedrohne auf ein russisches Kriegsschiff am Freitag dankte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Geheimdienst SBU für seine Arbeit. In seiner abendlichen Videoansprache sagte Selenskyj der SBU habe den Krieg zurück zum russischen Aggressor gebracht. «Was man in die Welt hineinbringt, darauf bleibt man schlussendlich sitzen», hiess es in seinem Telegram-Kanal. Zuvor veröffentlichten Medien im Internet ein Video, das den erfolgreichen Angriff einer SBU-Seedrohne, beladen mit 450 Kilogramm Sprengstoff, auf das feindliche Schiff zeigen soll.
Spätere Bilder zeigten das Landungsschiff «Olenegorski gornjak» (Olenegorsker Bergmann) in geneigter Lage im russischen Schwarzmeerhafen von Noworossijsk. Sogar Kreml-treue russische Kriegsblogger schrieben von Beschädigungen des Schiffes.
Am Samstag beginnt in Saudi-Arabien ein Gipfeltreffen ranghoher Vertreter aus mehr als 30 Ländern zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Das Treffen findet bis Sonntag in der Küstenstadt Dschidda statt. Russland werde nicht teilnehmen. (sda/dpa)