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In drastischen Worten erklärte Chris Rock bei der Oscar-Verleihung seinem überwiegend weissen Publikum, warum die Schwarzen damals, in den 50er und 60er Jahren, nicht gegen den «Preis der Weissen» protestiert hatten: «Wir Schwarzen waren damals damit beschäftigt, vergewaltigt und gelyncht zu werden», ätzte der Comedian. Es sei egal, wer den Oscar gewinne, «wenn deine Grossmutter an einem Baum hängt.»
Rock legte damit den Finger in eine offene amerikanische Wunde, die dem «Land der Freien» seit den Anfängen zu schaffen macht. Die Vorfahren der heutigen Afroamerikaner waren nicht wie ihre weissen Herren als Auswanderer nach Amerika gekommen – sie überquerten den Ozean angekettet im stickigen Bauch von Sklavenschiffen. Schon 1619 löschte der erste Sklavenhändler seine menschliche Fracht in Jamestown, Virginia.
Auch nachdem die Niederlage der Südstaaten im Bürgerkrieg das Ende der Sklaverei in den USA endgültig besiegelt hatte, besserte sich die Lage der Schwarzen nur wenig. Im besiegten und gedemütigten Süden traf sie die volle Wucht des rassistischen Ressentiments. Bald schränkten diskriminierende Gesetze ihre Freiheit wieder ein; der nach dem Krieg gegründete Ku-Klux-Klan machte Jagd auf alle, die das Versprechen der Gleichberechtigung zu ernst nahmen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts führten die Südstaaten offiziell die Rassentrennung ein. Die Segregation, die unter der zynischen Devise «separate but equal» («getrennt, aber gleich») segelte, sorgte dafür, dass Weisse und Farbige Einrichtungen wie öffentliche Toiletten, Busse, Hotels, Krankenhäuser und Schulen nach Hautfarbe getrennt benutzten.
Der schwarze Ausnahmesportler Jesse Owens zum Beispiel, der 1936 in Berlin viermal olympisches Gold holte, musste sogar bei einem Empfang zu seinen Ehren den Lastenaufzug benutzen.
Der schwarze Widerstand formierte sich nur langsam. 1909 gründeten Bürgerrechtler die «National Association for the Advancement of Colored People» (NAACP). Doch erst in den 50er Jahren erstarkte die Bürgerrechtsbewegung (Civil Rights Movement, CRM). Besonderen Schub verliehen ihr der bestialische Lynchmord an dem 14-jährigen Schwarzen Emmett Louis Till 1955 in Mississippi und im selben Jahr der denkwürdige Sitzstreik der Schneiderin Rosa Parks, die sich weigerte, im Bus für einen Weissen aufzustehen.
Mit dem Aufbruch der Bürgerrechtsbewegung begann eine Phase des Umbruchs für die Afroamerikaner, die erst 1968 mit der Ermordung Martin Luther Kings endete. Die charismatische Leitfigur des CRM führte 1963 den Marsch auf Washington an, an dem 250'000 Menschen teilnahmen, und hielt dort seine berühmte Rede «I Have a Dream». Kings Traum schien wahr zu werden: 1964 unterzeichnete Präsident Johnson das Bürgerrechtsgesetz (Civil Rights Act). Fortan war die Rassentrennung illegal.
«Illegal» war allerdings nicht gleichbedeutend mit «beseitigt». Vornehmlich im Süden hielt sich die Diskriminierung der Schwarzen hartnäckig. Formale Hürden wie Schreib- und Lesetests für die Zulassung zu den Wahlen hielten viele davon ab, ihre Rechte auszuüben. 1965 brachte Präsident Johnson deshalb den Voting Rights Act durch den Kongress, der freie Wahlen für alle Bürger garantieren sollte. Darauf verdoppelte sich die Zahl der registrierten Wähler in den Südstaaten innerhalb von nur vier Jahren.
Doch die Emanzipation der Schwarzen in den 60er Jahren verlief nicht nur friedlich. Im Süden stiess die Aufhebung der Segregation auf Widerstand; es kam zu Gewaltausbrüchen und Lynchmorden. Im März 1965 wurden hunderte von Demonstranten in Selma, Alabama, von der Polizei gestoppt und niedergeknüppelt – das Ereignis ging als «Bloody Sunday» in die Geschichte ein.
Am heftigsten entlud sich die Gewalt jedoch nicht im Süden, sondern in Kalifornien. Im Mai 1965 brachen in Watts, einem armen, schwarzen Stadtteil im Süden von Los Angeles, nach einer Polizeikontrolle schwere Unruhen aus. Sechs Tage lang herrschten kriegsähnliche Zustände; 34 Menschen starben.
Während der Baptistenpastor King stets strikte Gewaltlosigkeit predigte, setzte Malcolm X – der wie sein Gegenspieler King erschossen wurde – auf Konfrontation und Kampf. Über die Weissen sagte die Galionsfigur der militanten Black-Power-Bewegung: «Sie waren immer Teufel, sie werden immer Teufel bleiben, darum müssen sie vernichtet werden.» Im Hinblick auf Kings berühmte Rede bemerkte Malcolm X: «Ich sehe keinen amerikanischen Traum, ich sehe einen amerikanischen Alptraum.»
Zu den nachhaltigen Erfolgen der Bürgerrechtsbewegung in den 60er Jahren gehörte auch die Einführung von Medicare und Medicaid, staatlichen Krankenversicherungen für Rentner und Arme. Danach verlangsamte sich aber die Emanzipation der schwarzen Bevölkerung spürbar.
Es dauerte Jahre, bis erstmals Schwarze in höchste Staatsämter vorrückten: 1979 wurde Patricia Roberts Harris Gesundheitsministerin, 1989 berief Präsident Reagan Colin Powell als Sicherheitsberater des Weissen Hauses. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war dann 2008 die Wahl von Barack Obama zum US-Präsidenten.
Obama selbst führte seinen Aufstieg auf das Bürgerrechtsgesetz zurück: «Dank der Bürgerrechtsbewegung und dank des Gesetzes, das Präsident Johnson unterzeichnet hat, haben sich neue Türen geöffnet – für euch und für mich. Deshalb stehe ich heute hier, als Erbe all der politischen Mühen.»
Im Kontrast zu diesen Erfolgen stehen indes Entwicklungen, die frühere Fortschritte zunichte machten. Dazu gehört ohne Zweifel der «Krieg gegen Drogen», der in vielerlei Hinsicht ein Krieg gegen schwarze Männer ist. 2013 waren 37 Prozent der Gefängnisinsassen schwarz, obwohl der Anteil der Schwarzen an der Gesamtbevölkerung lediglich 13,2 Prozent beträgt. In manchen Staaten sind 80 bis 90 Prozent aller inhaftierten Drogenstraftäter schwarz. All diese Menschen haben kein Wahlrecht, da es Strafgefangenen in den USA per Gesetz entzogen wird.
Der inhärente Rassismus des amerikanischen Justizwesens ist gerade in den letzten Jahren deutlich zutage getreten. Zahlreiche Fälle von tödlicher Polizeigewalt gegen Schwarze – darunter der Tod des Teenagers Michael Brown in Ferguson – haben weltweit Aufsehen erregt. Junge schwarze Männer werden in den USA fünfmal so oft von Polizisten erschossen wie junge weisse Männer.
Zudem lebt heute fast ein Viertel aller Schwarzen unter der Armutsgrenze – das ist fast der gleiche Anteil wie 1968, als Martin Luther King starb. Bei den Kindern liegt die Armutsrate sogar höher als damals. Fast 50 Jahre nach dem Tod Martin Luther Kings ist sein Traum nach wie vor nicht verwirklicht.
Kein Wunder, dass afroamerikanische Künstler wie Beyoncé die Stimme erheben. Der Auftritt der R&B-Ikone in der Pause des diesjährigen Super Bowls war eine Provokation – ihr Song «Formation» prangert die Polizeigewalt gegen Schwarze an. Schlimmer noch: Die Tänzerinnen traten in einem Outfit auf, das an die Black Panthers erinnerte, die radikalste Schwarzenbewegung in den 60er Jahren. Und sie formierten sich zwischendurch zu einem X – eine offensichtliche Anspielung auf Malcolm X. Im Vergleich dazu wirkte Chris Rocks Auftritt an der Oscar-Verleihung beinahe zahm.