Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!
- watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
- Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
- Blick: 3 von 5 Sternchen
- 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen
Du willst nur das Beste? Voilà:
9.30 Uhr. Irgendwo in Deutschland klingelt jetzt ein Handy. Bei Klaus Lemke. Einem Mann, der mit seinem Filmteam gerne die Hipster-Partys und Galerien-Vernissagen der Grossstädte crasht, um schnell ein paar fiebrige Szenen zu drehen. Einem Mann, der 75 ist, aber für immer Filme mit, über und für 25-Jährige dreht. Kennt ihr nicht? Nach diesem Interview wird sich das gründlich geändert haben.
Klaus Lemke: Simone! Auf die Sekunde!
Ja. Weil ich gelesen hab, dass du Verspätungen hasst und Schauspieler, die zwei Minuten zu spät zum Dreh kommen, feuerst.
Ich feure die sofort. Glaubst du das? Nur einer kam mal mit der Ausrede, die U-Bahn hätte sich verfahren. Da mussten wir alle so lachen, den konnte ich nicht mehr feuern.
Du hast ungefähr vierzig Filme gemacht – tatsächlich alle im Suff, wie du mal behauptet hast?
Ich hab 350 Filme gemacht.
350? Auch vorstellbar.
Nein 53. Frag mich nochmal: «Hast du 350 Filme gedreht?» Dann sag ich: «Nein, nur 53, bist du betrunken?» Dann sagst du: «Nein.»
Dann hätten wir schon fast den Anfang von einem Drehbuch.
Nicht von einem Drehbuch, aber von einem Interview, was wirklich wichtig ist. Ich hab dir heute Morgen 5 SMSen geschickt.
Nee. Nix. Das war wohl die falsche Nummer.
Gib mir die richtige.
0041 7X XXXXXXX.
Ich schick dir 5 SMSen. Du wirst es mir nicht glauben: Es regnet.
Wo? Ich hab gehört, du seist in Spanien.
Nein, ich bin jetzt noch in München, es regnet, ich hab so meine Sachen gepackt und dir diese 5 SMSen geschickt, da fiel mir etwas ein, wonach ich fünfzig Jahre lang gesucht habe. Ich hab fünfzig Jahre vergeblich nach einem Satz gesucht, der meinen Film «48 Stunden bis Acapulco» zusammenfasst. Und den sag ich dir jetzt: Mädchen bleiben beim Sieger. Du nimmst das alles auf oder? Du musst das gross schreiben: MÄDCHEN BLEIBEN BEIM SIEGER. Dieser Satz ist die ganze verhurte Dramaturgie des Universums.
Okay. Aber was sollte denn auch interessant daran sein, beim Verlierer zu bleiben?
Ja genau! Das traut sich bloss kaum jemand zu sagen. Du hast eins meiner besten Interviews!
Du hast auch mal gesagt: «Mädchen können heute die Jung-Rollen besser spielen, die Mädchen saugen das Männliche aus den Jungs raus, das ist wie Voodoo.»
Die Jungs sind Pflaumen geworden! Bis zur Unkenntlichkeit! Zu 99 Prozent sind die Pflaumen geworden. Drei von zwei Jungs sind überhaupt keine Jungs mehr. Drei von zwei! Bitte lass den Fehler so stehen.
Und das ist die Schuld der Jungs oder der Mädchen?
Na ja, nach ein paar tausend Jahren Unterdrückung fangen jetzt die Mädchen an. Bis in drei, vier Jahren werden bei uns hauptsächlich Frauen an der Spitze stehen, das gibt ein ganz neues Lebensgefühl, eine ganz neue Welt.
Auf die du dich freust?
Das ist nicht die Frage. Das IST die Welt, ganz einfach. Ich halte ja Frauen nicht für besser, friedlicher oder kameradschaftlicher. Frauen sind schlimmer als Männer! Frauen sind moderner, direkter, schneller, böser. Wenn ein Mädchen sagt, es ist Schluss, dann ist Schluss. Wenn ein Junge sagt, es ist Schluss, dann geht das aber noch achtzehn Mal hin und her.
Bei dir auch?
Ich bin nicht viel besser.
Du bist vor 50 Jahren Filmer geworden, weil du filmsüchtig warst.
Wir waren damals eine Gruppe von Studienabbrechern in München, hemmungslose Grossmäuler, die nichts vom Leben wussten, aber ununterbrochen ins Kino gingen. Zwei Jahre lang gingen wir jeden Tag viermal ins Kino und haben uns all diese amerikanischen B-Movies angesehen. Wir sind selbst zu Zelluloid geworden. Und mit diesem Zelluloid im Kopf sind wir nach Acapulco.
Ausgerechnet Acapulco?
Ja! Zu einem Schweizer. Zum damals weltberühmten Schweizer Musiker Teddy Stauffer, der in Acapulco die Villa Vera führte, dieses Traumhotel, diesen absoluten Tempel des Jetset. Mein Kameramann und mein Drehbuchautor waren auch Schweizer. Und wir drei Wichser, die nix draufhatten ausser einer grossen Fresse, wollten in diese Villa. Und dann waren wir da. Und Teddy Stauffer spielte mit.
Du bist ja auch wegen eines Schweizers überhaupt zum Film gekommen, wegen «Nouvelle Vague»-Gott Jean-Luc Godard.
Und das geht noch weiter mit der Schweiz, Baby! Damals war die Schweiz ja das modernste Land der Welt. Meine Schweizer haben mir immer etwas erzählt von dem ich überhaupt gar keine Ahnung hatte, nämlich, dass man Filme auch im Originalton ansehen konnte. Wir waren uns ja seit Adolf Hitler gewohnt, dass amerikanische Schauspieler deutsch reden, damit die Filme etwas deutscher sind. In den Schweizer Kinos redeten Amerikaner tatsächlich Englisch!
«48 Stunden bis Acapulco» erzählt von einem jungen Mann, der mittels Industriespionage und Erpressung reich werden will. Ein Roadmovie, ein Thriller, Liebe, Tod, alles. Ein Kultfilm. Was wolltet ihr damit?
«Acapulco» sollte die
Welt ein bisschen unerklärlicher zurücklassen, als der Zuschauer sie
vorgefunden hat. Und das ist auch bis heute die einzige
Antwort auf die Rationalität des Lebens.
«Acapulco» ist nichts als das Bemühen von uns Wichsern von damals, den
Leuten ein Gefühl zu geben, wie sich das anfühlt, auf Vollgas am Rande der
Legalität zu leben.
Was ihr damals gemacht habt, nennt sich nun «deutsche Nouvelle
Vague».
Leider blühte sie nicht sehr lange.
Denn ein paar Jahre später ging Alexander Kluge mit seiner schönen Schwester zum Innenminister und
erklärte, dass man nun den deutschen Film als Kulturgut betrachten und fördern
müsse. Aber Film sollte nicht subventioniert werden! Deutsche Filmer heute sind brav,
banal, käuflich, frigide, selber schuld. Ich will was anderes: Ich will eine Gier nach fieser Authentizität.
Zu den jungen Münchner Filmfreaks aus den
60ern gehörte ja auch Wim Wenders. Ist der heute nicht einer der grössten
Subventionskünstler?
Wim Wenders ist heute der grösste Spiesser,
den man sich vorstellen kann. Aber es wird sich ändern. Zum Beispiel mit «Toni Erdmann»
von Maren Ade, der gerade in Cannes gelaufen ist. Das ist keine künstlerische
Hochfrisur, das ist ein Film, der seine Logik aus sich selbst entwickelt.
Deshalb ist er so irrwitzig komisch und trifft so sehr den Nerv unseres Landes.
Aber es sind ja nicht nur die Regisseure, die
bieder geworden sind, es sind ja auch die Schauspiel-Ikonen von früher: Uschi
Glas und Iris Berben waren ja mal so wild, das glaubt heute gar keiner mehr.
Und jetzt? Fernsehfilme für Senioren!
So ist es! Obwohl sich ausgerechnet Iris
Berben sehr viel Mühe gibt, da rauszukommen. Aber das kann immer nur ein Versuch
sein, denn es endet immer in einer Katastrophe. Der deutsche Film taumelt von
einer Katastrophe in die andere, das ist das einzig Gute, was man sagen kann.
Ihr habt damals alle Städtefilme gemacht, und die Städte
waren immer roh, lebendig, lustig, voller Sex, voller Mädchen, Motoren und
Musik. Hat sich irgendwo in Deutschland oder im deutschen Film – ausser bei dir – etwas von diesem
Lebensgefühl retten können?
Die Sehnsucht danach wird immer grösser, das
ist auch das Thema meines neuen Films, «Unterwäschelügen». Da geht es um ein
Callgirl, das es nicht hinkriegt für seine Dienste Geld zu verlangen, weil es
sexsüchtig ist.
Das klingt herrlich pornös.
Ja natürlich, wie ungefähr die meisten meiner
Filme. Weil Sex das einzige Ding ist, was man nicht wirklich beherrschen kann.
Sex ist eine schlafende Göttin. Eine traumwandelnde Göttin! Sex ist Champagner
für die Augen, Gift für den Rest. Das muss man wissen. Und damit muss man leben.
Das Basler Bildrausch Festival findet vom 25. bis zum 29. Mai statt.