Ein grösserer Gegensatz zwischen zwei Orten ist kaum vorstellbar: Auf der einen Seite Doha, mit seinen gewaltigen Wolkenkratzern, Glasfassaden und Villenvierteln. Hauptstadt von Katar, dem reichsten Land der Welt. Auf der anderen Seite Gaza-Stadt, dichtbebaut, bitterarm und zu grossen Teilen zerstört.
Zwischen diesen beiden Polen – Doha und Gaza – bewegt sich die Hamas. Und das wird für die islamistische Bewegung zum Problem. Seit mehr als zwei Jahren leben Hamas-Chef Chalid Maschaal und andere Führungsfiguren in Katars Hauptstadt. Zuvor hatte die Organisation ihren Exilsitz in Damaskus aufgegeben – aus Sorge um die sich verschlechternde Sicherheitslage in Syrien und aus Sympathie mit den dortigen Aufständischen.
In Damaskus lebte Maschaal relativ bescheiden in einem streng gesicherten Viertel unter dem Schutz des syrischen Geheimdienstes. Mit seinem Umzug an den Persischen Golf hat sich der Hamas-Chef in puncto Lebensqualität deutlich verbessert. Er residiert nun in einer Villa in einem Vorort von Doha, wird von Bediensteten umsorgt und geniesst weitaus grössere Bewegungsfreiheit als noch in Syrien. Im vergangenen Jahr empfing er den australischen Journalisten Paul McGeough und liess sich beim Tischtennisspielen und Fitnesstraining ablichten.
Hamas leader Khaled Mashal urges jihad and martyrdom on people in Gaza from the comfort of a 5 star hotel in Qatar. pic.twitter.com/CvSdhDxzV8
— Pat Condell (@patcondell) 31. Juli 2014
Diese Bilder werden Maschaal nun zum Verhängnis. Viele Palästinenser haben die Fotos des Hamas-Chefs im eigenen Fitnesscenter in den vergangenen Tagen auf Facebook und Twitter geteilt. Sie sollen als Beweis dafür herhalten, dass der Chef der militanten Islamisten das Gespür für die Situation der Menschen in Gaza längst verloren hat. «Während unser Volk stirbt, macht unser Führer Dschihad an der Tischtennisplatte in Katar», lautete noch einer der freundlicheren Kommentare.
Dabei ist es noch nicht einmal zwei Jahre her, seit sich Maschaal im Gaza-Streifen von Zehntausenden frenetisch feiern liess. Im Dezember 2012 reiste er anlässlich des 25. Jubiläums der Hamas-Gründung mehrere Tage durch das Küstengebiet. Es war sein erster Besuch in Palästina, seit seine Familie nach dem Sechstagekrieg 1967 aus dem Westjordanland geflohen war. Damals war Maschaal elf Jahre alt.
Seit dem Sturz des mit der Hamas verbündeten Muslimbruders Mohammed Mursi in Ägypten kann Maschaal nicht mehr nach Gaza einreisen. Die neue Führung in Kairo hat den palästinensischen Islamisten sämtliche Aktivitäten untersagt. Der Bewegungsspielraum der Hamas ist dadurch in den vergangenen zwölf Monaten deutlich eingeschränkt worden. Dadurch dass Ägyptens Armee den Grossteil der Tunnel nach Rafah zerstört hat, sind der Organisation zudem wichtige Einnahmen aus dem Schmuggel weggebrochen.
Die Abriegelung des Gaza-Streifens hat auch Auswirkungen auf die Kommandostruktur der Hamas. Während des jüngsten Kriegs mit Israel kamen Anweisungen der Exilführung in Doha entweder gar nicht oder nur mit grosser Verzögerung bei den Kommandeuren in Gaza an. So hatte sich Maschaal mehrfach zu mehrstündigen Feuerpausen bereiterklärt, die dann von den Kassam-Brigaden – dem bewaffneten Flügel der Hamas – nicht eingehalten wurden. «Entweder die Befehle von Maschaal werden ignoriert, oder sie erreichen Gaza gar nicht. Das macht uns Sorgen», sagte ein US-Beamter dem Wall Street Journal.
Der Hamas-Chef selbst bemüht sich, die Gerüchte über einen Zwist zwischen der Exilführung und der Organisation in Gaza herunterzuspielen. «Wir sind nicht zwei Teile. Wir sind eine einzige Bewegung. Wenn sich die politischen Führer zu etwas verpflichten, wird das vom militärischen Flügel befolgt», sagte Maschaal in einem Interview.
Israel fordert bei den laufenden Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo die Entwaffnung der Kassam-Brigaden und eine Demilitarisierung des Gazastreifens. Die Hamas schliesst dies kategorisch aus. Selbst wenn die Einheitsregierung mit der Fatah wiederbelebt werden sollte, würden die Kassam-Brigaden nicht in den palästinensischen Sicherheitskräften aufgehen. Das hat Musa Abu Marzuk, einer der Hamas-Unterhändler in Kairo, klargestellt. Er widersprach dabei offen seinem Chef Maschaal: «Die Kassam-Brigaden sind eine absolut eigenständige Organisation», sagte Marzuk.
Wie auch immer die Verhandlungen in Kairo enden: Diese Spannungen innerhalb der Hamas könnten einen dauerhaften Waffenstillstand ernsthaft gefährden.