Ihr erinnert euch: «Der Vierer mit Valentin ... das Küssen, Streicheln und intim sein mit der Frau. Es hat etwas in mir ausgelöst. Etwas, das schon länger an der Oberfläche schlummerte.» (Ok, wer zitiert sich eigentlich selbst? Egal.)
So begebe ich mich am letzten Freitagabend (wieder einmal horny und einsam) zögerlich auf meine Dating-Apps. Tinder nervt mich zwar am meisten, aber die App ist mir auch am vertrautesten. Eine Art Heimat, zu der ich eine Hassliebe pflege.
Ja, das mit Valentin ist noch sehr frisch und wird auch noch lange nachhallen. Aber ein wenig Ablenkung – immer mit offenen Karten gegenüber der anderen Person – hilft mir erfahrungsgemäss schon!
Ich swipe viel links und immer mal wieder rechts. (Für alle Glücklichen unter euch, die keine Dating-Apps nutzen: Links heisst nope, rechts heisst yep.) Und da ist sie auf einmal: June! Auf dem ersten Foto: rot geschminkte Lippen, dezentes Make-Up, ein Septum-Piercing, schwarze Locken, klein, fein, ein freches Lächeln, der Blick direkt in die Kamera. Wow, denke ich mir. Ein anderes Foto zeigt sie beim Wandern, noch eines mit einem Schokoglace in der Hand und einem breiten Lachen.
Besser als ihre Bilder ist nur ihre Bio:
Kurz darauf matchen wir und sie schreibt mich sogar gleich an. Nichts Ausgefallenes, aber freundlich und natürlich, so wie ich es am Anfang am liebsten mag. Nichts so mit «Hey, pretty lady!»-Sprüchen.
Und so chatten wir den ganzen Abend weiter. Das Gespräch fliesst ganz natürlich. Wir machen dumme Witze über die dämlichsten Anmachsprüche. Sorry, Männerwelt, Sprüche wie diesen musste ich mir tatsächlich schon mal anhören.
Oder diesen hier. Dööflich, aber auch süss:
«Weisst du wie viel ein Eisbär wiegt?»
«Ähh, nein?»
«Genug um das Eis zu brechen. Hoi, ich bin Nina!»
Nebst dummen Sprüchen wird es aber auch persönlicher: Ich erfahre zum Beispiel, dass sie Kanadierin ist und seit sie 6 Jahre alt ist in der Schweiz lebt. Wir sprechen also beide Deutsch, Englisch und Französisch, juhu! Meine Mum ist ja Britin und Französin, mein Dad Bünzli. Oft mag ich Expats besonders gerne, da sie schon mehr von der Welt gesehen, beziehungsweise einen anderen Blick aufs Leben haben.
Wir unterhalten uns über Bücher, über Musik, über unsere Familien. Es fühlt sich so vertraut an, als würde ich mit einer langjährigen Freundin reden. Ein wenig aufgeregt bin ich dennoch, was ich als gutes Zeichen deute. Unsicher bin ich aber auch. Stehe ich überhaupt auf Frauen? Findet sie es ok, dass ich das nicht genau weiss? In ihrer Bio steht ja «queer», in meiner steht nichts. Ich habe die Sucheinstellung einfach so gemacht, dass mir auch Frauen angezeigt werden.
Mit Frauen geknutscht und rumgemacht habe ich schon einige Male. Ich war aber fast immer betrunken und es war mehr aus Abenteuerlust denn aus Geilheit. Oder war's beides? So à la:
Ach ihr. Ich weiss nicht, wie ich das sehe mit der fluiden Sexualität. Ich war schon als Teenie an Mädchen/Frauen interessiert. Aber eben nie so sehr, dass ich das dann konsequent verfolgt hätte. Ich glaube aber auch, dass sich Vorlieben über die Jahre verändern können, in welche Richtung auch immer. Wie denkt ihr darüber?
Es gibt für mich wohl nur einen Weg herauszufinden, wie es mit mir und Frauen aussieht: Ich taste mich an die Sache heran, nüchtern. Zumindest, was den Alkoholkonsum betrifft. Und ich vereinbare ein Date mit June!
Ich habe ihr gesagt, dass ich noch nie mit einer Frau auf einem Date war und auch, dass ich vor kurzem eine längere Beziehung beendet habe. Sie nimmt es gelassen: 100 Pluspunkte für sie! In meiner Bio steht denn auch «casual», also dass ich eher etwas Unverbindliches suche. Nochmals 100 Punkte gibt es dafür, wie ehrlich wir schon miteinander sein können. Mal schauen, ob das auch in Echt so locker wird ...
Süsse und relativ aufgeregt-verwirrte Grüsse,
Mehr gesehen von der Welt hat eigentlich nur Evelyne, denn die hat nach dem Gymi einen Sprachaufenthalt in Australien gemacht.