Der Inszenator der Verleihung ist Steven Soderbergh. Der Mann also, der 2011 den hellsichtigen Pandemie-Thriller «Contagion» lieferte, der während Corona so oft gestreamt wurde wie kein anderer Film. Hollywood beweist mit der Wahl von Soderbergh wirklich Humor.
Es wird nicht gezoomt.
Es wird – zum dritten Mal hintereinander – nicht moderiert.
Die amerikanischen Stars sind anwesend und werden vor Ort getestet.
Laut Soderbergh soll sich die Show zu einem eigenen Film, in dem zufälligerweise auch Oscars verteilt werden, entwickeln. Alle Nominierten haben eine Rolle und am Ende soll sich herausstellen, wer warum wie gehandelt hat. Die Arbeit daran fühle sich an, als würde man «ein Kartenhaus auf einem Schnellboot» bauen.
Die Show wird nicht nur im Dolby Theatre stattfinden, sondern auf verschiedene Säle in Los Angeles verteilt sein. Zudem wird der Stadtteil um die Union Station während der Preisverleihung grosszügig abgesperrt, um auch dort filmen zu können.
Die Nominierten aus England und Frankreich werden aus TV-Studios in London und Paris zugeschaltet. Die Studios werden so aussehen, als seien sie Teil des «Films», den Soderbergh drehen will.
Zoom-Fashion ist out: «Wir streben eine Verschmelzung von Inspirierendem und Erstrebenswertem an, was konkret bedeutet, dass formell total cool ist, wenn man das will, aber zwanglos ist uncool», teilte die Academy den Nominierten mit.
Soderbergh (links) wird bei seinem tollkühnen Vorhaben unterstützt von Tarantino-Produzentin Stacey Sher und Jesse Collins, der bereits etliche Corona-Formate produziert hat.Bild: keystone
Wie geht es den Oscars eigentlich?
Schlecht. Die ganze Organsisation lebt von den Einschaltquoten während der Award-Show. Genauer von den 75 Millionen Dollar, die ABC jährlich für die Übertragungsrechte an die Academy of Motion Picture Arts and Sciences bezahlt. Der Vertrag läuft noch bis 2028, es ist aber davon auszugehen, dass er nicht mehr zu so feudalen Konditionen oder auch gar nicht erneuert werden wird, denn die Quoten sinken rapide.
Bis in die 2010er-Jahre konnte allein in den USA mit 35 bis 45 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer gerechnet werden, was ABC pro Show rund 129 Millionen Dollar an Werbeeinnahmen einbrachte. Und um die geht es bei den Oscars, dem zweitgrössten amerikanischen TV-Event neben dem Super Bowl, schliesslich. 2018 schrumpfte das Publikum auf 26,5 Millionen, 2020 auf 23,5 Millionen. Ausserhalb der USA sanken die Quoten von 2019 auf 2020 gar um bis zu 60 Prozent.
2016, als der grosse Rummel um Leonardo DiCaprio herrschte, setzten sich in den USA noch 34,5 Millionen vor die TV-Geräte, schon das galt damals als neuer Tiefstand.
Er war der letzte grosse Publikumsmagnet: Leonardo DiCaprio, der 2016 mit «The Revenant» endlich seinen längst fälligen Oscar gewann. Okay, für den falschen Film zwar, aber verdient hat er ihn.Bild: AP/Courtesy Twentieth Century Fox
Was sind die Gründe für die Misere?
Die Abkehr von Fernsehen und Kino hin zu Streaming.
Award-Shows gelten in der Gunst des Publikums allgemein als überholt, auch den Golden Globes, Baftas, Emmys und Grammys geht es immer schlechter. Die Oscars gehen heuer in die 93. Runde. Frisch und überraschend geht anders.
Der Zerfall der Moderationskultur, der allgemein 2011 am Katastrophenpaar James Franco und Anne Hathaway festgemacht wird und 2019 einen weiteren Tiefpunkt fand, als Kevin Hart sich nach homophoben Kommentaren in den sozialen Medien zurückzog und nicht ersetzt wurde. Sowas spricht nicht für eine souveräne Hand der Academy bei der Wahl ihrer Zugpferde für die Show.
Die Streitigkeiten um die Auswahl unter den Hashtags #OscarsSoWhite (2015 und 2016) und #OscarsSoMale (2020), die eine eklatante Bevorzugung weisser, männlicher Filmschaffender aufzeigten. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer fühlten sich so nicht repräsentiert und eine objektive Juryarbeit wurde in Frage gestellt.
Die mit der Streaming-Kultur einhergehende Demokratisierung der Sehgewohnheiten: Alle haben zu einer Zeit ihrer Wahl einen Film oder (weit wichtiger) eine Serie ihrer Wahl zur Verfügung. Die Auszeichnung und Ikonisierung einzelner Filme eines einzigen Jahrgangs zählt da weit weniger als früher, als es eine klare Trennung von TV und Kino gab.
Denn sie wussten irgendwie nicht, was sie taten: James Franco und Anne Hathaway bei ihrer Moderation 2011.Bild: AP
Hat die Academy dazugelernt?
Ja. Jedenfalls gibt sie sich Mühe. 2020 sprach sie 819 Neueinladungen aus (Academy-Mitglied wird man nur auf Einladung): 45 Prozent davon gingen an Frauen, 36 Prozent an «unterrepräsentierte ethnische und rassische Gemeinschaften» und 49 Prozent an nicht-amerikanische Personen aus der Filmbranche aus 68 Ländern. Die Academy umfasst rund 10'000 Mitglieder.
Die Academy hat neu auch ein Regelwerk für Filme, die ins Rennen um den Oscar für «Best Picture» einsteigen wollen erstellt, die sogenannten «Repräsentations- und Integrations-Standards für die Teilnahme an den Oscars». In Kraft tritt dieses 2025. Wer bis dahin nicht mindestens zwei der neuen Standards erfüllt, kann keine Eingabe machen. Bei näherer Betrachtung gibt es allerdings derart viele Möglichkeiten, dass ein Ausschluss so gut wie unmöglich ist.
Letztes Jahr überreichte Jane Fonda einem fassungslos-entfesselten Bong Joon Ho den Oscar für den besten Film. Es war sein vierter Oscar an diesem Abend.Bild: keystone
Was erwartet uns an den Oscars 2021?
Tatsächlich eine diverse Mischung. Mit David Finchers exquisitem «Mank» gibt es die obligatorische Hollywood-feiert-sich-selbst-Nummer, die in den letzten Jahren immer wieder sehr erfolgreich war, mit so unterschiedlichen Beiträgen wie «Once Upon a Time... in Hollywood» (coole Vergangenheitsschau), «The Artist» (ästhetische Stummfilmära), «La La Land» (Musikfilmkitsch) oder «Birdman» (Schauspielerkult). «Mank» werden aber wie schon bei den Golden Globes keine Chancen eingeräumt, es handelt sich bei den Nominierungen eher um nostalgische Reflexe.
Das sind die Nominierten in der Kategorie «best actor»: Gary Oldman in «Mank», Chadwick Boseman in «Ma Rainey's Black Bottom», Riz Ahmed in «Sound of Metal», Anthony Hopkins in «The Father» und Steven Yeun in «Minari» (v.l.)Bild: keystone
Mit «Nomadland» von der chinesischen Regisseurin Chloé Zhao und «Minari» vom koreanisch-stämmigen Lee Isaac Chung wird in der Kategorie «Best Picture» auf dem letztjährigen Erfolg des Südkoreaners Bong Joon Ho aufgebaut (sein «Parasite» gewann in den Kategorien bester Film, bester internationaler Film, beste Regie und bestes Originaldrehbuch).
Chloé Zhao und ihre Hauptdarstellerin (und Produzentin) Frances McDormand haben zusammen etwas Aussergewöhnliches geschaffen. Bild: keystone
9 von 20 nominierten Schauspielerinnen und Schauspielerin sind People of Color, nämlich Viola Davis, Chadwick Boseman, Daniel Kaluuya, Andra Day, Riz Ahmed, Yuh-Jung Youn, Steven Yeun, Leslie Odon Jr. und Lakeith Stanfield.
Das sind die Nominierten in der Kategorie «best actress»: Viola Davis in «Ma Rainey's Black Bottom», Andra Day in «The United States vs Billie Holiday», Vanessa Kirby in «Pieces of a Woman», Frances McDormand in «Nomadland» und Carey Mulligan in «Promising Young Woman» (v.l.).Bild: keystone
Und zum ersten Mal finden sich mit «Nomadland» von Chloé Zhao und «Promising Young Woman» von Emerald Fennell zwei Filme von Frauen im aussichtsreichen Kampf um die Trophäen für die beste Regie UND den besten Film. Bis und mit 2021 werden sich insgesamt 571 Filme um den Oscar für den besten Film gestritten haben, nur bei 14 davon führten Frauen Regie. Und mit Zhao und Fennell sind erst 7 Regisseurinnen für die beste Regie nominiert worden. Gewonnen hat bisher als Einzige – dafür in beiden Kategorien – Kathryn Bigelow mit «The Hurt Locker» (2010) – im Vergleich zu 91 Regisseuren.
Emerald Fennell (im gestreiften Kleid) zwischen ihren Darstellerinnen Carey Mulligan und Laverne Cox.Bild: keystone
Wer sind die Favoriten?
Wühlt man sich durch die internationale Presse, ist die Favoritin in der Kategorie Regie klar: Chloé Zhao, der mit ihrem semidokumentarischen «Nomadland» etwas gelungen ist, was konkurrenzlos scheint: Eine Annäherung an einen Teil jener «Abgehängten» Amerikas, die sich entschieden haben, ihr Elend in eine Existenzform umzuwandeln. Sie verwandeln sich von sesshaften, aber arbeitslosen Menschen in von Temporärjob zu Temporärjob Fahrende und eignen sich im Wohnwagen ihr Amerika wie einst die Siedler in ihren Planwagen noch einmal neu an. Unter Zhaos Regie ist ein melancholischer, weiser, versöhnlicher Film entstanden über kleine, einander stützende Zufalls- und Parallelgesellschaften in beglückenden Landschaften.
Wer's immer noch nicht glaubt: «Nomadland» ist wirklich ein beeindruckender Film mit viel Nachgang.Bild: keystone
Bei «Best Picture» teilen sich die Meinungen zwischen «Nomadland» und Aaron Sorkins' «The Trial of the Chicago 7», ein klassisches, formidabel gespieltes Gerichts-Drama über den grossen Prozess gegen Anti-Vietnam-Demonstranten im Anschluss an den Parteitag der Demokraten in Chicago 1968. Sorkin beschreibt und inszeniert den frustrierenden Kampf, den die jungen Leute führen, historisch detailgetreu und mit seiner üblichen rhetorischen Fesselkunst. Es ist ein Kampf gegen einen Staat, der willkürlich Tausende junger Amerikaner in den Krieg und den Tod schickt. Die Menschlichkeit ist auf der Seite der Rebellen. Das Recht ist es nicht.
Sacha Baron Cohen (Mitte links) ist heuer für zwei Oscars nominiert: Als bester Nebendarsteller in «The Trial of the Chicago 7» (im Bild) und für das beste adaptierte Drehbuch mit «Borat Subsequent Moviefilm».Bild: keystone
Und so verteilen sich die Nominierungen:
10 Nominierungen für «Mank»
6 Nominierungen für «Nomadland»
6 Nominierungen für «Minari»
6 Nominierungen für «The Father»
6 Nominierungen für «Sound of Metal»
6 Nominierungen für «The Trial of the Chicago 7»
6 Nominierungen für «Judas and the Black Messiah»
5 Nominierungen für «Promising Young Woman»
5 Nominierungen für «Ma Rainey's Black Bottom»
4 Nominierungen für «News of the World»
Die Oscars werden in der Nacht auf Montag, den 26. April, übertragen. Wir sind sind ab ca. 1.30 Uhr dabei.
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Die beliebtesten Kommentare
Tschaesu
22.04.2021 17:59registriert Dezember 2015
Wieso müssen Preisverleihungen in den USA immer an einem Sonntag Abend sein? Würden diese jeweils an einem Samstag stattfinden, wären wohl auch Zuschauer aus anderen Zeitzonen gewillt, auf zubleiben..
Der Absturz ist auch den immer unbekannteren Filmen geschuldet. Klar es sollte der beste Film(etc.) ausgezeichnet werden. Aber was bringt es mir als Zuschauer wenn ich die Filme nicht kenne? Ich würde mich als Filmnerd bezeichnen, jedoch kenne selbst ich immer weniger Filme von den Nominierten. Die Oscars sollten sich vieleicht auf die besten kommerziell stark erfolgreichen Filmen fokussieren (und Streaming-Anbieter). Dann kommen vlt die Zuschauer zurück. Und die Show im Allgemeinen verkürzen, sie geht schlichtwegs zu lange.
Er hinterlässt Schulden und unfertige Baustellen – das ist der Verwalter der Sugus-Häuser
Sugus-Haus-Erbin Regina Bachmann hat 105 Mietparteien die Wohnung kündigen lassen. Von Unternehmer Goran Zeindler. Das soll kein Zufall sein. Zeindlers Ex-Geschäftspartner packt aus.
«Wir sprechen von Goran», sagt Luka Babic* zum Arbeiter, der sich gerade zu ihm an den Tisch gesetzt hat. Hier, in den Tiefen des Kantons Glarus, in einer Raucherbar. «Pha!», ruft der Arbeiter aus und schüttelt den Kopf. «Der Zeindler? Ein Elender ist das!», sagt der Arbeiter. Keucht. Dann zündet er sich eine Zigarette an und verstummt. Ihm fehlen offenbar die Worte.