Sei es ein Auftritt in New York vor Hunderten von Menschen oder eine Audienz von über 50 gespannten Zuhörern in Muri, überall setzt die 44-Jährige Stings Hinweis um. Lawrys Gelassenheit im Pflegidach zeugt von jahrelanger Erfahrung. Die Sängerin performte nämlich einst als Back-Up Vokalistin mit dem britischen Sänger. Bei seinen Konzerten musste sie oft den zweiten Teil seines Rates einsetzen: „…und für das grosse Publikum spielst du so, als wäre es ein kleines.“ Lawry nahm sich seine Worte zu Herzen, die ganze Performance werde viel intimer, man könne allen ins Gesicht sehen. Im Pflegidach war das dann auch so, als Zuhörer dort wurde man weder von Lawrys Augen übersehen, noch fühlte man sich fehl am Platz.
Worte wurden während des Auftritts überflüssig: Improvisiert Orlando Le Fleming am Bass, wissen Allison Miller und Lawry automatisch, wann sie wieder einsetzen müssen. «Es gab eine Improvisation?» kam es sogar nach der Befragung von einem Zuschauer. Tatsächlich passen Le Flemings produzierte Klänge am Bass wie angegossen zum Rest des Stückes, wodurch die Illusion entsteht, man habe dieses Stücke genau so und nicht anders einstudiert.
Die Drummerin Allison Miller verlässt das Konzert auch nicht ganz ohne etwas auf den Tisch zu bringen, denn sie erfindet das Schlagzeug neu: Spielerisch trommelt sie zunächst mit ihren Händen zum Lied «Acrobats». Elegant, ohne jegliche Stockungen nimmt sie danach ihre Drumsticks zur Hand und spielt ununterbrochen weiter. Ein verblüffend flüssiger Übergang, wobei der Wechsel von Hand zu Stock nur dem aufmerksamen Zuhörer/der aufmerksamen Zuhörerin auffallen würde. Später streicht Miller mit ihrem Schlägel senkrecht über das Becken. Ein Ton wird erzeugt, der alleine stehend merkwürdig klänge. Im Kontext des Liedes «My Time of Day» hingegen wird es zu einem essenziellen Bestandteil. Der Improvisation wendet sich die Drummerin auch noch in «Acrobats» zu, voller Bewunderung gab es dafür inmitten des Stückes einen Applaus.
Lawry, Le Fleming und Miller kennen sich schon seit einem Jahrzehnt. Kein Wunder, herrscht solche Harmonie zwischen ihnen. Abermals legt Allison ihren Kopf in den Nacken und lauscht schlichtweg Lawrys Gesang nach. Nicht nur die Drummerin ist dessen schuldig, alle im Raum werden in einen Bann versetzt, welcher ausschliesslich von der «urplötzlichen» Stille am Ende eines Songs gebrochen wird. Leidenschaft steht dem Bassisten und der Vokalistin ebenfalls ins Gesicht geschrieben. Mit geschlossenen Augen und dirigierenden Händen singt sie einfühlsam, während le Fleming seine Stirn vor Entzücken in Falten legt. Eins versichert das Trio: Es ist kein Vorwissen über die Jazzmusik oder das Stück selbst nötig, die Harmonie des Liedes, das Zusammenspiel der drei Künstler erfassen alle. Das merkt man spätestens dann, wenn man in allen Sitzreihen mindestens eine Person begeistert im Takt des Liedes mittanzen sieht.
Zum Schluss dankt Lawry herzlich allen, die an ihrem Konzert erschienen sind. Muri wird die Ehre erwiesen, das Schlusslicht der zehntägigen Europatour des Jo-Lawry-Trios zu sein. Die Belohnung für das Publikum: Es durfte ihr ganzes Album «Acrobats» bereits vor der Veröffentlichung am 10. Februar hören. Und noch etwas: Einige Kopien lagen sogar zum Verkauf dort. In diesem Sinn traf Lawry mit ihrem letzten Lied «Remember» den Nagel direkt auf den Kopf – es war ein Abend, an den sich alle im Pflegidach erinnern werden.