Es war der 22. Juli 1991 in Milwaukee, der grössten Stadt im amerikanischen Bundesstaat Wisconsin, als man dem sogenannten «Milwaukee Monster» endlich auf die Schliche kam. Der damals 31-jährige Jeffrey Dahmer lud den jungen Tracy Edwards zu sich nach Hause ein, unter dem Vorwand, Nacktfotos von ihm zu machen und ihm dafür etwas Geld zu geben. Edwards sollte sein 18. Opfer werden.
Die Morde liefen fast immer nach demselben Muster ab. Dahmer lockte seine Opfer in seine Wohnung, Apartment 213 in den Oxford Apartments in der Westside von Milwaukee, und bot ihnen ein mit Drogen gemischtes Getränk an. Sobald sie bewusstlos waren, ermordete er sie und verging sich an ihnen.
Um sie danach zu entsorgen, zerstückelte er die Leichen und entsorgte sie entweder in Abfallsäcken oder spülte sie die Toilette hinunter, nachdem er sie mit Säure zu Matsch zersetzt hatte.
Fand er an seinen Opfern besonderen Gefallen, wie beispielsweise an Ernest Miller oder Konerak Sinthasomphone, kochte er ihr Fleisch, ass es und bewahrte ihre Schädel und Penisse auf. Den Schädel von Raymond Smith bemalte er sogar mit Farbe und schmückte mit dessen Knochen seine Wohnung.
Durch den Verzehr seiner Opfer wollte Dahmer sie verinnerlichen, gestand er später.
In jenem Sommer 1991 kam Dahmer auf die Idee, seine Männer in Zombies zu verwandeln – unterwürfige und ewig jung bleibende Sexobjekte. Er bohrte kleine Löcher in die Schädel seiner noch lebenden Opfer und injizierte mit Spritzen Chlorwasserstoffsäure oder kochendes Wasser in die Frontallappen ihres Gehirns, um sie so zu willenlosen Geschöpfen zu machen.
Seine Opfer starben meist auf der Stelle, doch Dahmer behauptete in einem späteren Interview, dass einige davon mit beschränkten motorischen Funktionen für wenige Tage überlebt hätten.
Tracy Edwards ahnte von all dem nichts, als er am 22. Juli die Wohnung von Jeffrey Dahmer betrat. Da er keinen harten Alkohol trank, schlug er den Cuba Libre aus, den ihm Dahmer angeboten hatte, was ihm wohl das Leben rettete. Da es Dahmer misslang, Edwards in Handschellen zu legen, bedrohte er ihn mit einem Metzgermesser und führte ihn ins Schlafzimmer.
Dort sah Edwards Fotos von zerfleischten Körpern an der Wand und bemerkte den üblen Geruch, der von einer blauen Regentonne in der Ecke zu kommen schien. Als Dahmer einen Moment abgelenkt war, schlug ihn Edwards zu Boden und floh aus der Wohnung. Die Handschellen baumelten noch von seinen Handgelenken, als er auf der Strasse ein Polizeiauto anhielt.
Die Geschichte von Jeffrey Dahmer liest sich wie das Drehbuch zu «Das Schweigen der Lämmer». Entsprechend tief sass der Schock in der Bevölkerung im ländlichen Wisconsin, und auch die Medien berichteten ausgiebig über Dahmers Gerichtsverfahren.
Wie konnte ein Mensch zu solchen Taten fähig sein? Und vor allem: Warum ist es Dahmer gelungen, über eine so lange Zeit unbemerkt zu morden?
Anders als die meisten Serienmörder wuchs Dahmer in einem behüteten und wohlhabenden Haushalt auf. 1960 kam er als erstes Kind von Lionel und Joyce Dahmer in West Allis, Wisconsin, zur Welt. Jeffrey war ein aufgeweckter, neugieriger kleiner Junge und spielte gerne mit anderen Kindern.
Nachdem sein Vater, ein Chemiker, sein Doktorat abgeschlossen hatte, zog die Familie von Wisconsin in den US-Bundesstaat Ohio in ein Haus auf einem grossen Waldstück. Sein Vater bemerkte, dass der achtjährige Jeffrey scheu wurde und allmählich begann, sich zurückzuziehen. Man vermutet, dass der kleine Jeffrey zu dieser Zeit von einem Nachbarn sexuell missbraucht worden war, obwohl dies nie belegt werden konnte.
Mit gemeinsamen Aktivitäten wie Gartenarbeit oder der Schafzucht versuchte Lionel Dahmer, seinen Sohn für seine Umwelt zu begeistern. Als nichts wirklich zu nützen schien, schenkten ihm seine Eltern einen Hund und liessen Jeffrey den Namen seines neugeborenen Bruders auswählen. Er nannte seinen Bruder David.
Alles wurde schlimmer, als Jeffreys Mutter wegen Angstzuständen hospitalisiert werden musste. Von da an bröckelte die Ehe seiner Eltern und sie begannen, ohne Rücksicht vor ihren Söhnen zu streiten. Als Jugendlicher wurde Dahmer noch scheuer und zog sich in seiner Freizeit in den Wald zurück, wo er überfahrene Tiere sezierte, die er auf den Strassen eingesammelt hatte.
In der Schule machte er sich freiwillig zum Pausenclown und wurde dafür gehänselt. Er begann zu trinken und wurde zum Alkoholiker, bevor er die High School abgeschlossen hatte. Seine Eltern liessen sich scheiden, und sein Vater zog in ein nahe gelegenes Motel. Kurz darauf zog auch seine Mutter aus und nahm Jeffreys Bruder mit.
Jeffrey blieb wochenlang unbemerkt allein zu Hause. Es war in dieser Zeit, dass er seinen ersten Mord beging.
Im Juni 1978 nahm der 18-jährige Dahmer einen jungen Mann namens Stephen Hicks per Anhalter mit. Mit der Absicht, mit ihm Sex zu haben, lud ihn Dahmer in sein leeres Elternhaus auf ein paar Flaschen Bier ein.
Stephen Hicks nahm die Einladung an. Nachdem die beiden ein paar Bier getrunken hatten und Dahmer erste Avancen gemacht hatte, stand Hicks auf und wollte gehen. Dahmer griff nach einer fünf Kilo schweren Hantel und schlug ihn nieder. Darauf erwürgte er den bewusstlosen Hicks.
«Ich wollte nicht, dass er geht», war Dahmers Begründung nach seiner Festnahme im Jahr 1991. Trotz des Alkoholeinflusses war sich Dahmer bewusst, dass er einen Mord begangen hatte. Mit der Übung, die er sich beim Sezieren der Tieren angeeignet hatte, zerschnitt er die Leiche und stopfte sie in Abfallsäcke. Auf dem Weg zur Mülldeponie überfuhr er mit seinem Auto mehrmals die Mittellinie und wurde darauf von einem Streifenwagen angehalten. Die Polizisten fragten Dahmer, was er zu später Stunde noch vorhabe und was sich in den Abfallsäcken befände.
Ohne zu zögern erwiderte er, er könne aufgrund der Trennung seiner Eltern nicht schlafen und würde einige Dinge entsorgen, um sich abzulenken. Ohne einen Blick in die Abfallsäcke zu werfen, stellten ihm die Polizisten eine Busse aus und liessen ihn fahren.
Voller Schuldgefühle kehrte Dahmer nach Hause zurück und versteckte die Knochen von Stephen Hicks unter dem Haus. Zwei Wochen später zerschmetterte er die übrigen Leichenteile mit einem Vorschlaghammer und verstreute die Überreste im Wald.
Wenige Wochen später schaute sein Vater beim Haus vorbei und stellte überrascht fest, dass seine Ex-Frau mit ihrem jüngsten Sohn ausgezogen war. Er zog wieder ein und schickte Dahmer aufs College. Gequält von Schuldgefühlen flüchtete sich Dahmer immer mehr in den Alkohol und flog noch in seinem ersten Semester von der Universität.
Dahmers Vater liess ihn in die Armee einrücken. Obwohl sich Dahmer im Dienst wohl fühlte und aus sich herauskam, wurde er auch dort aufgrund seiner Alkoholsucht suspendiert. Dahmer zog zu seiner Grossmutter nach Milwaukee und schaffte es, vom Alkohol loszukommen. Er begleitete sie regelmässig zur Kirche und fand einen Job in einer Schokoladenfabrik. Es gelang ihm, während mehreren Jahren enthaltsam zu leben und seine Anziehung zu Männern zu unterdrücken.
Das fromme Leben währte aber nicht ewig. Dahmer begann wieder, Schwulenbars zu frequentieren und kam dort aufgrund seines attraktiven Aussehens auch gut an. 1987, neun Jahre nach seinem ersten Mord, checkte Dahmer mit dem 24-jährigen Steven Tuomi in ein Hotel ein. Dahmer, der selbst unter starkem Alkoholeinfluss stand, mischte seinem Partner starke Drogen in ein Getränk, sodass dieser bewusstlos wurde.
Als Dahmer am nächsten Morgen aufwachte, war Tuomi tot. Dahmer konnte sich nicht mehr daran erinnern, dass er ihn zu Tode gewürgt hatte. Er packte die Leiche in einen grossen Koffer und brachte sie in den Keller des Hauses seiner Grossmutter, wo er sie zerstückelte.
Der Mord an Steven Tuomi liess Dahmers Gewissen endgültig verstummen, und sein Verlangen nach leblosen Männerkörpern gewann die Oberhand. Das Erstaunliche ist gemäss Berichten von Psychologen, dass Dahmer den Akt des Tötens verschmähte und sich jedes Mal mit Alkohol abfüllen musste, um ein Opfer umbringen zu können.
Dahmer fand Gefallen an der totalen Unterwürfigkeit eines Mannes und nicht am einvernehmlichen Akt des Geschlechtsverkehrs. Oft verging sich Dahmer tagelang an derselben Leiche, bis diese sich zu zersetzen begann. Als Dahmer noch bei seiner Grossmutter wohnte, stahl er eine männliche Schaufensterpuppe aus einem Kleidergeschäft und masturbierte neben ihr.
Experten gehen davon aus, dass der Ursprung seiner mörderischen Fantasien in seiner Jugend liegt, als Dahmer zurückgezogen im Wald Tiere sezierte und dabei seine homosexuellen Gefühle als widernatürliche Neigungen unterdrücken musste. Seine Grossmutter, befremdet über die Schaufensterpuppe und die üblen Gerüche, die aus dem Keller drangen, warf ihn im Sommer 1988 schliesslich aus dem Haus, und Dahmer zog in die Westside von Milwaukee.
Nur einen Tag später wurde er verhaftet, weil er einen 13-jährigen begrabscht hatte. Er wurde zu einem Jahr Gefängnis und zu fünf Jahren Bewährung verurteilt. Als Dahmer ein Jahr später herauskam, mietete er schliesslich das Apartment 213 in den Oxford Apartments. Dahmer hatte eine Vorliebe für muskulöse schwarze und asiatische Männer – Minderheiten, die in den ärmlichen Gebieten in der Westside von Milwaukee nicht schwer zu treffen waren.
Dahmer konnte seinen Drang zum Töten immer weniger unter Kontrolle halten, und die Abstände zwischen den einzelnen Morden wurden immer kleiner. Bis Ende 1990 sollte er noch vier Morde begehen.
Im Mai 1991 wäre dem 14-jährigen Konerak Sinthasomphone beinahe die Flucht aus Dahmers Wohnung gelungen. Dahmer war kurz nach draussen gegangen, um mehr Alkohol zu kaufen, als Sinthasomphone zu sich kam. Benebelt von den Drogen, die Dahmer ihm verabreicht hatte, torkelte er nackt auf die Strasse. Blut tropfte von seinen Schürfwunden am ganzen Körper und aus seinem Rektum. Zwei Nachbarinnen riefen den Notruf und alarmierten die Polizei.
Auf dem Rückweg vom Spirituosenladen traf Dahmer auf Sinthasomphone und die soeben eingetroffenen Polizisten. Der Jugendliche sprach kein Englisch und stand immer noch unter dem Einfluss der starken Drogen. Dahmer erzählte den Polizisten, dass Sinthasomphone sein Liebhaber sei und schlicht und einfach zu viel getrunken habe. Er führte die Polizisten zurück in seine Wohnung und zeigte ihnen die Polaroidaufnahmen, die er zuvor von Sinthasomphone gemacht hatte, als Beweis ihrer Beziehung.
Die Polizisten kauften Dahmer die Geschichte ab und glaubten, dass Sinthasomphone volljährig sei. Sie liessen ihn in Dahmers Wohnung zurück. Auf dem Weg zurück zum Revier witzelten die Beamten über den Funk: «Nackter, betrunkener Asiate seinem nüchternen Liebhaber retourniert.»
Dahmer gab in einem späteren Interview zu, dass er, nur wenige Minuten nachdem die Polizisten gegangen waren, Sinthasomphone den Hals umgedreht und mit dem leblosen Körper Sex gehabt habe. Die drei Polizisten, die Sinthasomphone in Dahmers Wohnung zurückgelassen hatten, wurden vom Dienst suspendiert, als die Geschichte publik wurde.
Jeffrey Dahmer hatte die Polizei zweimal belogen und vor ihren Augen Morde vertuscht. Ein drittes Mal sollte es ihm nicht gelingen. Als die Polizeibeamten am 22. Juli 1991 in der Tür des Apartments 213 standen – hinter ihnen Tracy Edwards, mit baumelnden Handschellen am Handgelenk – konnte ihnen Dahmer keine Lügen mehr auftischen.
Edwards wies die Polizisten auf das Schlafzimmer hin, wo der eine Polizeibeamte die blaue Regentonne und die Bilder entdeckte, während der andere im Kühlschrank einen menschlichen Kopf fand. Dahmer wurde auf der Stelle festgenommen.
Als Sondereinheiten die Wohnung von Dahmer räumten, kamen weitere grausige Funde ans Licht: Sieben Schädel, mumifizierte Hände und Penisse in einem Kochtopf, ein Herz im Gefrierfach und Pläne für den Bau eines Männeraltars. Die blaue Regentonne war mit Säure und sich zersetzenden Oberkörpern gefüllt.
Jeffrey Dahmer wurde vom Gericht für zurechnungsfähig erklärt und des Mordes von 15 Menschen für schuldig befunden. Er wurde zu 15 lebenslangen Haftstrafen von insgesamt 957 Jahren Gefängnis verurteilt. Am 28. November 1994 wurde Dahmer, zusammen mit Jesse Anderson, einem anderen Gefängnisinsassen, beim Putzen des Fitnessraums im Gefängnis von Mitinsasse Christopher Scarver mit einer Metallstange attackiert. Dahmer verstarb auf dem Weg ins Krankenhaus.