Schweiz
Analyse

Corona: Führt Omikron zur Durchseuchung aus Überforderung?

epa09673497 The spectators with or without protective masks stand in the finish area during the second run of the men's giant slalom race at the Alpine Skiing FIS Ski World Cup in Adelboden, Swit ...
Tausende Skifans feierten in Adelboden, längst nicht alle trugen eine Maske.Bild: keystone
Analyse

Durchseuchung aus Überforderung? Wie Omikron die Pandemie «verändert»

Mit der Omikron-«Monsterwelle» erreicht die Pandemie eine neue Eskalationsstufe. Gleichzeitig ist die Lage konfus wie nie. Die Folge ist ein gewisser Fatalismus.
12.01.2022, 05:2912.01.2022, 10:14
Mehr «Schweiz»

Mit dem neuen Jahr soll alles besser werden. So lautete die Hoffnung in so manchem Rück- und Ausblick. Nun ist 2022 ein paar Tage alt, und die Corona-Lage ist ernst und vor allem unübersichtlich. Die Fallzahlen erreichen mit der hoch ansteckenden Omikron-Variante Höchstwerte, und die Schweiz belegt im Vergleich einen unrühmlichen Spitzenplatz.

>> Coronavirus: Alle News im Liveticker

Man habe es «mit einer Monsterwelle zu tun, die sich nicht mehr stoppen lässt», sagte die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) in der «NZZ am Sonntag». Sie warnte vor einem «schwierigen Weg, der uns bevorsteht». In den Spitälern herrscht eine Art Ruhe vor dem Sturm. Vor allem auf den Intensivstationen ist die Lage relativ stabil.

Regierungsraetin Natalie Rickli, Vorsteherin der Gesundheitsdirektion des Kantons Zuerich, spricht an einer Medienkonferenz ueber die Impfoffensive zur Coronavirus-Pandemie, am Mittwoch, 3. November 2 ...
Natalie Rickli warnt vor der «Monsterwelle».Bild: keystone

Das dürfte sich rasch ändern, wie Taskforce-Chefin Tanja Stadler am Dienstag ausführte. Dennoch besteht eine gewisse Hoffnung, dass eine Infektion mit Omikron milder verläuft als mit früheren Mutationen. Wobei auch dies ein relativer Begriff ist. Was als «mild» bezeichnet wird, kann zu schweren Langzeitfolgen führen. Vieles an Omikron bleibt unklar.

Musterschüler muss kapitulieren

Die schiere Menge an Infektionen scheint Politik und Gesellschaft zu überfordern. Am Montag musste Graubünden, lange ein Pionier und «Musterschüler» in der Schweizer Corona-Politik, den Verzicht auf Massentests in den meisten Schulklassen anordnen. Das Problem sind die Labore, die mit den Auswertungen nicht nachkommen.

Engpässe in diesem Bereich sind seit Wochen erkenn- und spürbar. Vom Contact Tracing ganz zu schweigen. Faktisch hat die Schweiz (und nicht nur sie) die Kontrolle über die Ansteckungen verloren, auch an den Schulen, obwohl es Hinweise gibt, dass Kinder durch Omikron stärker gefährdet sind als durch die bisherigen Varianten des Coronavirus.

Das führt zu einem gewissen Fatalismus, der sich an den Weltcuprennen in Adelboden am Wochenende manifestierte. Tausende Skifans feierten dicht gedrängt und häufig ohne Maske den Sieg von Marco Odermatt im Riesenslalom. Die Bilder sorgten im Ausland für Irritation. Man kann sich fragen, ob sie Werbung sind für Wintersport in der Schweiz.

Eine Schuelerin beim Spucktest (PCR-Speichel-Test) in einem Schulzimmer der Schule Pfingstweid in Zuerich, aufgenommen am Dienstag, 11. Januar 2022. Mit regelmaessigen Tests an Schulen versuchen die B ...
Eine Schülerin beim Spucktest in Zürich. Die Labore kommen mit der Auswertung kaum nach.Bild: keystone

Die Organisatoren im Berner Oberland aber zeigten sich bemerkenswert uneinsichtig. Sie hätten die Siegerehrung am Samstagabend «durchgestiert», wenn nicht einige Verbände ihren Athleten die Teilnahme untersagt hätten. Auch die Lauberhornrennen in Wengen sollen diese Woche mit Zuschauern und ohne Maskenpflicht stattfinden.

Durchwursteln und Hoffen

Es ist typisch für den «Schweizer Weg», bei dem wirtschaftliche Argumente oft mehr Gewicht haben als epidemiologische (Adelboden und Wengen brauchen die mit den Zuschauern generierten Einnahmen). Was zu einem Durchwursteln führt, basierend auf der Hoffnung, dass uns das Gröbste erspart bleibt. Wie aber sieht es global aus?

Das eine Extrem ist China, das seine No-Covid-Strategie (was sagt sie eigentlich aus über die Wirksamkeit der chinesischen Impfstoffe?) auch gegen Omikron eisern durchziehen will. Wie das bei den Olympischen Winterspielen in Peking im Februar gut gehen soll, wissen die Götter, wenn man bedenkt, wie das Virus schon heute durch die Sportwelt «rauscht».

Bundesweite Strategie gefordert

Auf der anderen Seite steht Grossbritannien. Dort sollen bis zu 98 Prozent der Bevölkerung über eine gewisse Immunität verfügen. Die Insel bezahlte dafür einen hohen Preis, mit rund 150’000 Todesfällen, ein weltweit hoher Wert. Auch die Lage in den Spitälern bleibt labil, dennoch denkt die konservative Regierung laut über ein Ende aller Massnahmen nach.

epaselect epa09675093 Residents line up to undergo a Covid-19 test in Tianjin Municipality, China, 09 January 2022. The city of Tianjin reported 20 new Covid-19 cases on 09 January, mostly students an ...
Anstehen zum Massentest in Tianjiin: China hält eisern an seiner No-Covid-Strategie fest.Bild: keystone

Solche Forderungen gibt es auch in der Schweiz. Der Bundesrat wird ihnen am Mittwoch an der ersten Sitzung im neuen Jahr nicht nachgeben, aber auch kaum neue Verschärfungen beschliessen. Natalie Rickli propagiert angesichts der überforderten Kantone «eine bundesweite Omikron-Strategie». Die «ausserordentliche Lage» müsste folglich zum Thema werden.

Verkürzte Quarantäne?

Davor dürfte der Bundesrat zurückschrecken. Absehbar ist dafür eine Verkürzung der Quarantäne auf fünf Tage. Für systemrelevante Bereiche der Ver- und Entsorgung ist diese Forderung nachvollziehbar, denn die rekordhohen Fallzahlen durch Omikron bedeuten vielfach auch einen temporären Ausfall von Arbeitskräften. Aber generell ist sie ein Risiko.

Gibt es in dieser Konfusion und Überforderung auch einen Lichtblick? Ja, die Impfung (plus Booster) scheint auch gegen Omikron gut vor schweren Verläufen zu schützen. Am stärksten gefährdet bleiben die Ungeimpften. Sie liegen hauptsächlich auf den Intensivstationen.

Viele werden sich anstecken

Welche Rolle Omikron dabei spielt, ist wie so manches ziemlich unklar. Die Schweiz aber bleibt mit ihrer tiefen Impfquote exponiert, denn ein beträchtlicher Teil der Menschen wird sich mit Omikron anstecken. Faktisch nimmt die Schweizer Politik damit eine Durchseuchung der Bevölkerung in Kauf, auch wenn kaum jemand das offen zugeben mag.

Es ist eine riskante Wette. Das gilt auch für die von Rickli und anderen als «Belohnung» in Aussicht gestellte baldige Rückkehr zur Normalität. Der deutsche Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnete am Wochenende den Glauben, dass die Omikron-Variante das Ende der Pandemie sei, als «naiv». Für ihn gibt es nur einen gangbaren Weg: die Impfpflicht.

Angesichts der Omikron-Überforderung ist man geneigt, ihm zuzustimmen. In der Schweiz aber dürfte die Impfpflicht illusorisch bleiben, solange keine ähnlich ansteckende, aber gefährlichere Variante auftaucht. Lieber setzt man auf Durchwursteln und Durchseuchen.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das Coronavirus in der Schweiz – eine Chronologie
1 / 59
Das Coronavirus in der Schweiz – eine Chronologie
31. Dezember 2019: Erste Meldungen über eine mysteriöse Lungenkrankheit, die in der zentralchinesischen Metropole Wuhan ausgebrochen ist, werden publiziert. 27 Erkrankte sind identifiziert.
quelle: keystone
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Ein Covid-Patient auf der Intensivstation berichtet von seiner Behandlung
Video: youtube
Das könnte dich auch noch interessieren:
268 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Special K
12.01.2022 06:44registriert August 2016
Ich wünschte mir wirklich, dass der Bundesrat und die Kantone Recht behalten. Dass Omikron „mild“ ist und die Spitäler nicht noch weiter überfordert. Dass LongCovid kein Problem sein wird. Dass das die letzte Variante sein wird und „endemisch“ bedeutet, dass jeweils nur im Winter ein paar Hundert eine „Grippe“ bekommen. Nur scheint mir das etwas naiv.

Ich fände es hilfreich, wenn die Medien die Verantwortlichen mal fragen würden, was der Plan ist, wenn die Hoffnungen sich nicht erfüllen.
15521
Melden
Zum Kommentar
avatar
Peter Vogel
12.01.2022 09:02registriert Juni 2020
Die ganze Pandemie ist bereits eine schleichende Durchseuchung. Ob beabsichtigt oder nicht spielt keine Rolle. Es läuft darauf hinaus, dass alle einen gewissen Immunisierungsgrad erreichen werden ohne dass dabei in der Zwischenzeit zu viele Leute im Spital landen. Am Ende sind alle entweder genesen, geimpft und/oder gestorben.
807
Melden
Zum Kommentar
avatar
keplan
12.01.2022 07:12registriert August 2014
Habt ihr immernoch das Gefühl, dass sich eine Durchseuchung verhindern lässt?
Schaut nach Holland die Zahlen explodieren trotz Lockdown, in De und A wird sich das einfach Zeitlich verzögert auch abspielen, es lässt sich nicht verhindern.
Da gefällt mir die Augen zu und durch Strategie deutlich besser aus die unsägliche Verzögerungstaktik wie letztes Jahr, welche am Schluss genau nichts bringen wird.
Triagen so weit möglich zu verhindern und sonst laufen lassen ist die einzig richtige Strategie!
13462
Melden
Zum Kommentar
268
Das ist der günstigste Supermarkt in der Schweiz
Haben Aldi und Lidl wirklich die Preise gesenkt, wie sie behaupten? RTS hat die Preise der Produkte von Coop, Migros und Denner verglichen. Das Ergebnis überrascht.

Begrenzte Produktauswahl, minimalistische Einrichtung und aggressives Marketing: Die Ankunft von Aldi und Lidl in den 2000er Jahren hat den Schweizer Einzelhandel verändert. Heute begeistern die deutschen Discounter immer mehr Kunden. Aber halten sie auch, was sie versprechen? Oder anders gesagt, bieten sie wirklich niedrigere Preise als die Konkurrenz, wie sie behaupten?

Zur Story