Der Bundesrat steht zunehmend unter Druck. Gestern beschloss der Nationalrat eine Erklärung, in der raschere Lockerungen der Massnahmen zur Vorbeugung der Corona-Pandemie gefordert werden.
So sollen etwa Gastrounternehmen wie auch Betriebe in den Bereichen Kultur, Unterhaltung, Freizeit und Sport bereits ab dem 22. März 2021 öffnen dürfen. Selbst wenn die epidemiologische Lage derzeit wieder eher auf Alarmstufe «Orange» steht. Helfen sollten stattdessen Schutzkonzepte oder Besucherzahl-Beschränkungen.
Gefordert wurde zudem eine Öffnungsstrategie und Planungssicherheit für kulturelle und sportliche Grossanlässe oder etwa die Aufhebung der 5-Personen-Regel für Innenräume.
Das «Ja» zur Erklärung ging überraschend schnell über die Bühne. Überraschend deshalb, weil das parlamentarische Mittel der Erklärung Seltenheitswert hat und eigentlich nur zu «wichtigen Ereignissen oder Problemen der Aussen- oder Innenpolitik» zur Anwendung kommt.
Die Diskussion glich einer Lobbyaktion, organisiert als parlamentarische Kurzdebatte. Reden durften nur Kommissionssprecherin Céline Amaudruz (SVP) und Kommissionsprecher Martin Landolt (Mitte) – beide für ein «Ja». Sowie eine Gegnerin, vertreten durch die SP-Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. Dazwischen wurden wenige kritische Fragen zugeworfen.
Das kommt nicht von ungefähr, wie ein Blick in die Liste der Interessensverbindungen jener Wirtschaftspolitikerinnen und -Politiker zeigt, die sich für die Erklärung stark gemacht hatten. Auffällig gut vertreten war die Immobilienbranche: Die grossen Player fielen während den Wirtschafts-Shutdowns wegen des Streits rund um Geschäftsmieten auf: Sie verlangten Mieten von Restaurants und Läden, obwohl diese gar nicht mehr ihre Lokalitäten nutzen konnten. Der Hauseigentümerverband stellte gar Musterbriefe auf, mit dem Vermieterinnen und Vermieter unkompliziert und pauschal die Gesuche auf Herabsetzung des Mietzinses ablehnen konnten.
Die Interessen der Hauseigentümerverbände wurden etwa von FDP-Präsidentin Petra Gössi oder SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi vertreten. Als Repräsentanten des Immobiliengewerbes wirkten auch die Kommissionsmitglieder Thomas Burgherr (SVP), Fabio Regazzi (CVP) oder Thomas Matter (SVP). Die drei sitzen in Verwaltungsräten, Vorständen oder Präsidien von Firmen, die mit Gewerbeflächen ihr Geld verdienen.
Von einer allfälligen raschen Öffnung würde auch die Gastro-Szene profitieren. Sie hatte vor der Pandemie gar direkten Zugang ins Bundeshaus, weil sie einen «Lobby-Badge» von einem Nationalrat oder einer Ständerätin erhalten hatte. Auffällig hier war etwa der Name Hanspeter Hohl: Er ist Verwaltungsratsmitglied jener Firma, die am Hoch Ybrig die Sommer- und Wintersportbahnen betreibt. Er erhielt seinen Badge von SVP-Nationalrat Marcel Dettling.
Auf der Liste der Zutrittsberechtigten von SVP-Mann Thomas Matter steht zudem mit Fabian Frauenfelder ein weiterer Interessensvertreter: Er ist Geschäftsführer der Gastro ZH GmbH, die schweizweit mehrere Clubs, Konzertsäle und Bistros betreibt.
Mit der SVP-Nationalrätin Esther Friedli gab es zudem eine Volksvertreterin, die selbst ein Restaurant betreibt. Friedli sitzt zudem im Verwaltungsrat der Bergbahnen Wildhaus SG, wo Restaurant-Terrassen bei Skipisten schliessen mussten, während sie im Nachbarkanton Graubünden illegal geöffnet hatten.
Interessensbindungen zu Branchen, die von raschen Öffnungen profitieren könnten, gab es auch auf der linken Seite. Aus den Fraktionen der SP, Grünen und GLP gab es jedoch lediglich zwei Stimmen, die diesen Öffnungsforderungen entsprachen. Sie kamen von den grünliberalen Isabelle Chevalley und François Pointet (beide Waadt). Sie haben aber gemäss offiziellen Registern keine Interessensbindungen zu Immobilien-, Gastro- oder Tourismusbranche.
Wenige Stunden nach dem Nationalratsentscheid war noch nichts vom Bundesrat zu hören. Nicht etwa, weil da noch auf irgendein «formeller Brief» mit dem Inhalt der Erklärung gewartet werden muss. Kurioserweise wird es einen solchen nämlich gar nicht geben, wie eine Person aus dem Umfeld des Bundesrates wortgewandt formuliert: «Die Erklärung ist mit der Erklärung erklärt.»
Das verdeutlicht den symbolischen Charakter einer solchen Erklärung. Sie zeigt nur, was der Nationalrat als Parlamentskammer verkünden will. Der Bundesrat kann sie ignorieren, zur Kenntnis nehmen oder sie berücksichtigen. Wofür er sich entscheidet, wird sich frühestens nach der nächste Bundesratssitzung am Freitag zeigen.
Erste Weichenstellungen werden am Donnerstag erwartet. Dann berät der Ständerat das Covid-19-Gesetz, wo aus der SVP-Fraktion ein Antrag zur Schwächung der Bundesratskompetenz vorliegt. Gefordert wird, dass der Bundesrat auf Lockdowns, Shutdowns, Grenz- und Branchenschliessungen verzichtet, wenn es Parlamentskommissionen so wollen.
Der ganze Sumpf muss ausgetrocknet werden...
Mag sein, dass dann diverse nicht mehr Politiker sein wollen. Um diese scheint es mir aber auch nicht schade...