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Corona: Nationalrat versenkt Mieterlass

Stimmenzaehler Philipp Kutter, CVP-ZH, haendigt Petra Goessi, FDP-SZ, den Wahlzettel zur Wahl des Nationalratspraesidenten aus, an der Wintersession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 30. November ...
Stimmenzähler Philipp Kutter händigt am Montag 30. November Petra Gössi einen Wahlzettel aus. Bild: keystone

Nationalrat versenkt Mieterlass – Ratslinke ist sauer

30.11.2020, 18:5530.11.2020, 19:43
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Noch im Sommer war das Parlament für einen Teilerlass von Geschäftsmieten während der ersten Corona-Welle. Ein halbes Jahr später ist die entsprechende Vorlage akut gefährdet. Der Nationalrat lehnte am Montag das Covid-Geschäftsmietegesetz in der Gesamtabstimmung ab.

Der Entscheid fiel mit 100 zu 87 Stimmen bei 7 Enthaltungen. Die grosse Kammer folgte damit ihrer vorberatenden Rechtskommission, welche bereits beantragt hatte, nicht auf die Vorlage einzutreten. Ende Oktober hatte der Nationalrat noch hauchdünn für Eintreten gestimmt. Nach der Detailberatung lehnte er die Vorlage nun aber ab.

Durchgesetzt hat sich eine Allianz aus SVP-, FDP-, der Mehrheit der Mitte-Fraktion und einigen GLP-Vertreterinnen und -Vertretern. Zu den Verlierern gehören die SP, die Grünen und die zur Mitte-Fraktion gehörende EVP.

Das waren die Argumente

Die bürgerliche Mehrheit argumentierte, dass mit dem Gesetz rückwirkend in private Vertragsverhältnisse eingegriffen werde. Die nun vorliegende Lösung würde ausserdem zu Rechtsunsicherheit führen und der unterschiedlichen Betroffenheit der einzelnen Betriebe nicht Rechnung tragen.

«Privatrechtliche Angelegenheiten sollen privatrechtlich gelöst werden», sagte Pirmin Schwander (SVP/SZ). Christa Markwalder (FDP/BE) rief die Mietparteien stattdessen zu einer gütlichen Einigung auf. Philipp Matthias Bregy (CVP/VS) gab zu bedenken, dass Gastronomiebetriebe und andere KMU bald mit der Härtefallregelung im Covid-Gesetz geholfen werden könne.

Eine linke Minderheit empfahl das Gesetz zur Annahme. Sie bezeichnete die Vorlage als überlebenswichtig für zahlreiche Unternehmen - insbesondere in der Gastronomie. Das Gesetz bringe immerhin ein wenig Linderung für arg gebeutelte KMU, sagte Min Li Marti (SP/ZH). «Wir müssen die Existenzängste der Gewerbetreibenden ernst nehmen», hielt Florence Brenzikofer (Grüne/BL) fest.

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Viele Änderungen für nichts

Die Vorlage des Bundesrats, welcher das Gesetz gegen seinen Willen ausarbeiten musste, sieht vor, dass Mieter und Pächter, die im Frühjahr von einer behördlichen Schliessung oder starken Einschränkung betroffen waren, für diese Zeit nur 40 Prozent des Mietzinses bezahlen müssen. 60 Prozent sollen zulasten der Vermieterinnen und Vermieter gehen.

Vor der Gesamtabstimmung hatte der Nationalrat verschiedene Änderungen an der Vorlage angebracht. So beschloss er, Mieterinnen und Mietern nicht 60, sondern nur 50 Prozent der geschuldeten Miete zu erlassen. Das Gesetz sollte zudem keine Anwendung finden, wenn die Parteien bereits eine Lösung gefunden haben.

Nach diesem Video verstehst auch du, wie Covid-Impfungen funktionieren

Video: watson/jah/lea

Gleichzeitig weitete der Nationalrat den Geltungsbereich des Gesetzes aus. Laut der grossen Kammer sollte das Gesetz auch für die Zeit der nachfolgend ergangenen Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus anwendbar sein. Zudem sollte die Regelung auch dann gelten, wenn die Beeinträchtigung nicht durch Massnahmen des Bundes, sondern durch solche der Kantone oder der Gemeinden verursacht wurde.

Ratslinke ist sauer

All diese Änderungen wurden schliesslich nichtig, weil die Vorlage am Schluss abgelehnt wurde. Verschiedene links-grüne Rednerinnen und Redner kritisierten die Nationalratskommission dafür, dass diese eine praktisch neue Vorlage gezimmert habe, die sie schliesslich doch ablehnte. Baptiste Hurni (SP/NE) sprach von einer «Perversität».

Jacqueline Badran (SP/ZH) nervte sich auf Twitter über die bürgerliche Mehrheit im Ratssaal. Diese wahre nur die Interessen des Kapitals, «sonst nix». «Ich fasse es nicht», twitterte derweil die neue SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer. Man lasse Zehntausende von Restaurants, Clubs und Gewerbetreibende hängen.

So geht es weiter

Auch im Ständerat dürfte das Gesetz einen schweren Stand haben. Die vorberatende Kommission empfiehlt mit 8 zu 5 Stimmen, nicht darauf einzutreten. Die kleine Kammer entscheidet am Mittwochvormittag darüber. Auch der Bundesrat ist gegen die Vorlage und verweist auf einen kürzlich erschienenen Bericht, wonach derzeit wenige Hinweise für umfassende Schwierigkeiten bei Geschäftsmietern bestehen. (sda)

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173 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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TodosSomosSecondos
30.11.2020 19:02registriert April 2016
Bis zu diesem Wochenende waren die bürgerlichen noch ganz ganz furchtbar besorgt um all die KMUs, die dann von der KVI in den Ruin getrieben werden.

Aber hey cool jetzt ist ja Montag, die Abstimmung ist vorbei und man kann die KMUs, die einem ja das heiligste auf der Welt sind, grad selber versenken.

Ich weiss ja nicht, wie oft man auf den Kopf gefallen sein muss, um sich so für blöd verkaufen zu lassen. Gewonnen hat in den letzten 48h mal wieder nur der Shareholder Value und alle anderen schauen in die Röhre. Bravo Schweiz. Eine Schande.
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Platon
30.11.2020 19:03registriert September 2016
Die ach so unternehmerfreundlichen Parteien pfeifen auf ihre Sonntagsreden und frönen ihrer fetischistischen Verhätschelung der Grosskapitalbesitzer. Hauptsache jene, die besitzen, müssen keinen Rappen an den Kosten der Krise bezahlen.

Mal abgesehen davon, dass viele KMU-Besitzer besseres zu tun haben, als ihre Vermieter zu verklagen und Anwaltskosten zu tragen, kann mir jemand erklären, was es auf privatrechtlichem Weg rauszuholen gibt? Nimmt mich wirklich wunder.
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FrancoL
30.11.2020 19:08registriert November 2015
"Zu den Verlierern gehören die SP, die Grünen und die zur Mitte-Fraktion gehörende EVP"

Die Verlierer sind alle die auf eine Regelung, die ja angedeutet wurde warten mussten und nun plötzlich mit abgesägten Hosen da stehen.

Ein Trauerspiel, das einmal mehr zeigt wer eben KEINE Lobby hat und das sind die vielen Mieter, die nun wieder zum Bittsteller werden.
Die Wirtschaft regiert und agiert, so wie es eben die Wahlverhältnisse ermöglichen.
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