Vor 25 Jahren hat sich der Bundesrat für die versuchsweise Heroinabgabe an Schwerstsüchtige ausgesprochen. Die Schweiz übernahm damit eine Pionierrolle in der Drogenpolitik. Für die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss wäre die Entkriminalisierung ein nächster notwendiger Schritt.
Die Bundesratssitzung vom 13. Mai 1992 setzte in der Schweizer Drogenpolitik einen Meilenstein: Der damalige Gesundheitsminister Flavio Cotti verkündete den Entscheid der Landesregierung: Spezialärzte durften demnach höchstens 250 Schwerstabhängigen, verelendeten oder sich prostituierenden Drogenabhängigen versuchsweise auch Heroin abgeben.
Wie schwer der damalige Entscheid der Landesregierung gefallen ist, lässt sich auch daraus lesen, dass sich der Bundesrat zuvor eine einwöchige Denkpause verordnet hatte, sozusagen um noch einmal darüber zu schlafen. Nach dem Grundsatzentscheid dauerte es noch einmal gut zwei Jahre, bis in Zürich die ersten Versuche gestartet wurden.
Noch wenige Monate vor dem historischen Entscheid hatte Cotti die ärztlich kontrollierte Heroinabgabe kategorisch abgelehnt. Nachdem sich die Mehrheit der Kantone und die grössten Parteien für das Projekt ausgesprochen hatten, habe bei ihm aber ein teilweises Umdenken eingesetzt. Schliesslich seien Vernehmlassungen dazu da, dass sich die Regierung eines Besseren belehren lässt, erklärte Cotti die Kehrtwende.
«Als praktizierender Christ bleibe ich skeptisch», sagte Cotti weiter. Und er verwies darauf, dass oberstes Ziel weiterhin die Abstinenz bleibe und der Drogenkonsum auch weiterhin strafbar sei.
Die heroingestützte Behandlung, wie die Heroinabgabe heute genannt wird, löste damals eine heftige Kontroverse aus. So warnte etwa die Parlamentarische Gruppe Drogenpolitik, der rund 50 National- und Ständeräte aus allen bürgerlichen Parteien angehörten, die Schweiz würde mit der Heroinabgabe zum «Platzspitz Europas».
Einen liberalen Umgang mit dem Heroin hatten nicht etwa nur die SP, die Grünen und der Landesring der Unabhängigen verlangt, sondern auch die FDP und sogar Cottis eigene Partei, die CVP. Nur die SVP hatte sich klar dagegen gesträubt.
Heute gehört die heroingestützte Behandlung in der Schweiz zum Alltag. Davon profitieren können aktuell 1381 Schwerstabhängige in insgesamt 21 Institutionen über die ganze Schweiz verteilt. Das Heroin mit der medizinischen Bezeichnung Diamorphin – es dürfte sich um eine Menge von zwei bis dreihundert Kilogramm pro Jahr handeln – wird unter hohen Sicherheitsauflagen von der Thuner Firma DiaMo Narcotics GmbH vertrieben. Die Kosten pro Patient und Tag belaufen sich für die medizinische und psychosoziale Betreuung auf 45 Franken.
«Die heroingestützte Behandlung hat wesentlichen Anteil an den Erfolgen der Schweizerischen Drogenpolitik», urteilt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) heute. Dies zeige sich nicht nur am markanten Rückgang der drogen- und aidsbedingten Todesfälle, sondern auch an der gestiegenen Lebenserwartung und der verbesserten Gesundheit der Opiatabhängigen.
Zudem habe die Sicherheit profitiert durch den Rückgang der Beschaffungskriminalität und dem Verschwinden der offenen Drogenszenen. Ein wichtiger Effekt sei auch gewesen, dass die «Medikalisierung des Heroinkonsums» wesentlich dazu beigetragen habe, dass der Opiatkonsum ein Looserimage erhalten und dadurch generell an Attraktivität verloren habe.
Die ehemalige Bundesrätin Ruth Dreifuss, heute Präsidentin der Weltkommission für Drogenpolitik, wertet die Einführung der heroingestützten Behandlung im Rückblick ebenfalls als Erfolg. Sie setzte in den 90er Jahren den Grundsatzentscheid ihrer Vorgänger in die Tat um.
Im Nachhinein habe sich die Heroin unterstützte Therapie als medizinisch anerkannte Antwort erwiesen, die nicht nur den gesundheitlichen Zustand verbessert, sondern auch eine soziale Integration ermöglicht habe. «Und viele, vielleicht die meisten Patienten, wären ohne diese Behandlung nicht mehr am Leben», sagte sie auf Anfrage.
Die Rolle der Schweiz als Pionierin sei weltweit anerkannt. Dies zeige sich auch darin, dass andere Länder die heroingestützte Behandlung ebenfalls in ihr Spektrum von möglichen Behandlungen von Drogenabhängigen aufgenommen hätten.
Die Schweiz habe generell eine Pionierrolle gespielt in der Entwicklung von innovativen Gesundheitsmassnahmen in der Drogenpolitik. Unter dem Sammelbegriff der Schadensminderung finde man beispielsweise das zur Verfügung stellen von sauberem Injektionsmaterial, die Analyse von Substanzen oder die sogenannten Fixerstübli. Dank ihnen sei die Aids- und Hepatitis-Übertragung weitgehend unter Kontrolle gekommen.
Kein Pionier sei die Schweiz hingegen, was die Entkriminalisierung des Drogenkonsums angehe und die Regulierung des Marktes durch den Staat, wie man dies von anderen gefährlichen Substanzen wie Alkohol oder Tabak her kenne. «In meinen Augen ist das eine Notwendigkeit», sagt Dreifuss. (whr/sda)