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Drogen

Neue Ermittlungen zeigen, wie das Kokain-Geschäft in der Schweiz abläuft

Kokain in der Schweiz.
Neue Ermittlungen geben einen Eindruck davon, wie das Kokain-Geschäft in der Schweiz abläuft.Bild: Shutterstock

In der Schweiz liefert der Mafia-Boss noch selbst: Die Kokain-Achse durch die Alpen

Chur, St. Gallen, Zürich, Bern: Akten zeigen, wie der Drogenhandel einiger Clans der 'Ndrangheta in der Deutschschweiz läuft. Die Mafiosi fühlten sich bisher sicher und wie im Schlaraffenland bei uns. Ob das jetzt langsam ändert?
27.12.2021, 09:25
Henry Habegger / ch media
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Der Anrufer war, so die Ermittler, ein Türke. Er bat A. (Namen der Redaktion bekannt), der im Auto in Zürich unterwegs war: «Ich brauche etwas? Spezielles... Kannst du uns helfen? Aber sofort, es müsste ganz schnell sein? Sehen wir uns gleich jetzt? Kannst du nach Rapperswil kommen?»

Das war Ende Februar 2020 und der Türke bestellte mit dem Anruf 200 Gramm Kokain bei A. (28), dem Statthalter des 'Ndrangheta-Clans der Larosa. A. hatte sich mit Handvoll von Vertrauten in Zürich-Seebach niedergelassen, von wo er das Schweizer Drogengeschäft seiner Sippe managte. Vor allem Kokain, aber auch Heroin hatte er im Angebot.

Das geht aus Akten zur italienisch-schweizerischen Antimafiaoperation Nuova Narcos Europea hervor, die im letzten November in der Verhaftung von 104 mutmasslichen Mafiosi ihren Höhepunkt erreichte. In der Schweiz wurden sechs Personen festgenommen; einige wurden bereits an Italien ausgeliefert.

Laut Mailänder Antimafiastaatsanwaltschaft konnte in Zusammenarbeit mit der Schweizer Bundespolizei und dem Kanton St.Gallen ein gut einge- spielter Drogenhandel aufgedeckt werden. Die Larosa hätten «in der Provinz Como und auf Schweizer Territorium die logistische und operative Basis» ihrer kriminellen Organisation eingerichtet: mit gleichbleibenden Lieferanten und fünf zumeist in der Schweiz gemeldeten «Personen, die sich ausschliesslich mit dem Verkauf der Drogen befassten», so die Ermittler.

Chef-Mafioso lieferte Koks persönlich beim Jona Center in Rapperswil ab

Nach dem Anruf des Türken ging A. mit seiner Freundin B., ebenfalls aus Kalabrien stammend, in seiner Wohnung im Seebach-Quartier vorbei und fuhr danach sogleich zum Jona Center nach Rapperswil SG, zu einem bestimmten Geschäft. Dort arbeitete der Abnehmer des Kokains. Offensichtlich lieferte A. den Stoff aus, den er in Zürich gelagert hatte.

A., der Sohn und Nachfolger des in Sardinien inhaftierten Mafia-Bosses Giuseppe Larosa alias «Sepp die Kuh», war also in der Schweiz im Kokain-Absatz tätig. Dass der Junior-Chef dieses Risiko einging, bestätigt wohl, was italienische Ermittler seit langem sagen: Mafiosi fühlten sich wohl und sicher bei uns, weil es hier, im Gegensatz zu Italien, bisher keine scharfen Antimafiagesetze gibt, Vermögen nur selten blockiert oder gar eingezogen werden. Und weil der Föderalismus Informationsaustausch und damit Strafverfolgung häufig verhindert.

Die neuen Ermittlungen geben aber einen Eindruck davon, wie das Kokain-Geschäft in der Schweiz abläuft. Und lassen erahnen, dass einige Schweizer Behörden allmählich aus dem Dornröschenschlaf erwachen.

Die Clans (die Rede ist hier vor allem von den Larosa und den Molé/Pesce) liessen sich das Kokain aus Südamerika oft an italienische Mittelmeerhäfen wie Livorno oder La Spezia liefern. Jeweils mehrere hundert Kilo, versteckt zwischen anderen Waren in Schiffscontainern.

Mithilfe von mafiösen oder einfach nur korrupten Hafenmitarbeitern holten die Clans ihre Drogen aus den Containern und schafften sie aus dem Hafenareal heraus. Zuletzt gelang es den Ermittlern aber wiederholt, grosse Lieferungen der beiden Clans abzufangen (siehe Grafik).

Wie das Kokain in die Schweiz kommt ...

... am Beispiel von zwei Mafia-Clans.
... am Beispiel von zwei Mafia-Clans.grafik: ch media

Einige der Mafiosi sind, wie auch Recherchen in der Schweiz zeigen, mit Frauen aus Ecuador liiert. Grund: Der südamerikanische Staat spielt als Transitland für kolumbianisches Kokain eine zentrale Rolle. Da ist es für die Mafiosi von Vorteil, wenn sie vor Ort Beziehungen haben. Und einen Vorwand, um nach Südamerika zu reisen und die Kokain-Bestellungen aufzugeben.

Grenzwachtkorps deckte den Kokain-Schmuggel auf

In die Schweiz kommt das Kokain oft per Auto. Beliebt scheint da der Mini Cooper. Ein solches Fahrzeug stand, mit Bündner Kontrollschild sowie Drogenversteck beim Kofferraum ausgestattet, für den Larosa-Clan im Einsatz. Bis am 16. September 2020, als der Wagen am Zoll von Kriessern SG vom Schweizer Grenzwachtkorps aus dem Verkehr gezogen und tranchiert wurde. Elf Kilo Kokain kamen zum Vorschein.

Der Fahrer, ein Sizilianer, sollte den Stoff nach Malans GR bei Landquart bringen. Dort hatten die Mafiosi in einem gemieteten Lagerraum ein Drogendepot eingerichtet: Dort stand eine Tiefkühltruhe, in der das Kokain zwischengelagert wurde. Mehrere Mitglieder aus dem Umfeld des Larosa-Clans hatten Zugang zu diesem Depot.

Graubünden als Transit- und Lagerkanton für das Kokain

Der im Mini beschlagnahmte «Stoff» kam aus der deutschen Stadt Frankfurt. Er war dort per Cargoflug aus Brasilien eingetroffen. Die Behörden vermuten, dass die Mafiosi auf Luftfracht auswichen, nachdem mehrere Schiffslieferungen in Italien beschlagnahmt wurden. Andere Lieferketten der Clans führen über die Niederlande und Spanien, konkret Barcelona oder Madrid. Ein Grund dafür ist offenbar, dass es von Ecuador aus Direktflüge nach Spanien gibt, nicht aber nach Italien.

Der Kanton Graubünden spielt offensichtlich schon lange eine wichtige Rolle im Drogentransit. Bereits der Vater von A., der hochrangige Mafiaboss Giuseppe Larosa alias Peppe La Mucca, war bis zu seiner Verhaftung 2015 in Pragg-Jenaz aktiv. Er soll dort sogar eine Ausland-Zelle gegründet haben.

Die neuen Antimafia-Verfahren zeigen, dass sich die mutmasslichen Mafiosi insbesondere zwischen Vilters-Wangs (SG) bei Liechtenstein bis hinauf zu den Bündner Gemeinden Chur, Domat/Ems, Cazis, Davos und Sur installiert haben. Sie scheinen sich auf einer Art Kokain-Achse durch die Alpen angesiedelt zu haben. Aus Norditalien in Richtung Zürich und vermutlich mit Abzweigen ins Engadin und nach St.Moritz.

Im Mini Cooper nach Bern, Geld kassieren

Einen Mini Cooper als Fahrzeug zum Verüben von Delikten setzte auch der im Tessin wohnhafte Italiener C. ein, der in Lugano einen Pub führte. Der Mann fuhr als Kurier im Umfeld des Molè-Clans alle paar Tage nach Bern. Hier kassierte er regelmässig Geld ein. Weil die Bundesanwaltschaft an Ermittlungen mit Italien zum Bern-Aspekt nicht interessiert war, blieb hier vieles im Dunkeln.

Fest steht, dass der Clan die Drogen bis weit ins Mittelland lieferte. So gehört zu den einschlägig Beschuldigten der Schwager von A. Über ihn läuft laut Recherchen eine Pizzeria im Raum Solothurn. Dort soll er verschiedene Abnehmer mit Kokain beliefert haben.

Vor Augen muss man sich dabei halten: Was hier geschildert wird, ist bloss das Werk von zwei, drei Clans. Jedenfalls bloss ein kleiner Teil der Mafia-Umtriebe in der Schweiz. Es gilt die Unschuldsvermutung.

*Namen der Redaktion bekannt

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gusto
27.12.2021 10:34registriert Mai 2016
Während sich die Schweiz in den letzten 10-15 Jahren emotional mit Nicht-Problemen wie Minaretten und Burkas auseinandergesetzt hat, konnten sich solche Strukturen ungestört entwickeln und entfalten. Das im Artikel gut Beschriebene ist vermutlich nur die absolute Spitze des Eisberges.
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Hamudi Dudi
27.12.2021 09:45registriert September 2019
Wir sind halt durch und durch eine Skination 😎
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MORGLUM
27.12.2021 10:11registriert Februar 2020
Lieber Kiffer und Ausländer jagen und bussen verteilen als dem Otganisierte Kriminalität eindämmen. Ist weniger belastend für polizisten
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