Schweiz
Gesellschaft & Politik

Gegenkampagne «Sexarbeit ist Arbeit» lanciert

Frauenzentrale will Freier bestrafen – Gegenkampagne «Sexarbeit ist Arbeit» lanciert

Vor einem Monat hat die Frauenzentrale die Kampagne «Für eine Schweiz ohne Freier. Stopp Prostitution» lanciert. Zahlreiche Sexarbeiterinnen wehren sich gegen die «absurde» Forderung.
29.07.2018, 05:00
Samuel Schumacher / Schweiz am Wochenende
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Die Forderung der Frauenzentrale Zürich würde auf einen Schlag rund 350'000 Männer in der Schweiz zu Kriminellen machen: Vor genau einem Monat hat der Verein die Kampagne «Für eine Schweiz ohne Freier. Stopp Prostitution» lanciert. Sie verlangt, dass Personen, die sich sexuelle Dienstleistungen kaufen, bestraft werden. Prostitution verstosse gegen die Menschenwürde, verunmögliche die Gleichberechtigung und bedeute Gewalt gegen die sich prostituierenden Frauen, schreibt die Frauenzentrale auf der Kampagnen-Website. Sie verweist auf eine Studie der Universität Zürich, die 2009 zum Schluss kam, dass 90 Prozent der Prostituierten in der Schweiz an psychischen Störungen litten und aufhören möchten.

ARCHIV -- ZUM BERICHT DES ZUERCHER STADTRATES UEBER DIE ENTWICKLUNG DES PROSTITUTIONSGEWERBES AM DONNERSTAG, 19. JULI 2018, STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG -- Une prostituee at ...
Viele Sexarbeiterinnen halten die Kampagne der Frauenzentrale für absurd. (Symbolbild)Bild: KEYSTONE

Andrea Gisler, Präsidentin der Frauenzentrale Zürich, schreibt im aktuellen «Bulletin» des Vereins: «Nirgends zeigt sich das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern so deutlich wie in der Prostitution. Es wird ein rückständiges Frauenbild genährt, nämlich, dass man Frauen wie ein Konsumgut kaufen kann.» Die Handlungen von Freiern versteht Gisler als Akt der «sexualisierten Gewalt».

Einen Schritt weiter geht Sandra Plaza, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich. Sie glaubt, die Prostitution verstärke die sogenannte «Vergewaltigungs-Kultur» gegenüber Frauen. Sexuelle Übergriffe würden verharmlost, die Opfer sexueller Gewalt als mindestens mitschuldig an den Übergriffen dargestellt.

Bild
zvg AZ

Frauenzentrale Zürich will Prostitutions-Verbot erwirken

Video: srf

Kampf gegen die «Volksseuche»

Gegen das Anliegen der Frauenzentrale Zürich regt sich nun Widerstand. Das Netzwerk Prokore, eine Vereinigung von Personen aus dem Sexgewerbe, hat die Gegenkampagne «Sexarbeit ist Arbeit» ins Leben gerufen, die bis anhin von 113 Organisationen und Personen – darunter die Aids-Hilfe Schweiz, die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich und die Frauenzentrale Bern – unterstützt wird.

Prokore schreibt, es sei «absurd», das Angebot sexueller Dienste weiterhin zu erlauben, deren Konsum aber als illegal zu deklarieren. Zudem hätten auch Sexarbeiterinnen ein Recht auf Gewerbefreiheit.

Die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration Zürich (FIZ), die die Gegenkampagne unterstützt, betont: «Ein Verbot bringt die Sexarbeit nicht zum Verschwinden, sondern führt dazu, dass die Arbeit unter noch prekäreren Bedingungen ausgeübt werden muss.»

Ein intimer Blick in die Bordellzimmer dieser Welt

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Ein intimer Blick in die Bordellzimmer dieser Welt
Die meisten fotografischen Arbeiten über Prostitution zeigen die Frauen und Männer selbst. Nicht so Yoshiko Kusanos Fotoessay «Bordelle» erschienen bei Scheidegger & Spiess, Zürich.

Alle Fotos: Yoshiko Kusano
quelle: yoshiko kusano / yoshiko kusano
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Neu ist die Debatte um das Thema Prostitution nicht. Bereits 1917 forderte die Frauenzentrale Zürich den Stadtrat auf, gegen die «Volksseuche der Prostitution» einzutreten. Diese grassierte in der Wahrnehmung der Frauenzentrale, obwohl die Zürcher Bordelle auf Druck christlicher Sittlichkeitsvereine 1897 geschlossen worden waren. Seit 1942 ist die (heterosexuelle) Prostitution in der Schweiz wieder legal. 1969 wurde das bis dahin geltende Verbot der «öffentlichen Anlockung» fallengelassen.

Mit der Revision des Sexualstrafrechts von 1992 wurde die Prostitution endgültig vom Verdacht der «Unsittlichkeit» befreit, wie der Historiker Philipp Sarasin im «Historischen Lexikon der Schweiz» schreibt. Im Jahr zuvor hatte der Zürcher Stadtrat erfolglos versucht, die Prostitution an der Zürcher Langstrasse zu verbieten. 2013 schliesslich wurde der Strassenstrich am Zürcher Sihlquai geschlossen und die «Verrichtungsboxen» in Altstetten installiert.

Sollte die aktuelle Kampagne der Frauenzentrale Zürich auf dem politischen Parkett Anklang finden und tatsächlich zu einem Sexkauf-Verbot führen, würde die Schweiz zu Schweden, Frankreich, Island und Irland aufschliessen, wo Freier bereits heute bestraft werden. (aargauerzeitung.ch)

Flüchtlingsfrauen auf italienischem Strich ausgebeutet

Video: srf
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86 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fräulein Scholl
29.07.2018 08:46registriert Juni 2014
Anstatt Freier zu bestrafen, sollten die Rechte von Prostituierten verstärkt, ihre Arbeits- und Lebensbedingungen verbessert werden. Aus dem guten Willen, zu schützen, entsteht sonst weitere Ausgrenzung und Stigmatisierung für die Frauen und stempelt sie zu wehrlosen Opfern ab.
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Jozo
29.07.2018 05:33registriert Juni 2015
"Es wird ein rückständiges Frauenbild genährt, nämlich, dass man Frauen wie ein Konsumgut kaufen kann." Das gleiche gilt doch auch für Männer (zum Bsp. Callboys). Gleichberechtigung existiert bei Prostitution, nur die Nachfrage ist unterschiedlich.
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gehweg
29.07.2018 08:48registriert Juli 2018
Da kann man noch viiiel weiter gehen: Ausser Denjenigen, welche aus tiefster Neigung einem Broterwerb nachgehen oder z. B. Künstler wird doch JEDE (Arbeits-)Kraft gekauft: Was ist mit Bauarbeitern, welche ihren Körper gegen Entgeltung "zur Verfügung" stellen und Schwerarbeit verrichten? Was sehr gut wäre: Zuhälterei und Menschenhandel strengstens bestrafen. Wird aber die Prostitution verboten wünsche ich den Betroffenen alles Glück dieser Welt, nicht vollenfs in der Versenkung zu verschwinden! Illegalität fördert doch nur die Kriminalität.
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