Die Forderung der Frauenzentrale Zürich würde auf einen Schlag rund 350'000 Männer in der Schweiz zu Kriminellen machen: Vor genau einem Monat hat der Verein die Kampagne «Für eine Schweiz ohne Freier. Stopp Prostitution» lanciert. Sie verlangt, dass Personen, die sich sexuelle Dienstleistungen kaufen, bestraft werden. Prostitution verstosse gegen die Menschenwürde, verunmögliche die Gleichberechtigung und bedeute Gewalt gegen die sich prostituierenden Frauen, schreibt die Frauenzentrale auf der Kampagnen-Website. Sie verweist auf eine Studie der Universität Zürich, die 2009 zum Schluss kam, dass 90 Prozent der Prostituierten in der Schweiz an psychischen Störungen litten und aufhören möchten.
Andrea Gisler, Präsidentin der Frauenzentrale Zürich, schreibt im aktuellen «Bulletin» des Vereins: «Nirgends zeigt sich das Machtungleichgewicht zwischen den Geschlechtern so deutlich wie in der Prostitution. Es wird ein rückständiges Frauenbild genährt, nämlich, dass man Frauen wie ein Konsumgut kaufen kann.» Die Handlungen von Freiern versteht Gisler als Akt der «sexualisierten Gewalt».
Einen Schritt weiter geht Sandra Plaza, Geschäftsführerin der Frauenzentrale Zürich. Sie glaubt, die Prostitution verstärke die sogenannte «Vergewaltigungs-Kultur» gegenüber Frauen. Sexuelle Übergriffe würden verharmlost, die Opfer sexueller Gewalt als mindestens mitschuldig an den Übergriffen dargestellt.
Gegen das Anliegen der Frauenzentrale Zürich regt sich nun Widerstand. Das Netzwerk Prokore, eine Vereinigung von Personen aus dem Sexgewerbe, hat die Gegenkampagne «Sexarbeit ist Arbeit» ins Leben gerufen, die bis anhin von 113 Organisationen und Personen – darunter die Aids-Hilfe Schweiz, die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich und die Frauenzentrale Bern – unterstützt wird.
Prokore schreibt, es sei «absurd», das Angebot sexueller Dienste weiterhin zu erlauben, deren Konsum aber als illegal zu deklarieren. Zudem hätten auch Sexarbeiterinnen ein Recht auf Gewerbefreiheit.
Die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration Zürich (FIZ), die die Gegenkampagne unterstützt, betont: «Ein Verbot bringt die Sexarbeit nicht zum Verschwinden, sondern führt dazu, dass die Arbeit unter noch prekäreren Bedingungen ausgeübt werden muss.»
Neu ist die Debatte um das Thema Prostitution nicht. Bereits 1917 forderte die Frauenzentrale Zürich den Stadtrat auf, gegen die «Volksseuche der Prostitution» einzutreten. Diese grassierte in der Wahrnehmung der Frauenzentrale, obwohl die Zürcher Bordelle auf Druck christlicher Sittlichkeitsvereine 1897 geschlossen worden waren. Seit 1942 ist die (heterosexuelle) Prostitution in der Schweiz wieder legal. 1969 wurde das bis dahin geltende Verbot der «öffentlichen Anlockung» fallengelassen.
Mit der Revision des Sexualstrafrechts von 1992 wurde die Prostitution endgültig vom Verdacht der «Unsittlichkeit» befreit, wie der Historiker Philipp Sarasin im «Historischen Lexikon der Schweiz» schreibt. Im Jahr zuvor hatte der Zürcher Stadtrat erfolglos versucht, die Prostitution an der Zürcher Langstrasse zu verbieten. 2013 schliesslich wurde der Strassenstrich am Zürcher Sihlquai geschlossen und die «Verrichtungsboxen» in Altstetten installiert.
Sollte die aktuelle Kampagne der Frauenzentrale Zürich auf dem politischen Parkett Anklang finden und tatsächlich zu einem Sexkauf-Verbot führen, würde die Schweiz zu Schweden, Frankreich, Island und Irland aufschliessen, wo Freier bereits heute bestraft werden. (aargauerzeitung.ch)