Es könnte eine Szene in einem Actionfilm sein: Dem Franzosen Redoine Faïd ist im Juli die Flucht aus dem Gefängnis in Réau bei Paris gelungen – per Helikopter. Die Aktion sorgt nun für Knatsch zwischen der französischen Regierung und Google. Denn es wird vermutet, dass Faïds Gehilfen den Coup mit Google-Maps-Satellitenaufnahmen der Justizanstalt vorbereitet haben.
In Frankreich müsste der US-Tech-Gigant Bilder von Hochsicherheitsgefängnissen seit Ende 2017 unkenntlich machen – nur hält er sich nicht immer an das Gesetz, wie das Nachrichtenmagazin «L'Express» berichtet. In den USA sind heikle Standorte auf Google Maps schon seit Jahren unkenntlich gemacht. Und in der Schweiz?
Hierzulande kann sich jeder Interessierte mit einem Klick ein detailliertes Bild der Gefängnisse machen. Auch die Infrastruktur zu vermessen, ist nach Belieben möglich.
«Das ist natürlich gar nicht toll», sagt Alain Broccard, Präsident des Fachverbands Freiheitsentzug Schweiz, auf Anfrage von watson. Die Insassen hätten zwar nicht Zugriff auf das Internet oder nur unter Aufsicht. Doch dass auf den Luftaufnahmen die baulichen Gegebenheiten der Gefängnisse zu sehen seien, könne externen Helfern beim Planen einer Flucht nützlich sein: «Um abzuklären, auf welcher Seite der Weg eher offen steht, oder wo man mit einem Helikopter landen kann.»
Ähnlicher Meinung ist Yoan Karar von der Gewerkschaft der französischen Gefängnisaufseher. Er fand in einem Radio-Interview auf «Europe 1» kürzlich deutliche Worte:
Alain Broccard plädiert nun auch für striktere Vorgaben in der Schweiz: «Die Politiker sollten das Thema aufgreifen und mit Google verhandeln.» Er weist aber darauf hin, dass auch mit einer Verpixelung nicht alle Probleme gelöst wären: «Heutzutage ist es möglich, hochaufgelöste Bilder mit einer Drohne zu schiessen. Dagegen kann man nicht viel tun.» So wäre aber der Aufwand für potenzielle Ausbrecher und ihre Gehilfen wenigstens grösser als nur ein Klick auf Google, meint Broccard.
Google Maps als Tool der Kriminellen – die Problematik war hierzulande bereits 2014 kurzzeitig auf dem Tisch. Anlass war auch damals ein spektakulärer Gefängnisausbruch: Mit AK-47-Gewehren ballerte eine Gangsterbande im Sommer 2013 auf die Wärter der Justizanstalt Orbe VD ein und befreite zwei Häftlinge. Die Aktion ging rasend schnell – auch weil sich die Männer auf dem Gelände bestens auskannten. Die Grüne Waadtländer Regierungsrätin Béatrice Métraux hatte daraufhin verlangt, darüber zu diskutieren, Internet-Satellitenaufnahmen unkenntlich zu machen.
Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) nahm sich der Problematik an und suchte den Kontakt mit Google. Später zog die KKJPD ihr Anliegen aber wieder zurück. Das zuständige Komitee war zum Schluss gekommen, dass zahlreiche Unternehmen solche Satellitenbilder im Internet anböten. Unter anderem das Bundesamt für Landestopographie oder Microsoft.
Die Zahl der Bilder sei somit zu gross, um deren Verpixelung durchsetzen zu können. Diesen Standpunkt vertritt die KKJPD auch noch heute, wie Alain Hofer, Stellvertretender Generalsekretär der Konferenz, dem Newsportal «Le Matin» mitteilte. Google will «zu spezifischen Situationen» keine Stellung nehmen.