Wer das Hin- und Her über die Konzernverantwortungsinitiative verfolgt, muss ein ziemlicher Politik-Nerd sein. Denn die Lage ist unübersichtlich. Seit Mittwoch noch ein bisschen mehr.
Doch von vorne: Die Initiative verlangt, dass Firmen für ihre Verstösse gegen Menschenrechte oder Umweltstandards im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sollen auch für ihre Tochterunternehmen und Lieferanten haften. Vorgesehen sind auch Sorgfaltspflichtprüfungen. Im Januar 2017 hatte der Bundesrat die Initiative abgelehnt, ebenso einen Gegenvorschlag, den die damalige Justizministerin Simonetta Sommaruga eingebracht hatte.
Die SP-Magistratin wollte Grossunternehmen dazu verpflichtet, ihren Umgang mit Umweltauflagen und Menschenrechten zu dokumentieren — analog zu den Richtlinien in der EU. Davon wollte die Regierung nichts wissen, sie liess sich aber ein Hintertürchen offen. In der Botschaft zur Initiative hält der Bundesrat fest, dass man die Entwicklungen in der EU verfolge:
Allerdings wollte der Bundesrat abwarten, wie die EU-Staaten die Richtlinie umsetzen und die Vorlage erst ausarbeiten, wenn Kenntnisse darüber vorliegen.
Dieses Hintertürchen kommt der neuen Justizministerin Karin Keller-Sutter nun entgegen, um die Regie im verworrenen Spiel um einen Gegenvorschlag zu übernehmen. Denn der Nationalrat will einen Gegenentwurf, der Ständerat hat diesen in einer ersten Runde abgelehnt, weil ihm die Haftungsregeln zu weit gehen. In der Septembersession wird die kleine Kammer nochmals darüber befinden. Sagt sie Nein, ist der Gegenvorschlag des Parlamentes gescheitert und die Initiative kommt alleine vors Volk.
Keller-Sutter brachte die Frage nach einem Gegenvorschlag am Mittwoch erneut in den Bundesrat. Dieser lehnt das Projekt des Nationalrates ab – wegen der Haftungsregeln. Aber das Gremium will nun doch eine Berichterstattungspflicht für Unternehmen ab 500 Mitarbeitern. Keller-Sutter soll diese Haltung im Parlament vertreten. Lehnt der Ständerat den Gegenvorschlag ab, wird das Departement eine Vernehmlassungsvorlage entsprechend der EU-Richtlinie ausarbeiten. Dann könnte der Bundesrat im Abstimmungskampf argumentieren, dass er nicht untätig sei.
Die Reaktionen auf diesen Schachzug fallen unterschiedlich aus. Befürworter der Initiative und eines weitgehenden Gegenprojekts reagieren kritisch darauf, dass Keller-Sutter zu diesem ungewöhnlichen Zeitpunkt eingreift. CVP-Ständerat Beat Vonlanthen hingegen findet es richtig, dass die Bundesrätin das Heft in die Hand nimmt. Er spricht von einem «eleganten Ausweg». Er selbst steht dem Gegenvorschlag wegen den Haftungsregeln skeptisch gegenüber, sieht aber einen gewissen Handlungsbedarf.
Die Rechtskommission des Ständerates hat am Mittwoch bekräftigt, am Gegenentwurf festzuhalten. Der Ausgang im Ständerat ist indes offen. Die Initianten sehen immer noch Chancen für einen Kompromiss. Sie kritisieren den Vorschlag des Bundesrates, weil er zu wenig weit gehe und sprechen von einem «Manöver», der Bundesrat sei offenbar nervös. Positiv reagiert die Wirtschaft: «Wir haben immer gesagt, dass wir die Grundanliegen der Initiative unterstützen, aber ein international abgestimmtes Vorgehen wünschen», sagt Gabriel Rumo von Swissholdings.
"Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral",
dichtete schon vor fast hundert Jahren ein weiser Zeitgenosse.
Sind denn die Menschen im Ausland Menschen zweiter Klasse und nicht wichtig genug, als dass man ihnen dieselben Rechte zugestehen müsste?
Aber klar, bei wirtschaftlichen Interessen kann man halt schon mal ein oder beide Augen zudrücken...