Luxus für Allgemeinversicherte: Von welcher Neuerung Patienten jetzt profitieren
Der eine Zimmernachbar hustet sich die Lunge aus der Brust, der andere hat ständig die ganze Familie zu Besuch und der dritte schnarcht wie ein Weltmeister.
Die Vorstellung eines Mehrbettzimmers bewegt viele Personen dazu, eine Zusatzversicherung abzuschliessen.
Tempi passati. Dass Patientinnen und Patienten mit mehr als einer Person ein Spitalzimmer teilen müssen, kommt heute kaum noch vor – und in Zukunft noch viel weniger. Nicht nur Privatkliniken, auch Kantonsspitäler im ganzen Land bauen den Zimmerstandard seit Jahren aus, wie eine Umfrage dieser Zeitung zeigt. Das Mehrbettzimmer, das Platz für drei und mehr Patientinnen und Patienten bietet, stirbt aus.
Einbettzimmer hat medizinische Vorteile
Auch grosse Spitäler schrecken nicht vor dem Ausbau zurück. 2016 ging das Zürcher Stadtspital Triemli neue Wege, als es das neue Bettenhaus mit 550 Betten eröffnete: Kein Zimmer verfügt über mehr als zwei Betten. Die Konkurrenz in Zürich toppte das Angebot sogar noch. Das Universitätsspital kündigte im gleichen Jahr an, es biete im geplanten Neubau nur noch Einzelbetten an – für alle Patientinnen und Patienten, auch für Allgemeinversicherte.
Damals sorgte die Ankündigung für Aufsehen. Heute planen zwei grosse Kantonsspitäler auch mit Einbettzimmern: Im Neubau des Kantonsspitals Aarau «Dreiklang» entstehen mehrheitlich Einzelzimmer. Auch in den Neubauten des Kantonsspitals Luzern, in der Frauenklinik und im Kinderspital sowie im Spital Wolhusen werden Patienten künftig grossmehrheitlich in Einbettzimmern versorgt.
Die Betreiber argumentierten mit medizinischen Vorteilen für die Patientinnen und Patienten. So kann das Infektionsrisiko gesenkt und die Genesung beschleunigt werden. Dadurch reduziert sich die Verweildauer. Gleichzeitig ist die Planung für das Spital einfacher. «Einbettzimmer ermöglichen ein flexibleres und effizienteres Steuern der Bettenkapazitäten, da keine Einschränkungen durch Gesundheitszustand, Infektionsrisiko, Geschlecht oder Religion berücksichtigt werden müssen», schreibt das Kantonsspital Aarau auf Anfrage. Weiter könnten Therapien, Untersuchungen und Gespräche künftig direkt im Zimmer stattfinden.
Mix aus Ein- und Zweibettzimmer setzt sich durch
Längst nicht alle Häuser gehen so weit, das Einbettzimmer zum neuen Standard zu erheben. Weitaus verbreiteter sind Zweibettzimmer. Das neue Haus 07 des Kantonsspitals St. Gallen, das im Frühling 2024 bezogen wurde, hat 96 Patientenzimmer. Sie bieten maximal zwei Personen Platz. Das Bürgerspital Solothurn beherbergt die Patientinnen und Patienten wahlweise in Ein- oder Zweibettzimmern. Und auch das neu eröffnete Kantonsspital Baden setzt auf Zweibettzimmer, mit der Möglichkeit eines Upgrades – auch für Allgemeinversicherte.
Auf dasselbe Konzept setzen das Spital Limmattal, das Kantonsspital Glarus und Uri sowie die Kantonsspitäler im Thurgau und Baselland – alle bieten sie einen Mix aus Ein- und Zweibettzimmern an. Wobei Privatpatienten auch künftig Vorrang haben.
Auch die Strategie mit Zweibettzimmern erfolgt aus medizinischen Gründen. Zudem profitieren Patientinnen und Patienten von einem besseren Komfort. Und schliesslich wollen die öffentlichen Spitäler mit dem Angebot auch konkurrenzfähig bleiben und mit Privatkliniken gleichziehen. Auch in Zukunft gilt der neue Standard als gesetzt. Die Gruppe der Gesundheitsversorgung Health Ostschweiz, zu der das Kantonsspital St. Gallen gehört, erklärt stellvertretend: «Bei Neubauten gehören Mehrbettzimmer der Vergangenheit an.»
Wird die Zusatzversicherung fürs Spital obsolet?
Für die Versicherten stellt sich aufgrund dieser Entwicklung die Frage, ob sich eine Versicherung privat oder halbprivat im Spitalbereich noch lohnt, wenn selbst Allgemeinversicherte mindestens ein Zweierzimmer erhalten und in vielen Spitälern die Möglichkeit haben, für einen Aufpreis zusätzlich ein Upgrade zu buchen.
Der Versicherungsverband (SVV) begrüsst es, dass viele Spitäler ihre Infrastruktur modernisieren. Für die Krankenzusatzversicherung bedeute dies aber, dass sich «die versicherten Mehrleistungen entsprechend mitentwickeln müssen», schreibt er auf Anfrage. Im Bereich der Hotellerie bleibe die Zusatzversicherung ein wichtiger Aspekt, weil viele Spitäler punkto Ausstattung und Grösse der Zimmer immer noch unterschiedliche Kategorien führen.
Für die Krankenkassen rücken darum ärztliche und klinische Leistungen in den Vordergrund – etwa die Wahl des behandelnden Arztes, der Zugang zu innovativen Behandlungen, spezielle Pflege und Betreuung. Wie sich der Mehrwert konkret äussert, hängt von den Verträgen zwischen den Krankenkassen und Spitälern ab. Grundsätzlich geht der Versicherungsverband «fest davon aus, dass Spitalzusatzversicherungen auch in Zukunft attraktiv und relevant bleiben.»
Strategie birgt finanzielle Risiken für Spitäler
Angesichts der steigenden Gesundheitskosten stellt sich auch eine andere Frage: Können wir uns diesen Luxus leisten? Das Universitätsspital Zürich erklärt stellvertretend: «Auch wenn Einzelzimmer im Neubau zunächst höhere Investitionskosten verursachen, überwiegen die langfristigen Vorteile deutlich.» Denn die Einzelzimmer schützen vor Infektionen, bieten Ruhe und fördern eine bessere Genesung.
Zudem liessen sich gar die Betriebskosten senken, schreibt das Universitätsspital Zürich. «Einzelzimmer ermöglichen eine flexiblere Nutzung und erleichtern die Bettenkoordination, was zu einer besseren Auslastung der Kapazitäten führt.» Dadurch würde die Qualität sowie die Wirtschaftlichkeit des Spitals nachhaltig gestärkt.
Andere Spitäler bezweifeln allerdings die Wirtschaftlichkeit von Einbettzimmern. So erklärt das Kantonsspital Baden, warum es auch Zweierzimmer vorsieht: «Wenn man ausschliesslich Einbettzimmer konzipiert, dann benötigt man eine grössere Nutzfläche, um dieselbe Anzahl Patienten unterbringen zu können.» Ein grösseres Gebäude habe unmittelbar negative wirtschaftliche Folgen. Die Kosten für Energie und Reinigung steigen. Ausserdem lassen sich Patienten im Zweibettzimmer effizienter betreuen, wie das Spital schreibt.
Letztlich ist der neue Standard eine riskante Wette der Spitäler: Wenn sie Privat- und Halbprivat-Versicherten kaum Mehrwert bieten können, dann fliesst bald auch kein Geld mehr aus der Zusatzversicherung. Dabei ist es ein offenes Geheimnis, dass Spitäler in der Schweiz nur dann wirtschaftlich erfolgreich sein können, wenn rund 20 Prozent der Patientinnen und Patienten eine Zusatzversicherung mitbringen.
